O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Patrik Hévr - Foto © Achim von Flatow

Aktuelle Aufführungen

Fanget an

GEBURTSTAGS-WIEDERSEHENSKONZERT FÜR RICHARD WAGNER
(Diverse Komponisten)

Besuch am
12. Juni 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Dreieinigkeitskirche Nürnberg

Richard Wagner gilt als einer der bedeutendsten und zugleich umstrittensten deutschen Komponisten. An ihm scheiden sich die Geister. Zwischen bedingungsloser Liebe und unbändiger Abneigung – ein Dazwischen gibt es kaum. Über seinen Geburtstag hat Wagner selbst gedichtet: „Im wunderschönen Monat Mai, kroch Richard Wagner aus dem Ei. Ihm wünschen, die zumeist ihn lieben, er wäre besser dringeblieben.“ So selbstironisch, aber auch hämisch gegen seine Kritiker gratulierte sich Richard Wagner selbst 1855 zu seinem 42. Geburtstag. Da hatte er schon einige Opern geschrieben, neben den Jugendwerken Die Feen, Das Liebesverbot sowie Rienzi, dem größten Publikumserfolg zu seinen Lebzeiten, auch schon den Fliegenden Holländer, Tannhäuser und Lohengrin. Aber Wagner lebte im Exil, war ein in Deutschland steckbrieflich gesuchter Revolutionär, und sein großer Plan, das gewaltige Ring-Projekt zu beenden und zur Aufführung zu bringen, schien damit kaum realisierbar. Als er am 22. Mai 1813 in Leipzig „aus dem Ei schlüpfte“, als letztes Kind der Bäckerstochter Johanna Rosine und des Polizeiaktuars Friedrich Wagner, der wenige Monate nach der Geburt dieses Sohnes starb, war nicht abzusehen, dass dieser Spross neben dem im selben Jahr geborenen Giuseppe Verdi zu den bedeutendsten Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts gehören sollte. Das Richard Wagner als Opernkomponist weltweit ein Alleinstellungsmerkmal hat, zeigt ein Blick auf die Homepage des Richard-Wagner-Verbandes International.

In 125 Mitgliederverbänden sind die „Wagnerianer“ weltweit organisiert, davon gibt es alleine 44 in Deutschland. Jährlich gibt es den Internationalen Richard-Wagner-Kongress, dieses Jahr vom 14. bis 17. Oktober in München. Dazu gehört auch die Richard-Wagner-Stipendiaten-Stiftung, die junge Künstler fördert und sie zum Beispiel mit dem kostenlosen Besuch der Bayreuther Festspiele mit dem Werk Wagners vertraut machen. Und natürlich werden die Werke Wagners besonders durch die Ortsverbände gepflegt, und Geburts- und Todestag des Komponisten sind Anlass genug, eine Veranstaltung zu Ehren des Komponisten durchzuführen.

Lisa Braun und Lars Tappert – Foto © Achim von Flatow

Der Nürnberger Richard-Wagner-Ortsverband hatte zu Wagners 208. Geburtstag im Mai ein kleines Festkonzert geplant, das, wie so viele Veranstaltungen in den letzten Monaten, der Corona-Pandemie zum Opfer fiel. Doch dann begannen die Inzidenz-Zahlen zu sinken, und mit genau dreiwöchiger Verspätung kann das Konzert, das unter anderem von mehreren Stipendiaten gestaltet wird, in der Nürnberger Dreieinigkeitskirche unter Einhaltung der entsprechenden Hygienemaßnahmen vor etwa 60 Zuschauern stattfinden. Die Vorsitzende des Nürnberger Richard-Wagner-Verbandes, Agnes Simona Sires, zitiert in ihrem Grußwort Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, der vor dreißig Jahren zum Thema Kultur folgende Sätze sagte: „Kultur kostet Geld. Sie kostet Geld vor allem deshalb, weil der Zugang zu ihr nicht in erster Linie durch einen privat gefüllten Geldbeutel bestimmt sein darf. […] Substantiell hat die Förderung von Kulturellem nicht weniger eine Pflichtaufgabe des öffentlichen Haushalts zu sein als zum Beispiel der Straßenbau, die öffentliche Sicherheit oder die Finanzierung der Gehälter im öffentlichen Dienst. Es ist grotesk, dass wir Ausgaben im kulturellen Bereich ‚Subventionen‘ nennen, während kein Mensch auf die Idee käme, die Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subventionen zu bezeichnen. Der Ausdruck lenkt uns in eine falsche Richtung. Denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns entweder leisten oder nach Belieben auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert.” Aktueller als heute können diese Worte nicht sein.

