Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
TRIUMPH!
(Ludwig van Beethoven et al.)
Besuch am
23. Oktober 2022
(Einmalige Aufführung)
Albrecht Mayer, der langjährige Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker, schwimmt derzeit auf einer Welle des Erfolges. Seine kürzlich erschienene bewegende Autobiografie Klangwunder, über die auch O-Ton berichtet hat, hat es auf Anhieb in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft, und für sein aktuelles Album Mozart: Works for Oboe and Orchestra/Piano hat Mayer einen Fernsehpreis erhalten. Nun gibt Mayer in der Nürnberger Meistersingerhalle ein symphonisches Konzert mit den Nürnberger Symphonikern, in der Doppelfunktion als Dirigent und Oboist. Viele wissen nicht, dass Mayer auch sehr viele Konzerte als Dirigent gibt, in diesem Jahr feiert er sein 20-jähriges Dirigentenjubiläum. Das ist also nicht die Marotte eines nach Höherem strebenden Orchestermusikers, sondern ernste und seriöse Professionalität. Fast alle seine CD-Einspielungen hat er auch selbst dirigiert, wie er im Einführungsgespräch vor dem Konzert dem Publikum verrät. Welcher Künstler stellt sich eine halbe Stunde vor Konzertbeginn ins Foyer, plaudert mit einer Co-Moderatorin über das Programm und beantwortet Fragen aus dem Publikum? Mayer hat nicht nur die Ruhe weg, er ist ein Künstler ohne Allüren, dem sein Publikum wichtig ist und mit dem er die Interaktion sucht. Mit viel Witz und Charme nimmt er die Besucher mit und stimmt sie auf das folgende Programm ein, dass mit Triumph übertitelt ist. Doch es ist nicht der momentane Erfolg Mayers, der mit dem Konzerttitel gemeint ist, sondern die programmatische Überschrift für die zwei zentralen symphonischen Werke des „Heroischen Stils“ von Ludwig van Beethovens mittlerer Schaffensphase. Zum einen ist es die Ouvertüre zu Goethes Trauerspiel Egmont, zum anderen ist es die Symphonie Nr. 5 in c-Moll op.67, die „Schicksalssinfonie“. Natürlich darf in einem Konzert mit Mayer die Oboe nicht fehlen, und so stehen neben den heroischen symphonischen Werken das charmante F-Dur-Oboenkonzert des böhmischen Klassikers Jan Antonín Koželuh sowie eine Englischhorn-Streicher-Bearbeitung von Mozarts Motette Ave verum corpus auf dem Programm, letztere hat Mayer auch für sein aktuelles Album eingespielt.
Das Konzert eröffnen die Nürnberger Symphoniker mit der wuchtigen Ouvertüre zu Egmont in f-Moll op.84 von Ludwig van Beethoven, uraufgeführt am 24. Mai 1810 in Wien. Gerade erst ist eine hörenswerte Einspielung des gesamten Trauerspiels mit dem Münchner Rundfunkorchester und dem Schauspieler August Zirner als Sprecher erschienen. Die Ouvertüre ist eine symphonische Dichtung und wird meist als Konzertstück losgelöst vom gesamten Trauerspiel gegeben. Sie beginnt langsam und tragisch in f-Moll und endet nach gut zehn Minuten in triumphalen Dur-Tönen. Mayer dirigiert die Ouvertüre ohne Noten, verleiht den ersten Takten eine majestätische Wucht. Die Nürnberger Philharmoniker bestehen zu einem großen Teil aus jungen Musikern, die hochmotiviert und engagiert dem präzisen Schlag Mayers folgen. Er ist von Haus aus Orchestermusiker und hat daher eine innere Bindung zum Orchester, die sein Dirigat als etwas Besonderes erscheinen lässt. Da steht kein überhöhter Kapellmeister am Pult, sondern ein Primus inter pares, der die Musik, die er als Orchestermusiker und Oboist so oft selbst gespielt hat, lebt. Der Dirigent Mayer und sein Orchester, das ist eine wunderbare Symbiose, die auf gegenseitigem Respekt und Wertschätzung fußt. In das Finale der Ouvertüre legt er alle Dynamik und Energie.
Nach diesem furiosen Auftakt wird es kammermusikalisch leicht und heiter, das Konzert für Oboe und Orchester in F-Dur von Jan Antonín Koželuh steht auf dem Programm. Koželuh, ein Zeitgenosse Mozarts, war ein böhmischer Komponist. Seine musikalische Ausbildung erhielt er am Jesuitenkolleg in Preßnitz, in Prag und in Wien, wo Christoph Willibald Gluck, Florian Leopold Gassmann und Johann Adolph Hasse zu seinen Lehrern gehörten. Zeit seines Lebens stand er aber im Schatten seines Cousins Leopold Antonín Koželuh, den er zeitweise sogar unterrichtet hatte. Im Zentrum von Koželuhs Schaffen stand die Geistliche Musik, so komponierte er unter anderem über vierzig Messen, fünf Requiems, und zwei Oratorien. Sein Oboenkonzert ist eines der wenigen erhaltenen Instrumentalwerke, das um 1780 entstanden ist. Es ist ein eingängiges, charmantes Werk, das man einfach nur genießen kann. Albrecht Mayer hat es bereits vor einigen Jahren auf seinem Album Lost and Found – Verloren und wiedergefunden – als Rarität und Kleinod eingespielt. Der erste Satz Vivace beeindruckt durch seine Leichtigkeit und Eloquenz, mit italienischen Anklängen, heiter und bewegt. Das Adagio des zweiten Satzes ist etwas getragener, klingt schon sehr nach Mozart, mit großer Empfindsamkeit. Mayer spielt den Solopart ohne Orchester sehr gefühlvoll, es klingt, als ob er seine Oboe zum Singen bringe. Das Rondo Allegretto im dritten Satz beginnt wie ein Tanz mit großer Leichtigkeit, die Oboe lässt die Koloraturen perlen wie ein Sopran, während das Stück mit einem Finale furioso seinem musikalischen Höhepunkt entgegenstrebt. Mayer spielt mit großer Intensität, und dirigiert dabei noch das Orchester. Da genügt eine kleine Handbewegung oder ein Kopfnicken zu Anna Reszniak, der Ersten Konzertmeisterin der Nürnberger Symphoniker, und Solist und Orchester sind eins.
