O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Vincent Pontet

Aktuelle Aufführungen

Neue, originelle Vision einer klassischen Oper

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
9. März 2022
(Premiere)

 

Théâtre des Champs Elysées, Paris

Così fan tutte ist die dritte und letzte Oper Mozarts, die in Zusammenarbeit mit Lorenzo da Ponte zustande gekommen ist. Wenn Figaros Hochzeit weitgehend dem Theaterstück Beaumarchais‘ entsprungen ist und Don Giovanni einem Jahrhunderte alten Mythos, so hat diese Oper keine wirklichen Quellen. Sie ist wohl einer lebensfreudigen, anmutigen, frivolen Tradition des Rokokos entwachsen. Manche sagen auch, sie gehe auf eine tatsächliche Begebenheit zurück. So haben seit ihrer Uraufführung viele Kritiker bedauert – unter ihnen Beethoven und später Wagner – dass Mozart sein Genie an einen so oberflächlichen Stoff verschwendet hätte. Heute hat man genug Abstand gewonnen, um Così fan tutte durch Mozarts Musik als eine der reizvollsten „Komödien der Irrungen“ genießen zu können, obwohl das happy end ja eigentlich trist, um nicht zu sagen tragisch ist. Denn letzten Endes sind sie alle durch die perverse Wette des Don Alfonso betrogen worden, sogar die schlaue Despina.

„Dieses fälschlich freudige Ende ist in Wirklichkeit schrecklich“, meint Regisseur Laurent Pelly. Und weil er findet, dass man besonders den beiden jungen Mädchen sehr übel mitgespielt hat, gibt er ihnen in seiner Version die Möglichkeit einer kleinen Rache, indem sie im Finale den zynischen Don Alfonso die Treppe hinunter expedieren dürfen. Pelly hat sich nach eigener Aussage bei dieser Inszenierung zwei grundlegende Fragen gestellt: Wie kann man die Musik stärker in den Mittelpunkt stellen? Und wie kann man eine Geschichte in Szene setzen, in der die beiden Hauptdarstellerinnen ihre verkleideten Verlobten aller Offensichtlichkeit zum Trotz nicht erkennen, ohne dass es lächerlich wirkt?

Und so beginnt die Oper … in einem Aufnahme-Studio, um genau zu sein, im Berliner Funkhaus. Chantal Thomas hat mit ihrem Bühnenbild ziemlich genau die Innenfassade des Berliner DDR-Studios in der Nalepastraße nachgebildet und mit sechs Art-Deco Deckenlampen ergänzt. Dort sitzt jeder Sänger vor einem Mikrofon, als würde die Oper aufgezeichnet. Man hätte es zuerst für eine konzertante Aufführung halten können. Erst mit dem sanft-lyrischen Terzett Non son essi; è Don Alfonso, l’amico lor merkt man dann, dass die Akteure wie in einer Märchengeschichte allmählich in ihre Opernrollen hineinschlüpfen. Man könnte auch sagen, sechs Marionetten, die selbstständig lebendig werden. Das ist Pellys traumgleiche Antwort auf die Fragen, die er sich gestellt hat. Das DDR-Studio bleibt fast die ganz Oper hindurch mit einigen Verschiebungen als Spielplatz der Handlung erhalten. Und so wird in der Folge szenisch gespielt und dann wieder konzertant gesungen.

Auf diese Weise geht der Musik nicht nur nichts verloren, sondern sie tritt stärker in den Vordergrund. Ein interessanter und origineller Versuch einer neuen Vision dieser Oper.

Es ist offensichtlich, dass in dieser weitgehenden Ensemble-Oper die Inszenierung in sehr enger Zusammenarbeit zwischen Regisseur, Dirigent und den übrigen Akteuren zustande gekommen ist. In eingehender Personenregie wirken die Rezitative wie natürliche Dialoge. Es wird geweint, gewütet, aber auch viel gelacht, wie in der heiter-übermütigen Szene der zwei Schwestern: Sorella, cosa dici?

Die meisten Darsteller behalten ihre ursprünglichen Straßenkleider. Nur Guglielmo und Ferrando werden bald als Albaner in ganz schwarze Kostüme des 18. Jahrhunderts gesteckt, jeder mit einem ebenso schwarzen Fez auf dem Kopf, um in dieser Aufmachung jeweils die Verlobte des anderen zu verführen.  Despina wird in den entsprechenden Szenen grotesk- komisch als Medicus oder Notar verkleidet.

Vannina Santoni ist ohne Sentimentalität die zu Herzen gehende, ernsthafte Fiordiligi. Von zwiespältigen Empfindungen hin und hergerissen, singt sie mit klarer, reiner Sopranstimme sehr berührend ihr Come scoglio immoto resta. Gaëlle Arquez ist mit etwas herbem Mezzo die viel unkompliziertere, lebensfreudige Schwester Dorabella. Sehr impulsiv mit dramatischen Ausbrüchen in Smanie implacabili che m’agitate. Man hätte sich manchmal vielleicht etwas weniger Dramatik und etwas mehr Leichtigkeit gewünscht, wie im frivol-heiteren È amore un ladroncello. Cyrille Dubois bietet uns mit samtenem, lyrischem Tenor einen feurigen Ferrando wie in der verliebten Arie Un’aura amorosa. Gleichermaßen ist Florian Sempey als Guglielmo unerschütterlich in seinem Vertrauen Donne mie, la fâte a tanti a tanti, bis er die bittere Wahrheit erfährt und in schönstem Bariton tobt. Laurène Paternò als Despina ist nicht nur eine spritzige Sängerin, wenn sie den Schwestern ihre „Doktrin“ in Una donna a quindici anni offenbart, sondern auch eine außergewöhnliche Komikerin. Auch hier eine Erneuerung: Sie nicht die avisierte, adrette Kammerzofe, sondern eine illusionslose, recht gewöhnliche Reine-Mach-Frau mit strähnigem, schwarzem, öligem Haar, schwarzen Hosen, hellgrauem Arbeitskittel und rosafarbenen Gummihandschuhen, mit ruckartiger Gestik und schniefender Mimik – ein wahres, leibhaftiges Phänomen der Komik, wie man es so gelungen selten in der Oper sieht. Indessen leitet und manipuliert Laurent Naouri alle gelassen, mal als Don Alfonso, mal als Aufnahmeleiter, der hinter seinem Fenster von oben die Aufnahme verfolgt.

Emmanuelle Haïm, die von der britischen Presse „Mrs Dynamite of French Baroque“ getauft wurde, ist hier alles andere als explosiv. Behutsam dirigiert sie mit Umsicht und Einfühlungsgabe Solisten, den Chor Unikanti und das Concert d’Astrée, und sorgt dafür, dass keiner der leidenschaftlichen, zärtlichen, traurigen oder heiteren Momente in Mozarts Musik verloren geht. Wie sie selbst sagt: „Così ist von einer außergewöhnlichen psychologischen Intelligenz und das durch die anspruchsvollste Musik, die man sich vorstellen kann, ohne dass man sich dessen sofort bewusst wird.“ Sie ist sich dessen ganz offensichtlich sehr bald bewusst geworden.

Es ist ein sehr erfreulicher Abend, und das Publikum, von vereinzelten Buhrufen wegen der Inszenierung abgesehen, ist hellauf begeistert.

Alexander Jordis-Lohausen