O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ludwig Olah

Aktuelle Aufführungen

Untergang einer Traumfrau

MANON
(Jules Massenet)

Besuch am
18. Januar 2020
(Premiere)

 

Staatstheater Nürnberg

Die Geschichte der Manon Lescaut aus dem Roman des Abbé Prévost von 1731 regte viele Komponisten zum Stoff für eine Oper an, so Francois Auber 1856, Jules Massenet 1884, Giacomo Puccini 1893 und Hans Werner Henze 1952. Dem empfindsamen Stoff von Prévost am nächsten aber kommt wohl Massenet mit seiner Opéra-comique Manon dank der Librettisten Henri Meilhac und Philippe Francois Gille; lediglich der Schluss wird hier in Le Havre angesiedelt, als Manon als gefangene Prostituierte nach Amerika deportiert werden soll.

Das aber erfährt man in Nürnberg bei der Inszenierung von Tatjana Gürbaca nur am Rande, denn die Szenen spielen in einem irgendwie aktuellen Nirgendwo. Die Regie deutet das Ganze als bitterböses, gesellschaftskritisches „Märchen über den Kapitalismus“ und führt die Stationen des Niedergangs einer Frau, die alles unbedingt durchsetzen will, Liebe, Reichtum und soziale Anerkennung, in exemplarischen Bildern vor. Dabei ist es etwas verwirrend, den einzelnen Lebensstationen der Manon folgen zu können. Denn das relativ einheitliche, abstrakte Bühnenbild von Marc Weeger variiert meist nur die Beleuchtung am umrahmenden, dreifachen Lichterbogen zwischen hell, halb erleuchtet und dunkel, eine gewisse Stolperfalle für die Akteure. Eine verschiebbare dunkle Lochwand als Hintergrund, Gestänge links und rechts, eine Auftritts-Plattform, Tisch und Stuhl sowie ein Glitzervorhang wie in einem Nachtclub deuten die Schauplätze an. Und die vielfältigen Kostüme von Silke Willrett weisen oft auf die übersteigerte Amüsiersucht einer ganz auf Geld, Glücksspiel, Luxus, Sex, Gewalt und Vergnügen fixierten Gesellschaft hin. Regisseurin Gürbaca denkt da an heutige Tendenzen, an die „brutale Marktwirtschaft der Großstadt“. Für Frauen bleibt nur übrig, ihre Jugend, so lange es geht, zu verkaufen, wenn sie mithalten wollen im Strudel der Konkurrenz.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Dabei aber gelingt es der Inszenierung nicht immer, die Zuschauer teilhaben zu lassen am Wechselbad der Gefühle von Manon und Des Grieux, ihrem Geliebten. Vieles wirkt, vor allem am Anfang, eher als Demonstration von Empfindungen und Haltungen. Die Perversionen der „höheren“ Gesellschaft scheinen oft allzu übersteigert, überdreht, etwa die Auftritte des Lebemanns Morfontaine, des reichen Alten Brétigny und des Hasardeurs Lescaut. Das Spiel mit dem Geld, dem Tod, und den Geschlechterrollen wirbelt alles toll durcheinander, bis es zum Streit kommt. Aber nicht immer wird klar, was eigentlich passiert. Der Tod der von irgendwelchen Soldaten gefangenen Manon in den Armen des ständig betrogenen Liebhabers Des Grieux wird symbolisch begleitet von einem kleinen Mädchen, ihrem Alter Ego. Sie hatte eben nichts begriffen vom Ernst des Lebens, hatte sich als Erwachsene nur ihren Träumen hingegeben, war daran gescheitert. Der bedauernswerte Des Grieux erscheint hier als Getriebener, bestimmt von Gefühlen, religiösen Auswegen, der Autorität seines Vaters. Als weitere Hauptperson will die Regie den Glanz der Großstadt Paris zeigen; das wird höchstens fassbar bei den halbnackten Revuetänzerinnen im Ballett des dritten Akts, oft in den Aufführungen weggelassen. Als Warnung vor dem Kommenden, vor dem schlimmen Schicksal im Amüsierbetrieb, ist gleich zu Anfang ein Schild mit der Aufschrift „Restricted Area – no tress passing“ über einer Auftrittsplattform zu verstehen. Aber da möchte die junge Manon auch hin, in das enthemmte Treiben. An den bösen Ausgang glaubt sie nicht. Doch der wird exemplarisch vorgeführt.

Foto © Ludwig Olah

Die Musik zu dieser nicht komischen, dafür aber menschlich mitfühlenden Oper trägt romantische Züge, hat kraftvolle Momente, bedient sich aber auch barocker Formen wie der Gavotte, ist mal schwärmerisch, dann wieder uneinheitlich, liedhaft oder melodramatisch, im Kloster inspiriert von kirchlichen Elementen, so wie es den Stimmungsschwankungen der Titelheldin entspricht. Schon in der Ouvertüre lässt Dirigent Guido Johannes Rumstadt diese komplexe Struktur anklingen, mit auch saftigen, grellen Akzenten, dann aber dürfen Streicher und Bläser der Staatsphilharmonie Nürnberg lyrische, romantisierende, dahin schmelzende Momente aufleuchten lassen. Das setzt sich fort während der fast dreistündigen Aufführung. Der Chor, geleitet von Tarmo Vaask, ist viel beschäftigt und bewegt und erfreut mit ausgewogenem Klang. Die Oper aber lebt hier von der überragenden Gestaltung durch Eleonore Marguerre; sie verkörpert alle Lebensstationen der Manon glaubhaft, fast bis zur Schmerzgrenze, und ihr angenehm voller, runder, glockenheller Sopran kann alle wechselnden Stimmungen überzeugend durch die variablen Färbungsmöglichkeiten ausdrücken, imponiert durch die unangestrengten Höhen. Tadeusz Szlenkier als ihrem  Geliebten Des Grieux gelingt das nicht immer; er ist bemüht, seinen sehr kräftigen Tenor immer mit voller Stärke einzusetzen; das dient dem Vermitteln von subtilen Empfindungen nicht immer. Dem recht zwiespältig als Mitläufer dieser oberflächlichen Gesellschaft gezeichneten Cousin von Manon, Lescaut, gibt Levent Bakirci auch unangenehme Züge, singt die Partie aber mit schönem Bariton. Taras Konoshchenko, ein sicherer Bass, tritt in der Rolle des Vaters Des Grieux als würdiger Vertreter des Adels auf. Von Anfang an ist Hans Kittelmann als egozentrischer Lebemann de Morfontaine die unsympathischste Figur der ganzen Geschichte; dazu passt sein flacher Tenor. Sein Rivale um die Gunst der Manon ist der alte de Brétigny, der Bariton Richard Morrison. Sehr gelungen, als Partygirls wie als Amüsier-Damen, präsentieren sich Poussette, Julia Grüter, Javotte, Nayun Lea Kim, und Rosette, Paula Meisinger, und das Trio, das ein wenig an die verführerischen Rheintöchter von Richard Wagner erinnert, gefällt außerdem durch ausgezeichnet harmonischen Schönklang. Vielfältig ist die Statisterie eingesetzt, und dabei glänzt vor allem das Bewegungsensemble des Staatstheaters als attraktive Nachtclubtänzerinnen.

Der Beifall im voll besetzten Großen Haus bei der Premiere ist lang, steigert sich aber zur Begeisterung beim Applaus für Marguerre; für das Regieteam gibt es auch ein paar Buhrufe.

Renate Freyeisen