O-Ton

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Plakativ marschiert

BAD MOTHERS
(Reut Shemesh)

Besuch am
13. April 2022
(Premiere am 18. März 2022)

 

Theater Oberhausen, Probebühne 2

Theater Oberhausen? Das kennt man doch. Das sympathische Haus am Will-Quadflieg-Platz im Stadtteil Altstadt-Mitte mit seinem ganz eigenen Charme lädt zur Aufführung eines Tanzstücks zur Probebühne 2 ein. Eine kleine Überraschung. Die liegt nämlich nicht gleich um die Ecke, wie man erwarten könnte, sondern im Gewerbegebiet Buschhausen. Zwischen Baufachhandel und Karosseriebau steht ein Gebäude, das in seinen Ausmaßen die des Theaters zu übersteigen scheint. Allerdings gibt es hier kein eindrucksvolles Entrée. Stattdessen werden die Zuschauer durch ein Zelt über einen Seiteneingang auf eine kleine Bühne gelotst. Vier Sitzreihen, von denen die erste unterhalb des Sichtfeldes auf das Bühnenpodium aufgebaut und damit de facto unbrauchbar ist. Ein gemütliches Ambiente, das das Umfeld schnell vergessen lässt.

Schwangerschaft und Geburt – bis heute ist das eine Lebensphase, die uns Menschen besonders beeindruckt. Die Schwangere selbst wie ihren Partner, aber auch das familiäre wie gesellschaftliche Umfeld. Bis heute ist es ein Ausnahmezustand in unserem Leben. Daran können feministische Aktivisten nichts ändern, auch wenn sie inzwischen ein Weltbild propagieren, das vielen Frauen eher schadet als nützt. Heute ist die Schwangere allein für die Schwangerschaft zuständig, ist die Superfrau, die das selbstverständlich in der Vorfreude auf das neue Leben wuppt. Frohgemut schreitet sie durch das Leben, nimmt aktiv am Berufsleben teil, um dann voll und ganz in der Freude und Liebe über das Neugeborene aufzugehen. Weil es ja keinen „süßeren“ Säugling als den eigenen gibt. Reut Shemesh möchte an diesem Klischee ein wenig kratzen und hat deshalb mit dem Schauspielensemble am Theater Oberhausen das zeitgenössische Tanzstück Bad Mothers erarbeitet.

Ronni Shendar hat dafür eine spartanische, aber raffinierte Bühne erarbeitet. Drei weiße, trapezförmig auseinanderlaufende Wände bilden den scheinbaren äußeren Rahmen, der im Hintergrund über eine Tür und rechts über ein Fenster verfügt. An den Rückseiten der Wände sind für das Publikum unsichtbar zusätzliche Gänge angebracht. Auf der Bühne ist ein weiß angestrichenes Baumskelett aufgestellt, das zur Geburt entfernt wird. Rechts hinter der Wand ist eine Scheibe aufgehängt, die vielleicht den Mond darstellen soll, der die Stadien der Menschwerdung in Licht und Farbe nachzeichnet. Nur das Shendar, der das Licht eindrucksvoll eingerichtet hat, die Geburt nicht in rosarot darstellt, sondern farblich eher als ziemlich blutige Angelegenheit.

Bis dahin haben Susanne Burkhard, Agnes Lampkin und Lucija Romanewa als werdende Mütter Gelegenheit, in den glänzenden Ganzkörperanzügen, die Andrea Barba entworfen hat, ihre dicken Bäuche zu zeigen, um der Welt zu beweisen, wie leistungsfähig und stark sie sind. Da wird, wie es sich bei Shemesh gehört, marschiert, gestampft und getanzt, dass der Bühnenboden wackelt. Auch die Gesellschaft – Torsten Bauer, Niv Melamed, Ronja Oppelt, Daniel Rothaug und Luna Schmid sind in weiße Tennisdresses mit kurzen Hosen gekleidet – feiert die Schwangeren. Ob Sprechchöre oder Musik, Simon Bauer zeichnet hier verantwortlich, alles ist laut und dröhnend. Nichts kann diese Wand der Vorfreude durchdringen, egal auf welcher Ebene. Die Kinder, die schließlich entschlüpfen, sind, oh, Wunder, keine Schönheiten. Ihre Köpfe sind zu groß, der Schaumstoff erinnert eher an entstellte Fratzen.

Und wirklich. Die Hirschkuh – eine wunderschöne Maske – erzählt davon, dass man neun Monate Entbehrungen und Belastung hinter sich hat, um endlich ein verknittertes Gesicht zu sehen, zu dem man in der Erschöpfung der Wehen beim besten Willen kein positives Gefühl entwickeln vermag. Und von der Figur, die den Partner einst lockte, mit der Frau das Kind zu zeugen, ist sie ohnehin noch viele Kilogramm entfernt.

Vieles ist an diesem Abend dick und laut aufgetragen. Sehr plakativ. Die Aufmärsche, die streckenweise an Cobra blonde erinnern, trampeln über jedes Gefühl hinweg. Aber vielleicht ist der stellenweise brachiale Auftritt genau das Richtige, um einige Weltbilder wieder zurechtzurücken. Es gab übrigens auch eine Zeit, in der Männer in die Schwangerschaft einbezogen wurden. Das ist zwar lange her, aber so ganz falsch war es nicht. Um sich darüber zu unterhalten, braucht es vielleicht einen Choreografen.

Wer die Probebühne 2 des Theaters Oberhausen mal kennenlernen will: Am 6. Mai gibt es eine gute Gelegenheit dazu. Dann findet die Premiere von Anna Seghers‘ Transit in der Regie von Hakan Savaş Mican statt.

Michael S. Zerban