Nach den Grußworten ist es endlich so weit. Das verspätete „Geburtstags-Wiedersehenskonzert“ beginnt unter dem Motto „Fanget an!“ Es ist ein kammermusikalischer Streifzug durch Epochen, die Wagner geprägt und beeinflusst haben. Eröffnet wird das Konzert mit der Suite Nr. 1 in G-Dur, BWV 1007 für Violoncello von Johann Sebastian Bach. Seine sechs Suiten für Violoncello solo gehören heute zu den meistgespielten Kompositionen für ein solistisches Streichinstrument. Die Suite, als Folge von Einzelsätzen, spielt stilisiert auf die modischen Hoftänze der Entstehungszeit an. Der Anfangssatz, das Prélude, ist vielleicht eines der bekanntesten Stücke des Zyklus. Josefin Müller am Cello erlöst das nach live gespielter Musik hungernde Publikum mit dem warmen Klang ihres Cellos. Nach der schon fast romantischen Einleitung werden die folgenden Tanzsätze dieser Suite mit heiterem und fröhlichem Temperament gespielt, wobei im vierten Satz, der Sarabande, das Thema des Préludes wiederaufgenommen wird. Es ist eine schöne Ouvertüre dieses Konzertes, und Müller, Stipendiatin des Nürnberger Richard-Wagner-Verbandes, zeigt mit viel Gefühl und Ausdruck im Spiel den Facettenreichtum dieses wunderbaren Instrumentes. Dass es auch eine besondere Verbindung zwischen Bach und Wagner gibt, erläutert der Bayreuther Wagnerexperte Frank Piontek in seinem Grußwort. Immerhin wurde Wagner in der Leipziger Thomaskirche getauft, in der Bach lange Zeit als Kantor wirkte und auch einige seiner Kinder wurden hier getauft. Über die musikalischen Gemeinsamkeiten der beiden großen Komponisten wird Piontek am 26. Juni 2021 in Nürnberg referieren.

Nach der Cello-Suite von Bach stehen zwei romantische Werke von Franz Schubert auf dem Programm. Aus seiner Schauspielmusik für Rosamunde D.797 erklingt zunächst die Romanze Der Vollmond strahlt auf Bergeshöh‘. Laura Braun interpretiert die Romanze mit lyrisch hellem Sopran und großem Ausdruck. Die anschließende Nachthymne D. 687 mit dem Text von Novalis gestaltet sie mit großer Emphase und viel Gefühl. Berückend ist dabei ihr schönes Piano und die Modulation der Stimme. Anschließend singt sie mit dem lyrischen Tenor Lars Tappert aus Robert Schumanns selten gespielten Vier Duetten das Tanzlied und Er und Sie. Es sind zwei heitere Duette, musikalisch eingängig und von den beiden mit einer wunderbaren Stimmenharmonie vorgetragen. Begleitet am Flügel werden sie von Parvin Nazirli, die sich nahtlos in die musikalische Harmonie einfügt.

