O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Ohne Schmäh

DER ROSENKAVALIER
(Richard Strauss)

Besuch am
3. April 2022
(Premiere)

 

Staatstheater Nürnberg

Wer in eine Neuinszenierung eines Rosenkavalier von Richard Strauss geht, erwartet in der Regel Wiener Charme und Schmäh, opulente Kostüme und ein Eintauchen in eine Gesellschaftsform, wie wir sie nur noch aus den Filmen der frühen fünfziger Jahre kennen. Regisseur Marco Štorman, Absolvent der Falckenberg-Schule und mehr durch Arbeiten für Film und Schauspiel bekannt, hat 2013 bereits den Rosenkavalier in Klagenfurt inszeniert. Das war sein Operndebüt, damals noch eher konventionell. Nun sein zweiter Versuch mit dem radikalen Ansatz, die Komödie für Musik von allem historischen Ballast zu befreien und das Stück ohne Charme und Schmäh auf die Bühne des Nürnberger Opernhauses zu bringen. Seine Deutung und Übertragung in ein zeitloses Heute gelingt allerdings nur ansatzweise und lässt vieles offen.

Es beginnt schon mit dem Bühnenbild von Frauke Löffel und Anna Rudolph, einem Stangengerüst in der Mitte der Bühne mit vielen beweglichen Lamellenflügeln, die Wandflügel drehbar. Alles ist entweder schwarz oder weiß, teilweise von grellem Neonlicht illuminiert, kein Wiener Rokoko-Ambiente. Es bleibt ein Einheitsbühnenbild, egal ob intimes Schlafzimmer der Marschallin im ersten Aufzug, pompöser Empfangssaal im Hause Faninal im zweiten Aufzug oder Gasthaus mit Spukeinlagen im Schlussakt, Štorman interessiert sich nicht für diesen Kontext. Es gibt auch keine Requisiten, rein gar nichts, was man mit dem Werk assoziieren könnte. Die Kostüme von Axel Aust entsprechen dem heutigen Zeitgeist, wirken eher uninspiriert und lassen ebenfalls keine Verbindung mit dem Werk erkennen. Unterm Strich hätte man auf das Setting verzichten können, denn das Ensemble auf der Bühne singt und spielt mit Bravour, rettet den Abend durch intensives Spiel und macht aus der Sahnetorte Rosenkavalier eine kleine Praline mit Bittergeschmack.

Im Vordergrund der Geschichte stehen zwei Beziehungsebenen, die durch das kongeniale Zusammenwirken von Richard Strauss mit dem Dichter Hugo von Hofmannsthal musikalisch und textlich verwoben werden. Da ist die reife, sich im besten Alter befindliche Feldmarschallin Fürstin Werdenberg und ihr gerade mal siebzehn Jahre alter Geliebter Octavian, der locker ihr Sohn sein könnte. Eine in der heutigen Zeit zwar auch eher ungewöhnliche Beziehung, aber im Wien zu Kaiser Maria Theresias Zeiten ein unerhörter Skandal, zumal es sich bei der Fürstin ja um die Gattin des Feldmarschalls handelt. Dieser Octavian ist körperlich versessen auf die Marschallin, die ahnt, dass die Leidenschaft sich bald abkühlen wird und sie den jungen Herrn Vetter an ein noch jüngeres Mädchen verlieren wird.  Es ist eine eher oberflächliche Beziehung, die der Fürstin schmerzhaft die Verletzlichkeit des Alters vor Augen hält. Octavian soll als Rosenkavalier für den Baron Ochs auf Lerchenau um die Hand der jungen und liebreizenden Sophie anhalten, und der Moment der Rosenüberreichung wirbelt auch musikalisch die Gefühlswelt der beiden jungen Menschen durcheinander. Der grobschlächtige derbe Ochs hat mit seinem rüpelhaften Charakter keine Chance bei dem jungen Mädchen. Und so entspannt sich um die beiden Beziehungen ein komödiantisches Verwirrspiel mit deftigem Klamauk, aber auch mit einigen wenigen großen und innigen Momenten wie dem Schluss, bei dem die Fürstin in schmerzhafter Erkenntnis der Realität auf den jungen Geliebten verzichtet, und das junge Liebespaar sein Glück kaum fassen kann, weil es ihnen wie im Traum vorkommt.

