O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Stefan Brion

Aktuelle Aufführungen

Reizvolle Entdeckung

CORONIS
(Sebastián Durón)

Besuch am
14. Februar 2022
(Premiere)

 

Opéra Comique, Paris

Wer kennt heute noch den Namen Durón? Die wenigsten! Sebastián Durón, dieser vergessene spanische Barock-Komponist und Zeitgenosse von Alessandro Scarlatti, André Campra und Henry Purcell, wird 1660 in einem kleinen Ort östlich von Guadalajara geboren und mit 31 Jahren Mitglied der Capilla Real am Hofe Karls II. in Madrid. Als Durón sich nach dem Tode des letzten spanischen Habsburgers öffentlich für den österreichischen Erzherzog Karl als Nachfolger ausspricht, wird er, als nach dem Erbfolgekrieg die französischen Bourbonen Könige von Spanien werden, im Gefolge der Witwe des verstorbenen Königs, Maria Anna von Pfalz-Neuburg, mit ins Exil geschickt, wo er 1716 stirbt.

Während seiner Zeit in der Capilla Real komponiert Durón, neben zahlreichen geistlichen Werken, auch eine Reihe von Zarzuelas für den königlichen Hof. Die Zarzuela ist eine Art gesungenes Unterhaltungstheater mit oft schwierigen dramatischen Arien, die sich bei Durón schon dem italienischen Opernstil annähern. Daneben aber enthalten sie auch heitere, volkstümliche Melodien für die buffo-Rollen. In diesem Punkt ähnelt sie der Opéra-comique der damaligen Zeit in Frankreich. Als Chor fungiert ein Quartett von Sängern, was an Madrigalgesang erinnert.

Eine dieser, meist von der klassischen Mythologie inspirierten Zarzuelas ist Coronis. Sie erzählt die Geschichte von der Nymphe Coronis, die von Triton, einem Adoptivsohn Neptuns, mit glühender Liebe verfolgt wird, die sie aber nicht erwidert. Der Bauer und die Bäuerin Menander und Sirene rufen Jäger, Hirten und Nymphen zusammen, um das Monster zu vertreiben. Der Wahrsager Proteus verheißt Krieg zwischen Apollo und Neptun, die beide ein Auge auf die schöne Nymphe und die Stadt Phlegra in Thrazien geworfen haben. Er fordert sie alle auf, sich Apollo anzuvertrauen. Im Kampf der Götter, in dem der eine die Stadt verbrennt, der andere sie überflutet, siegt Neptun. Die Thrazier bringen ihm Opfer dar. Nur Proteus widersteht. Menander und Sirene haben die Katastrophen überlebt und streiten sich sofort wieder wie ein altes Ehepaar.  In dem Tumult will Triton Coronis entführen, wird aber von Apollos Speer durchbohrt und stirbt. Daraufhin geraten Apollo und Neptun erneut aneinander. Doch die Götterbotin Iris erscheint mit der Forderung Jupiters an die Götter, den Kampf zu beenden, und an Coronis, zwischen den beiden Bewerbern zu wählen. Coronis wählt Apollo, weil er sie von Triton befreit hat. Sie wird mit ihm vermählt und Menander und Sirene dürfen sich als Paar der Hochzeit anschließen.

Foto © Stefan Brion

Regisseur Omar Porras hat sich für diesen Kampf der Götter von der alten Tradition der Ringkämpfer auf den Jahrmärkten der vergangenen Jahrhunderte inspirieren lassen. Das pastorale Mythos ist daher von einer Reihe von Tänzern und Zirkus-Akrobaten, aber auch von Feuerwerk aller Art begleitet, was in der sonst eher statischen Handlung ständig Abwechslung schafft. Das Dekor Amélie Kiritzé-Topors ist ein einheitlich von Felsen umgebener Bühnenraum mit wechselnden stilisierten Kulissen. Mathias Roches Beleuchtung passt sich gut den jeweiligen Szenen an. Und Bruno Fatalots Kostüme der Götter sind sehr fantasievoll: Neptun blau-grün schillernd, hoch oben auf einem roten Korallenthron, Apollo als kleiner eitler Sonnenpopanz, der, wie ein Teufel aus der Büchse einem alten Schrankkoffer entsteigt oder auf Stelzen als riesiger, goldener Sonnenkönig daherkommt, und Triton etwas tolpatschig als silbern glitzernder Salamander. Die Nymphe Coronis mit feuerroter Perücke ist in dunkle Schleier gehüllt, die aber viel von ihren Reizen durchblicken lassen. Die übrigen Kostüme sind eher einfach, und hätten ein wenig mehr Fantasie verdient. Auch die Choreografie ist nur teilweise wirkungsvoll. Die genaue Personenregie ergibt ein buntes, fantasievolles und poetisches Durcheinander mit einem deutlichen Zug ins Burleske.

Stimmlich folgt die Oper der spanischen Tradition der Zeit, fast alle Rollen von Frauen singen zu lassen, weil man zu tiefe Männerstimmen als vulgär empfand.

Marie Perbost erfreut uns als stimmlich und schauspielerisch quecksilbrige, temperamentvolle Nymphe Coronis, wenn auch ihre Spitzentöne nicht immer ganz rein sind. Sehr reizvoll ihre Arie am Schluss der Oper mit Streicher-pizzicato und Harfenbegleitung. Sehr eindrucksvoll sind Isabelle Druets lamenti, die mit klangvollem, sehr intensivem Mezzo den verschmähten Tritonen singt und spielt. Als einzige Männerstimme beschert uns Cyril Auvity mit leuchtendem Tenor einen würdigen Proteus. Bewusst komisch, um nicht zu sagen slapstick-grotesk, und stimmlich sehr beweglich sind Anthea Pichanick und Victoire Bunel als Menander und Sirene.  Marielou Jacquard ist sehr wirksam der phlegmatische Neptun, und Caroline Meng durchläuft mühelos die oft schwierigen Koloraturen des Apoll. Zu erwähnen seien noch Eugénie Lefebvre die wie eine Alice in Wonderland die Götterbotin Iris gibt und Stephan Olry als den Bauern Marta und natürlich die unermüdlichen Tänzer und Akrobaten.

Das Barock-Ensemble Le Poème Harmonique ist, um dieser spanischen Zarzuela gerecht zu werden, durch eine Harfe, zwei Gitarren und Kastagnetten verstärkt. Vincent Dumestre, dem das Wiedererstehen dieses erstaunlichen vergessenen Werkes weitgehend zu verdanken ist, dirigiert es sicher und mit sichtlicher Freude.

Es ist ein fröhlicher Abend, und das Publikum ist sehr angetan von der Oper und sichtlich glücklich, sie, wenn auch mit Maske, sehen zu dürfen.

In dem Sinne schreibt auch die Dramaturgin der Opéra Comique, Agnès Terrier, in einem Wortspiel über Coronis: „So wollen wir hoffen, dass durch die Gnade der Musik und der Bühne, Coronis, von der Ovid erzählt, dass die Leibesfrucht ihrer Liebe mit Apollo der Gott der Medizin Äskulap war, die zwei Jahre der Opéra Comique unter dem Joch eines gewissen corona-Virus zu Ende bringt.“

Alexander Jordis-Lohausen