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SYMPHONIE NR. 4 A-DUR OP.90 „ITALIENISCHE“
(Felix Mendelssohn Bartholdy)
Besuch am
28. Oktober 2022
(Einmalige Aufführung)
Joana Mallwitz, die Generalmusikdirektorin des Staatstheaters Nürnberg, hat mit ihren bisherigen „Expeditionskonzerten“ am Staatstheater Nürnberg das Publikum begeistert und für Symphonien neue Zuhörer gewonnen, darunter waren die Erste Symphonie von Johannes Brahms und die Fünfte und Sechste Symphonie von Ludwig van Beethoven. Mittlerweile geht diese Erfolgsreihe in die fünfte Spielzeit und Mallwitz führt wie gewohnt moderierend, dirigierend und am Klavier begleitend durch ein symphonisches Meisterwerk und fügt Erheiterndes, Überraschendes, Unbekanntes und auch oft Gehörtes zu einem neuen Erlebnis und Höreindruck zusammen. Es ist aber auch die letzte Spielzeit mit Mallwitz in Nürnberg, denn nach dieser Saison wechselt sie als Chefdirigentin und künstlerische Leiterin zum Konzerthausorchester Berlin und wird dort die Nachfolgerin von Christoph Eschenbach. Ob Mallwitz dieses Konzertformat, das sie bereits als GMD in Erfurt etablierte, auch in Berlin fortsetzen wird, ist noch nicht bekannt. Das Interesse jedenfalls beim Publikum ist ungebrochen, das Nürnberger Opernhaus ist bis auf den letzten Platz gefüllt.
Für das Expeditionskonzert steht der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy mit seiner Symphonie Nr. 4 in A-Dur op. 90, auch als die „Italienische“ bekannt, auf dem Programm. Diese Symphonie wurde durch eine Studienreise des damals 21-jährigen Komponisten inspiriert. Nachdem Mendelssohn 1829 die britischen Inseln bereist hatte, brach er im Mai des folgenden Jahres zu einer weiteren Bildungsreise nach Italien auf, die knapp zwei Jahre dauern sollte. Die Reiseroute führte über Venedig, Florenz, Rom, Neapel, Pompeji, Genua und Mailand, als literarischer Reiseführer diente Goethes Italienische Reise. Zwar schreibt Mendelssohn bereits während der Reise Skizzen für eine Symphonie nieder, arbeitete aber auch an anderen Werken. Einen Kompositionsauftrag für die Symphonie erhielt er aber erst 1832 von der London Philharmonic Society, und in London wurde sie dann am 13. Mai 1833 auch uraufgeführt. Allerdings war Mendelssohn mit dem Ergebnis seines Werkes selbst nicht zufrieden, arbeitete die Symphonie immer wieder um, und zu seinen Lebzeiten wurde sie nicht zum Druck freigegeben, sehr zum Unverständnis seiner Schwester Fanny Hensel.
Mallwitz beginnt ihre musikalische Expedition zu Mendelssohn Bartholdy am Klavier mit dem ersten von insgesamt 48 Liedern ohne Worte, dem No. 1 in E-dur op. 19 als Einstimmung auf das Konzert. Dann zitiert sie Friedrich Nietzsche, der Felix Mendelssohn Bartholdy einmal als „Zwischenfall“ der Musikgeschichte beschrieben hat. Nun muss man wissen, dass Nietzsche in jungen Jahren ein glühender Wagner-Anhänger war, und Wagner wiederum hatte den vier Jahre jüngeren Mendelssohn Bartholdy aufgrund dessen jüdischer Wurzeln in seiner Schmähschrift Das Judenthum in der Musik arg verunglimpft. Doch davon später mehr.