Für Regisseur Štorman stehen weniger die Konventionen im Vordergrund, sondern die Zeit und die Vergänglichkeit, im Mittelpunkt natürlich die Marschallin. Eine ältere Frau in einem eleganten schwarzen Abendkleid öffnet den Vorhang und legt die Finger an ihre Lippen. Ist das die Marschallin? Nein, denn die erscheint, noch sehr jugendlich, in einem blauen Satin-Schlafanzug, während Octavian mit Sakko zur Unterhose, Socken und Brille Typ Hipster-Student die Marschallin mit intensivem Liebesspiel umgarnt. Ein kleines Mädchen erscheint, pustet Seifenblasen in die Luft und trägt das gleiche schwarze Abendkleid wie die ältere Frau zu Beginn. Nun ist klar, diese beiden Figuren sind das Alter Ego der Marschallin und zeigen den Wandel der Zeit und die Veränderung der Figur. Nun ja, ein Strauss-Kenner rümpft da jetzt die Nase wegen zu viel Erklärstücks auf der Bühne, ist es doch die Gräfin selbst, die mit den Worten „jedes Ding hat seine Zeit“ über das Alter sinniert. Der Ochs von Lerchenau erscheint hier weniger als grobschlächtiger Weiberheld, sondern mehr als abgehalfterter Wiener Strizzi mit Lederjacke und Sonnenbrille. Will lässig und cool daherkommen, wirkt aber nur peinlich und ist ein schmieriger Unsympath. Octavian, nun kostümiert als Mariandl, räkelt sich lasziv auf dem Boden, spreizt die Beine und macht den Ochs auf eine plumpe und derbe Art an. Und so entwickelt sich die Szenerie. Valzacchi und Annina treten als mafiöses Intrigantenpaar auf, während Herr von Faninal und die Leitmetzerin elegant und neureich auftreten. Sophie ist ein braves biederes Mädchen, das vom Vater verheiratet werden soll, damit Herr Neureich dann mit Adelstitel von der Gesellschaft akzeptiert wird. Natürlich gibt es solche Arrangements auch heute noch, dennoch bleibt die Geschichte in dieser Inszenierung insgesamt blass. Octavian, der Rosenkavalier, überreicht die silberne Rose gehemmt und ohne Galanterie der unschuldigen Sophie, und dann verlieben sich die zwei pubertierenden Teenager ineinander, kichern und albern rum, wie das Teenager halt so machen, während Ochs einen Herzanfall vortäuscht mit viel Lärm und Getöse auf der Bühne und im Orchestergraben. Das wirkt alles albern, aber man kann sich darüber nicht amüsieren, weil die läppische Handlung auf der Bühne einfach nicht mit der großartigen Musik von Richard Strauss und der farbenreichen Dialektik von Hofmannsthal in Einklang zu bringen ist.

Da hat lediglich die klamaukhafte Szene im dritten Aufzug, wenn die vermeintliche Ehefrau mit einem halben Dutzend lärmender Kinder auf die Bühne stürmt, und Ochs in Unterhose sich zu retten versucht, was derb-witziges an sich, inklusive Schadenfreude für den Strizzi, der es mal wieder übertrieben hat. Zum Schluss tritt die Marschallin mit dunklen, hochtoupierten Haaren auf, um Octavian seinem Glück mit Sophie zu überlassen, die sich jetzt im Freizeit-Schlabberlook mit Pferdeschwanz vom Vater Faninal emanzipiert hat, der seinerseits auf ein Glück bei der Marschallin hofft. Ochs selbst macht sich am Schluss zum Affen, brüllt laut los, reißt sich das Hemd vom Leib, trommelt auf seine Plauze und stürmt von der Bühne. Das kleine Mädchen darf nun den Vorhang nach gut vier Stunden schließen und ein eher albernes Schauspiel beenden.

