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Aktuelle Aufführungen

Theater für die Stadt

FROM HORROR TILL OBERHAUSEN
(Falk Rößler, Nele Stuhler)

Gesehen am
11. Dezember 2020
(Premiere)

 

Theater Oberhausen

Derzeit ist viel in Bewegung im „Online-Theater“. Während Solo-Künstler immer noch zweifeln und zaudern, kommen die Institutionen allmählich in Schwung. Vor allem Musiktheater-Liebhaber kommen auf ihre Kosten. Ob sie in historischen Aufführungen schwelgen oder sich einen Überblick über aktuelle Arbeiten der Opernhäuser machen wollen – sie haben ziemlich freie Auswahl. Und das meist kostenfrei, obwohl es inzwischen auch hier erste Versuche gibt, Erlöse zu erzielen. Dann gibt es mehr und mehr Häuser, die tatsächlich ihre Produktionen für den Online-Auftritt einrichten.

Einen Schritt weiter sind jetzt die Theatergruppe Fux und das Theater Oberhausen gegangen, indem sie aus einer geplanten Theaterproduktion kurzerhand einen „Dokumentarfilm“ gemacht haben. Fux, das sind Falk Rößler und Nele Stuhler, die für Regie und Text zuständig sind. Ihre Ausgangsidee ist ja der Traum – fast – eines jeden Intendanten: Theater für die Stadt zu machen. Aber woher kann man eigentlich wissen, was die Bürger einer Stadt wollen? Na ja, man muss sie fragen. Und zwar gründlich. In Einzelbefragungen. Anschließend kann man das Ergebnis in öffentlichen Sitzungen zu einem idealen Theaterstoff verdichten, dem die Bürger zustimmen, um das Publikum „zu packen“. Immer wieder klingt dieser innige Wunsch durch. Spätestens, wenn man einen ganzen Spielplan erstellen muss, wird ein solcher Vorgang Illusion, aber im Film will das Kollektiv Panorama, so nennt sich die Schauspieltruppe, ja nur den einen Hit landen.

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In zwei Stunden bekommt der Zuschauer Gelegenheit, die Produktion von der Befragung bis zum Schlussvorhang zu verfolgen. Da in Oberhausen, Leipzig und Dresden gedreht wurde, wurde vielfach auf Originalschauplätze verzichtet. Stattdessen gibt es Hintergrundbilder aus der Green Box. Die Texte, die die Darsteller in der ersten Hälfte aufsagen, spielen – bisweilen klischeehaft – mit Fremd- und Selbstwahrnehmung der Theaterleute. Trotzdem kommt man hier und da nicht um ein Schmunzeln herum, etwa, wenn es darum geht, wer bei der Produktion das Sagen hat. Da ringt in so manchem die Idee des Kollektivs mit der eigenen Eitelkeit. Auch bei der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und des eigenen beruflichen Erfolgs gewinnt die Selbstwahrnehmung sehr stark die Oberhand. Aber es zieht sich etwas. Immerhin ist dem Zuschauer ja eine Aufführung der Geschichte von From Dusk Till Dawn im Gewand der Rocky Horror Show versprochen. Da sind anderthalb Stunden, bis man ans „Eingemachte“ kommt, schon recht lang. Auch wenn der Einfall, einen Kommissar Sommers zu installieren, der dem „fahrenden Volk“ mit kriminalistischem Ehrgeiz nachspürt, für heiteren Kurzweil sorgt.

Jost von Harleßem hat als Bühne verschiedene Räume ausgemacht. Die Werkstatt mit einem schrottreifen Wohnwagen, die Bühne sowie die Maske bieten wunderbare Hintergründe für eine exzellente Kameraführung, bei der von Harleßem von Nazgol Emami unterstützt wird. Da gibt es abwechslungsreich wirklich nahezu alles, was der Filmenthusiast sich von einem solchen Werk wünscht. Natürlich sind die Kostüme, schon budgetbedingt, weit von einer Rocky Horror Picture Show entfernt, aber vor allem im Aufführungsteil lässt Kathi Sendfeld sich einiges Buntes einfallen.

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Überhaupt ist mit dem Monolog Was ihr wollt, den Anna Polke brillant serviert, der Durchbruch geschafft. Ab jetzt gibt es die versprochene Mischung der beiden Kultwerke. Hier kann die großartige Besetzung, die schon im ersten Teil außerordentlich gut gefiel, noch einmal drauflegen. Ob Torsten Bauer als Bernd respektive Jacob, Sharri Asha Crosson als Jeannette und später Seth oder Ronja Oppelt als Maren und Santanico, die das Kollektiv bilden – sie alle zeigen sich wunderbar authentisch, spielfreudig und textsicher. Das gilt auch für Christian Bayer, Henry Morales und Florian Fiedler. Von letzterem als Intendant hätte man sich vielleicht eine Spur mehr Enthusiasmus gewünscht, aber dass es auch luschige Intendanten gibt, ist keine neue Erfahrung. Als das Ensemble beim Blutbad-Boogie und damit endlich bei der Rocky Horror Show angekommen ist, nimmt auch die Musik Fahrt auf.

Jan Arlt, Tino Kühn, Nils Michael Weishaupt und Domenik Grabert müssen sich als Band Nasse Asche ebenfalls in der ersten Hälfte zurückhalten, um bei der Aufführung so richtig aufzutrumpfen. Sie punkten mit deutschen Texten, schließlich soll ja ein Musical gezeigt werden, und musikalischer Vielfalt, die nicht mit Zitaten aus beiden Filmen spart, aber das Geschehen auch mit eigenen Einfällen abrundet.

Insgesamt ist hier eine großartige Produktion gelungen, die zeigt, dass Theaterleute sehr wohl in der Lage sind, ihr Publikum auch online zu begeistern. Und auch, wenn die Zuschauer nichts für den Genuss ein zweites Mal bezahlen müssen, haben doch alle Beteiligten ihr Honorar dank öffentlicher Förderung erhalten. Dass sie auf die Anerkennung, zwar nicht in Form direkten Applauses vor der Bühne, aber doch nicht verzichten müssen, wird auch daran liegen, dass der Film noch bis Jahresende zu sehen sein wird. Wenn allerdings die Kommentarfunktion zum Film deaktiviert wird, wird es auch mit dem virtuellen Applaus schwierig.

Michael S. Zerban