Eigentlich stand zum Schluss des ersten Teils die Motette Ave verum corpus von Wolfgang Amadeus Mozart in einem Arrangement für Englischhorn und Streicher auf dem Programm. Doch Mayer wendet sich an das Publikum und verkündet, das wunderbare Stück im zweiten Teil zu spielen. Stattdessen nimmt er die Sinfonia, also die orchestrale Einleitung der Kantate Ich hatte viel Bekümmernis von Johann Sebastian Bach ins Programm. Die Sinfonia ist eine persönliche Widmung Mayers an seinen vor kurzem verstorbenen Freund und Kollegen Lars Vogt, der selbst oft mit den Nürnberger Symphonikern aufgetreten ist. Gemeinsam mit Reszniak und dem Kammermusikensemble interpretiert Mayer die klagende Sinfonia mit großer Emotion und Tiefgang. Nach dem Schlusston verharrt Mayer für einige Sekunden mit der Oboe an den Lippen. Es ist ein bewegender Moment, auch für Mayer selbst, und eine wunderbare Hommage an den viel zu früh verstorbenen Dirigenten und Pianisten Lars Vogt.
Foto © O-Ton
Nach der Pause eröffnet Mayer mit dem versprochenen Ave verum corpus und tauscht dafür die Oboe mit dem Englischhorn. In dem Arrangement des Ave verum corpus für Englischhorn und Streicher von Matthias Spindler und Albrecht Mayer übernimmt das Englischhorn den Part des Chorgesangs. Mayer intoniert die Hauptmelodie innig und feierlich, in vollendeter Harmonie. Der Begriff der „singenden Melodik“ bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Leider zerstören einige penetrant laute Huster den ruhigen Schluss und die feierliche Stimmung.
Zum Schluss des Konzertes legt Albrecht Mayer sein Instrument wieder zur Seite und hat dafür den Dirigentenstab fest in der Hand, zum Höhepunkt des Abends, Ludwig van Beethovens Symphonie Nr. 5 in c-Moll op. 67, die am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien zusammen mit der 6. Symphonie, der Pastoralen, uraufgeführt wurde. Sie gilt bis heute als eine der populärsten Symphonien Beethovens, auch wegen des viertönigen „Poch-Motivs“ zu Beginn des ersten Satzes. Anton Schindler, Diener und späterer Biograf Beethovens, hat berichtet, dass der Komponist die Einleitung in Hinblick auf sein Gehörleiden mit den Worten „So klopft das Schicksal an die Pforte“ erklärt haben soll. Auch wenn wir heute wissen, dass diese Aussage eine Erfindung Schindlers war, erhielt die Symphonie den Beinamen „Schicksalssymphonie“, der sich bis heute erhalten hat. Klaus Meyer schreibt im Programmheft zu diesem Konzert, dass ihre Tonart c-Moll fortan „die“ Tonart der Fünften und damit untrennbar mit der Bedeutung des Schicksalhaften verbunden ist. Mayer weiß um die Macht der Musik dieser Symphonie. Wie oft hat er sie als Orchestermusiker schon mit den Berliner Philharmonikern gespielt. Er kennt sie auswendig, braucht keine Noten, und jeder Schlag, jede Geste von ihm ist lesbar und präzise, unprätentiös und ohne Allüren. Den ersten Satz Allegro con brio schlägt er dynamisch an, mit einem durchaus flotten Tempo, wobei er trotz der Schnelligkeit den Spannungsbogen hochhält, um den ersten Satz majestätisch abzuschließen. Der zweite Satz Andante con moto – più mosso ist moderat bis getragen. Der dritte Satz Allegro nimmt zu Beginn das Thema des ersten Satzes auf, als ob er antworten möchte. An dieser Stelle kommt der warme und wohltönende Klang des Orchesters besonders gut zur Geltung. Ohne Pause, ohne Innehalten geht der Satz in den Finalsatz über, wuchtig und majestätisch, mit höchster Spannung und Energie, um dann im Finale zu kumulieren und furios zu enden.
Das Publikum bricht in großen Jubel aus, die Spannung der letzten 30 Minuten fällt auch von den Zuschauern ab. Albrecht Mayer, Anne Reszniak und die Nürnberger Symphoniker dürfen den langanhaltenden und verdienten Applaus entgegennehmen. Es ist ein bewegendes, emotionales Konzert mit sehr vielen Gänsehautmomenten, in dem Mayer an der Oboe und am Englischhorn begeisterte und als Dirigent charismatisch brillierte. Und Mayer ist ein Künstler zum Anfassen, der nicht nur die Musik liebt, sondern auch sein Publikum. Nicht nur, dass er vor dem Konzert charmant in das Programm eingeführt hat, nach dem Konzert signiert er seine Biografie und seine Alben, macht Selfies mit seinen Fans, beantwortet geduldig Fragen und hat für jeden ein freundliches Wort. Auch das macht seine Popularität aus. Ein Abend, den die Konzertbesucher in Nürnberg so schnell nicht vergessen werden.
Andreas H. Hölscher