Eindeutig im Vordergrund steht an diesem Abend die musikalische und sängerische Darbietung. Es ist vor allem der Abend der Mireille Lebel, die mit der Partie des Octavian sängerisch und schauspielerisch alle Facetten ihres Könnens zeigen kann und dem jungen Galan neben großer Leidenschaft auch viel Esprit verleiht. Dass Lebel auch echt komisch kann, zeigt sie in der Verkleidung als Mariandl. Mit ihrem warmen Mezzosopran, der nicht nur ein breit angelegtes Fundament besitzt, sondern auch wunderbare Spitzentöne erzeugen kann, weiß sie zu begeistern. Auch Julia Grüter in der Partie der Sophie zeigt, dass sie über die strahlenden Höhen und den Liebreiz in der Stimme verfügt, die für die Gestaltung der Partie so wichtig sind. Im Zusammenspiel mit Lebel entwickelt sich zudem eine wunderbare Stimmharmonie, was die Rosenüberreichung im zweiten Aufzug und das finale Duett im dritten Aufzug zu einem sängerischen Höhepunkt werden lässt. Anfangs noch fast jugendlich ungestüm, entwickelt Emily Newton im Laufe der Partie eine bittersüße Melancholie in dieser Rolle. Ihr warmer, jugendlich dramatischer Sopran verfügt einerseits über eine hohe Strahlkraft, andererseits legt sie die Partie mit hoher musikalischer Intelligenz und Differenziertheit an. Ihr Spiel zeugt von großer Leidenschaft, doch in den innigen, schmerzlichen Momenten zeigt sie auch musikalisch die große Verletzlichkeit dieses Charakters, besonders beim Verzicht auf Octavian.

Patrick Zielke gibt mit wohltönendem Bass einen prolligen Ochs auf Lerchenau, ohne Wiener Schmäh. Dabei klingt seine Stimme manchmal so schön, und sein Spiel ist immer so am Rande des Klamauks, dass man diesem Strizzi nicht böse sein kann und ihm sein Verhalten am Ende verzeiht. Jochen Kupfer als eitler Herr von Faninal überzeugt mit Stimmgewalt und wuchtigem Spiel. Julia Moorman verleiht mit spitzem Sopran der Rolle der Jungfer Marianne Leitmetzerin große Dynamik. Sergei Nikolaev als Valzacchi und Almerija Delic als Annina fügen sich als intrigantes Paar gut in die Besetzung ein. Tadeusz Szlenkier hinterlässt in seinem Kurzauftritt als italienischer Sänger keinen guten Eindruck. Da ist kein Belcanto zu vernehmen, Szlenkier geht das Lied fast heldenhaft an, dabei wirkt die Stimme in den Höhen gepresst, bei der Wiederholung versagt sie ihm fast. Alle anderen Rollen sind sängerisch und spielerisch auf gutem Niveau besetzt.

Musikalisch lässt die Aufführung noch einiges an Luft nach oben. Fairerweise muss man sagen, dass Joana Mallwitz kurz vor der bereits schon einmal wegen Corona verschobenen Premiere erkrankte und Lutz de Veer kurzfristig übernehmen musste. Besonders im ersten Aufzug ist das Orchester definitiv zu laut, überdeckelt die Sänger, was aber teilweise auch an der schwierigen Akustik des Hauses liegt, das für diese Orchesterfülle einfach zu klein ist. So gehen Walzerseligkeit und elegische Bögen im teilweise undifferenzierten Dirigat unter. Mit zunehmender Dauer hat de Veer dann das Orchester besser im Griff und kann im Finale des dritten Aufzugs endlich die wunderbaren Straussschen Farben und Bögen herausarbeiten, besonders im Schlussterzett, das die Sängerinnen in den Vordergrund stellt. Tarmo Vaask und Kai Luczak haben den Opernchor und Kinderchor gut aufeinander abgestimmt.

Der Schlussapplaus des Publikums ist groß, und insbesondere Emily Newton, Mireille Lebel, Julia Grüter und Patrick Zielke, der auch zum Schlussapplaus in Unterhosen erscheint, werden zu Recht umjubelt. Lutz de Veer muss einige Buhrufe, wohl wegen seines zu lauten und undifferenzierten Dirigates im ersten Aufzug, einstecken. Beim Regieteam halten sich Buhs und Bravi die Waage. Insgesamt ist dieser Rosenkavalier kein großer Wurf, und die Enttäuschung vieler im Publikum ist in den Pausengesprächen und nach der Aufführung deutlich zu vernehmen.

Andreas H. Hölscher