Felix Mendelssohn Bartholdy ist spontan, kreativ und drückt sich am besten musikalisch aus. So beschreibt Mallwitz mit viel Humor, wie sich Mendelssohn mit einem musikalischen Beitrag im Stammbuch der Schwiegertochter Goethes, Ottilie, verewigte. Anlass war sein Besuch im Jahr 1830, und das Werk war das Albumblatt A-dur, mit 37 Takten ein relativ kurzes Stück. Eine weitere heitere Anekdote, die Mallwitz zum Besten gibt, handelt von Delphine von Schauroth, einer Pianistin und Komponistin und eine der wenigen Frauen, für die sich Felix Mendelssohn Bartholdy ernsthaft interessierte. Am 16. Oktober 1830 schrieb er in Venedig das berühmte Venezianische Gondellied aus der Sammlung Lieder ohne Worte, das im Autograf eine Widmung an sie trägt. Auch sein Klavierkonzert Nr. 1 g-Moll op. 25, 1831 in München geschrieben, ist ihr gewidmet. Delphine wiederum komponierte und widmete ihm das Lied Venezia aus ihrem sechsliedrigen Album Lieder ohne Worte.
Mallwitz erläutert mit viel Charme und Witz das Schaffen Mendelssohn Bartholdys, insbesondere in der Nachfolge des symphonischen Oeuvres eines Ludwig van Beethoven. Seine Symphonien, allen voran die „Italienische“, sei eine „Versöhnung von Tradition und Aktualität“ oder genauer gesagt eine „Versöhnung von Poesie und Form“. Dann geht sie nochmal auf die eingangs erwähnte Schmähschrift Wagners ein und zitiert daraus. Richard Wagner hatte Mendelssohn 1835 kennengelernt, als er selbst noch ein unbekannter Theaterkapellmeister war, der um vier Jahre ältere Komponist aber bereits auf der Höhe seines Lebens stand. Auch haben die Kompositionen Mendelssohn Bartholdys großen Einfluss auf den jungen Wagner gehabt. Die Konzertouvertüre zu dem Märchen Die schöne Melusine ist ein Beispiel dafür, dessen Leitthema findet sich orchestral erweitert im Vorspiel zu Wagners Rheingold wieder, den musikalischen Vergleich spielt die Staatsphilharmonie Nürnberg sehr prägnant.
Leider sind im Gedächtnis der Nachwelt nur die Angriffe haften geblieben, die Wagner später in seiner Schrift Das Judenthum in der Musik sowohl gegen Giacomo Meyerbeer als auch gegen Felix Mendelssohn Bartholdy richtete. In einem Brief vom 11. April 1836 übersendet Wagner seine Jugendsymphonie in C-Dur an Mendelssohn, der als Kapellmeister des schon zu dieser Zeit renommierten Gewandhausorchesters in Leipzig fungierte, als Geschenk und bittet um die Gunst der persönlichen Bekanntschaft. Nach seinem Tod 1847 wurde Mendelssohn Bartholdy dann aber das Ziel antisemitischer Hetze, obwohl Mendelssohn im Alter von sieben Jahren protestantisch getauft und auch so erzogen wurde.
Foto © O-Ton
Den Beginn machte Richard Wagner, der auch von Mendelssohns Kompositionen beeinflusst wurde, mit seinem Pamphlet Das Judenthum in der Musik, das 1850, drei Jahre nach Mendelssohns Tod, zunächst unter einem Pseudonym und dann erweitert 1869 unter seinem Namen erschien. Mit dieser Schmähschrift gelang es Wagner, Mendelssohn Bartholdy langfristig zu diskreditieren und dessen künstlerischen Ruf nachhaltig zu beschädigen. Während der Zeit des Nationalsozialismus stand Mendelssohn Bartholdy auf dem Index und erlebte erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine vollständige Renaissance.
Dann geht Mallwitz auf die Kunstform der symphonischen Dichtung ein und nennt als Beispiel die Hebriden-Ouvertüre. Mendelssohn begann dieses Werk im Jahre 1829. Die Anregung dazu erhielt er auf einer Reise nach England und Schottland, noch vor seiner Italien-Reise. Einen Ausschnitt der Ouvertüre spielt die Staatsphilharmonie Nürnberg. Diese Kunstform wurde später von Komponisten wie Richard Wagner in seinem Siegfried-Idyll und vor allem von Richard Strauss mit Stücken wie Till Eulenspiegel, Don Juan oder Also sprach Zarathustra aufgenommen und perfektioniert.
