O-Ton

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Foto © Vincent Pontet

Aktuelle Aufführungen

Aida als Gliederpuppe

AIDA
(Giuseppe Verdi)

Gesehen am
18. Februar 2021
(Livestream)

 

Opéra National de Paris

Guiseppe Verdi war ein engagierter Patriot zur Zeit der Einigungsbestrebungen Italiens Mitte des 19. Jahrhunderts, und sein Name wurde sogar zur Propaganda-Abkürzung für den künftigen König: Vittorio Emanuele Re DItalia. So ist es nicht erstaunlich, dass man einigen seiner Opern, und vor allem der frühen Oper Nabucco, aber auch der späten Oper Aida politische Absichten unterstellt hat.

Ebenso wenig ist es daher erstaunlich, dass die Regisseurin Lotte de Beer diese Aufführung ganz in den Dienst einer im zeitgenössischen Frankreich seit Jahrzehnten geführten politischen Debatte gestellt hat – der kolonialen Vergangenheits-Bewältigung. Schließlich ist es ja die Geschichte der unmöglichen Liebe des Heerführers der Unterdrücker mit der gefangenen Prinzessin der Unterdrückten, eine Geschichte, die noch dazu in Afrika spielt, eine Oper, die in Kairo uraufgeführt wurde! Alle Ingredienzien für eine politisch korrekte Inszenierung sind gegeben.

De Beer erklärt dazu mit etwas naiver Begeisterung in einem Video zu Aida: „Wir verwenden hier Kunst als Metapher und wir erzählen die sehr politische Geschichte des Westens, des Kolonialismus, des Post-Kolonialismus, worauf wir nicht im Einzelnen eingehen, aber wir verwenden zwei Kunststile, konfrontieren sie und schaffen damit den Rahmen für diese Romeo-und-Julia-Geschichte … Es ist ein sehr interessantes Aufeinanderprallen zweier völlig verschiedener Welten … Wir haben eine historische Handlung: wenn wir diese Handlung mit Bildern aus unserer heutigen Welt verbinden, und so aufbereiten, dass sie durch die Macht der Musik dahinsurfen, dann ergibt sich etwas Allgemeingültiges.“ Und sie fügt hinzu: „Als weiße Europäerin brauchte ich eine solide Künstlerin als Partnerin, die all das darstellt, was mich von Aida trennt. Wir haben daher eine visuelle Künstlerin aus Zimbabwe, Virginia Chihota, gebeten, die Gestalten der Aida und des Amonasro sichtbar zu machen, sowie auch ihre Sehnsucht nach ihrer Heimat. Virginia Chihotas Arbeit unterstreicht die Fähigkeit der Frauen, Grenzen zu verwischen, und stellt die Frage nach der Zugehörigkeit. Auf der Basis der Opernhandlung und historischer Nachforschungen hat sie die Protagonistin und ihren Gesichtspunkt in den verschiedenen Phasen des Werkes aufgezeichnet.“

Auf die Bühne übertragen sieht das dann so aus: Alle diejenigen, die das pharaonische Ägypten repräsentieren, tragen Anzüge, Uniformen und Prunkkleider des Second Empire oder wie in der Haremsszene im zweiten Akt reizvoll weiße Negligés der Belle Époque. Die gefangenen Äthiopier hingegen sind dunkelgrau und unscheinbar gekleidet, einschließlich Aida. Ein Bühnenbild gibt es eigentlich nicht, die meist dunkle Bühne ist entweder durch „Gemälde“ oder durch Vorhänge begrenzt. So vergnügt sich die illustre Gesellschaft im zweiten Akt damit, in bewundernswert schneller Abfolge „lebende Bilder“ auf der Bühne zu stellen: einen altägyptischen Umzug, Napoleon beim Überschreiten der Alpen von David, verschiedene Schlachtenszenen, Die Freiheit führt das Volk von Delacroix, bis hin zu Raising the Flag in Iwo Jima. Das achte und letzte dieser lebenden Bilder, die wohl den einen „Kunststil“ repräsentieren sollen, ist dann Amneris, etwas grotesk geflügelt, als Siegesgöttin und Radames – Jonas Kaufmann schaut dabei etwas skeptisch drein – als gefeierter Siegesheld. Den anderen „Kunststil“ repräsentieren  die Hintergrundgemälde der Virginia Chihota, eine Mischung aus archaischer, primitiver und moderner Malerei, wohl eine Art Psychoanalyse auf Leinwand.