Den Aufbau der „Italienischen“ Symphonie erläutert Mallwitz mit eingängiger Expertise und anschaulichen musikalischen Beispielen mit dem Orchester. So ist der erste Satz in A-Dur als Sonatenform konzipiert und durchgehend von dem heiteren Hauptthema geprägt, mit einem kurzen Seitenthema. In der Durchführung durchbricht Mendelssohn das strenge Formschema der klassischen Symphonie, indem er ein drittes Thema einführt. Mendelssohn selbst hatte die Symphonie1831 in einem Brief noch als das „lustigste Stück, das ich je gemacht habe“ angekündigt. Die Mittelsätze der Symphonie haben gegenüber dem ersten und vierten Satz einen deutlich ruhigeren und etwas schwermütigen Charakter. Den zweiten Satz in d-Moll komponierte Mendelssohn unter dem Eindruck des Todes seines Lehrers Carl Friedrich Zelter sowie Johann Wolfgang von Goethes, die beide im Frühjahr 1832 kurz nacheinander gestorben waren. Melodische Ähnlichkeiten des Hauptthemas dieses Satzes mit Zelters Vertonung von Goethes Ballade Der König in Thule können daher möglicherweise als Hommage an seine beiden Vorbilder zu verstehen sein; Mallwitz spielt die Einleitung dieser Ballade am Klavier. Als dritter Satz schließt sich ein ruhiger Menuettsatz in A-Dur an. Das abschließende siebenteilige Rondo in a-Moll ist mit Saltarello überschrieben, dem Namen eines italienischen Springtanzes in schnellem Sechsachtel-Takt. Auch eine Tarantella, ein aus Süditalien stammender Volkstanz, ist in diesem finalen Satz zu hören. Mallwitz lässt die Orchestergruppen erst die beiden Tänze einzeln spielen, um sie dann zusammenzulegen zu einem feurigen italienischen Finale. Bemerkenswert ist, dass Mendelssohns 4. Symphonie in einer Dur-Tonart beginnt und in einer Moll-Tonart schließt. Auch Mallwitz ist keine andere Symphonie bekannt, in der ein Komponist diesen Tonartwechsel vollzogen hat.
Nach der ungefähr einstündigen musikalischen Einführung steht dann die „Italienische“ Symphonie von Felix Mendelssohn Bartholdy in der Urfassung als komplettes Werk auf dem Programm. Und Mallwitz ist richtig heiß auf diese Symphonie, den ersten Satz Allegro vivace dirigiert sie mit so feurigem Temperament, dass das Publikum gar nicht anders kann als Applaus zu spenden, was natürlich nach einem Satz mehr als unüblich ist. Und Mallwitz zeigt, warum sie derzeit eine so gefragte Dirigentin ist. Ohne Noten steht sie am Pult, und mit großem körperlichem Einsatz animiert sie die Nürnberger Staatsphilharmonie zur Höchstleistung, die dann im feurigen Schlusssatz zu einem Finale furioso kumuliert. Mit einer schon fast rekordverdächtigen Geschwindigkeit von knapp 28 Minuten, mit viel Effekt und einem großen Klangteppich geht das Expeditionskonzert zu Ende, und das Publikum dankt es mit großem Jubel.
Am Schluss werden dann noch zwei verdiente Orchestermusiker in den Ruhestand verabschiedet, ein schöner und emotionaler Moment für alle Beteiligten. Mit diesem Expeditionskonzert hat Joana Mallwitz erneut bewiesen, dass diese Form der Erschließung bekannter musikalischer Werke auch für ein unerfahreneres Publikum genau der richtige Ansatz ist. Freunden der Veranstaltungsreihe sei der 25. März kommenden Jahres empfohlen, wenn Mallwitz zu ihrem letzten Expeditionskonzert in Nürnberg einlädt, dann mit Beethovens Symphonie Nr. 3 in Es-Dur op. 55, die „Eroica“.
Andreas H. Hölscher