Aber die einschneidendste Besonderheit dieser Inszenierung ist die Aida-Marionette Mervyn Millars, die als alter ego Sondra Radvanovsky überall hin auf der Bühne begleitet. Man muss zugeben, dass sie manchmal eine gewisse starre Ausdruckskraft hat. Aber sie verhindert, dass die Sängerin ihre Rolle auch schauspielerisch auszuleben kann, weil ihr diese grau-schwarze, etwas klobige Gliederpuppe, die einer schwarz-afrikanischen Skulptur ähnelt, von vier „Assistenten“ belebt, ständig vorausschreitet und schauspielerisch die Titelheldin verkörpert. Dasselbe Schicksal trifft Ludovic Tézier als Amonasro. Sie dürfen nur hinterher gehen und singen. Das ist weder einleuchtend noch zufriedenstellend.

Dagegen ist die Aufführung musikalisch sehr gelungen. Sondra Radvanovsky füllt die schwierige Rolle der Aida meisterhaft aus, ihre Stimme bleibt weich und rund auch in den dramatischen Szenen und ihre fast nur gehauchten pianissimi sind berückend wie in ihrer ersten großen Arie Ritorna vincitor! Jonas Kaufmann ist mit strahlendem Heldentenor ein eindrucksvoller Radames, was schon in der Huldigung im ersten Akt Celeste Aida! Forma divina zum Ausdruck kommt. Ksenia Dudnikova ist mit eindringlicher, kraftvoller Mezzosopran-Stimme und schauspielerischem Talent eine temperamentvolle Amneris. Besonders im dramatischen und vergeblichen Versuch, Radames zu retten und für sich zu gewinnen Gia sacerdoti adunansi im vierten Akt. Ludovic Tézier darf als Amonasro nur seinen gediegenen Bariton darbieten, aber bleibt wie Aida schauspielerisch in Hintergrund. Soloman Howard ist erhaben der Pharao und Dmitry Belosselskiy der unerbittliche Ramfis.

Szenisch hat eigentlich nur das Schlussbild eine gewisse Größe. Auf kahler, rechts und links abgeschrägter Bühne liegen im fahlen Gegenlicht zahllose Gliederpuppen-Leichname. Das ist der Ort, an dem Aida und Radames im Liebestod vereint sind. Der Zuhörer ist begeistert, denn Kaufmanns und  Radvanovskys langgezogenes mezzavoce unisono ist wunderbar. Der leidgeprüfte Zuschauer hingegen ist frustriert. Er sucht immer noch das Allgemeingültige und hat zudem große Schwierigkeiten, den Liebestod des Radames mit einer plumpen Gliederpuppe im Arm nachzuvollziehen.

Michele Mariotti dirigiert die Solisten, Chor und Orchester der Opéra National de Paris nuanciert und mit Einfühlungsgabe.

Jonas Kaufmann hat vor ein paar Jahren in einem Interview erklärt: „Es ist wichtig, dass wir diese Stücke (gewisse Opern) aktualisieren. Aber wenn wir das auf eine Art und Weise tun, die nur abstößt und provoziert, dann fällt der Kern der Idee, nämlich die Unterhaltung weg … Ich bin ein politischer Mensch, aber wenn ich eine Opernrolle interpretiere, hat das nicht die oberste Priorität.“ Was er wohl hierzu gesagt oder gedacht hat?

Alexander Jordis-Lohausen

 

Jonas Kaufmann hat in einem Interview mit dem Figaro am 19. Februar zu der Aufführung Stellung genommen: „Mein persönlicher Eindruck ist es, dass blackface, in seiner negativen Bedeutung, sich hauptsächlich auf Situationen bezieht, in denen die Stereotypen eines Volkes oder einer Rasse verspottet werden, indem man sie beispielsweise als dumm oder bestechlich bezeichnet. Auf Aida trifft all das keineswegs zu. Aida ist eine fantastische Frau, sehr intelligent, eine der stärksten und großzügigsten Persönlichkeiten des Repertoirs. Wieso sollte es eine Beleidigung sein, dass sie schwarz ist? Man findet bei ihr nur Positives. Bei den Hindernissen zwischen den beiden Völkern, hätte Radames sie sonst nie lieben können. Im Gegensatz zu dem, was vielfach behauptet wird, ist er ja nicht ein unerfahrener junger Mann, der sich in die Erstbeste verliebt, die daherkommt, sondern ein Mann mit einer gewissen Reife. Soviel dazu, aber ich bin mit dem Regietheater aufgewachsen. Ich weiß, dass Regisseure in vielen Situationen Alternativen finden … solange  sie das, was der Komponist sich gedacht hat und das, was die Musik ausdrückt, repektieren!“