Josefin Müller – Foto © Achim von Flatow

Ludwig van Beethoven gehörte wie Johann Sebastian Bach zu den Vorbildern Wagners, und auch dieser Komponist darf in einem Festkonzert für Wagner nicht fehlen. Es folgen die ersten beiden Sätze der Violinsonate Nr. 3 in Es-Dur, Op. 12 Nr. 3. Die Violinsonaten op. 12 erschienen 1798 unter dem Titel Tre Sonate per il Clavicembalo o Forte-Piano con un Violino mit einer Widmung an Beethovens Lehrer Antonio Salieri. In diesen Werken setzte Beethoven bei Wolfgang Amadeus Mozart an, der begonnen hatte, die Violine von einem bis dahin begleitenden zu einem gleichberechtigten Partner des Klaviers zu entwickeln. Die Violinsonaten sind vom Dialog zwischen Klavier und Violine geprägt und weisen musikalisch ganz neue Wege. Aber es ist nicht nur eine Anlehnung an Mozart, sondern auch eine Verbeugung vor Bach, denn die Begleitfigur des Klaviers im zweiten Satz lehnt sich an das C-Dur-Präludium aus Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertem Klavier an. Christian Zahlten mit der Violine und Edita Hakobyan am Flügel, beide Stipendiaten des Richard-Wagner-Verbandes Nürnberg, interpretieren diese Sonate sehr frisch. Ihr Beethoven klingt jung, unverbraucht, ja fast modern. Der sehr dynamische und leidenschaftliche erste Satz ist schon fast ein Wettstreit der beiden Instrumente, während es im zweiten Satz ruhiger und elegischer zugeht und beide Instrumente eine tiefe Harmonie eingehen.

Vor der Pause steht dann noch Wolfgang Amadeus Mozarts Klaviersonate c-Moll KV 457 auf dem Programm, die mit ihrer pathetischen Klangsprache, der Gestaltung des Haupt- und Seitenthemas sowie bestimmter pianistischer Mittel wiederum Ludwig van Beethoven beeinflusst hat. Am Flügel sitzt der Konzertpianist Patrik Hévr, der eine sehr persönliche Interpretation der Sonate mit dem Publikum teilt. Der erste Satz Allegro molto ertönt kräftig, dynamisch und manchmal fragend. Der langsame zweite Satz Adagio ist mehr wie ein verträumtes, ja schon fast verliebtes Zwiegespräch, während der finale dritte Satz Allegro assai heiter und forciert erklingt, wie die Antwort auf die vorangegangene Frage und das Zwiegespräch. Die Darbietung ist nicht nur der prominente Schluss des ersten Konzertteils, sie macht auch für jeden im Saal spürbar, wie sehr dieses Live-Erlebnis jedem Einzelnen fehlte.

Nach der Pause geht es dann mit einem Werk Richard Wagners weiter. Isoldens Liebestod aus Tristan und Isolde, in der wunderbaren Bearbeitung für Klavier von Franz Liszt, eine ganz besondere Verbeugung zweier eng verbundener Komponisten voreinander. 1868 widmete Franz Liszt der berühmten Schlussszene der Oper eine Klavierbearbeitung, die so glückte, dass sie bis heute ihren Platz im pianistischen Repertoire einnimmt. Es ist an Edita Hakobyan, diesen einzigartigen Moment der Opernliteratur in Stimmung und Töne zu fassen. Vom mächtigen und düsteren ersten Anschlag bis hin zum Verströmen des Schlusses, es ist die Leidenschaft und der Pathos, den die Musik ausdrückt. Mit viel Gefühl, ja, fast schon mit hingebungsvoller Zärtlichkeit spielt Hakobyan den Lisztschen Wagner, und berührt damit die Zuhörer so intensiv, dass einige Ihre Tränen nicht zurückhalten können. Was für ein Moment, und der Beifall für Hakobyan drückt den Dank des Publikums für diesen Augenblick nach so einer langen Zeit des Darbens aus.

Lisa Braun fällt dann die schwere Aufgabe zu, die Zuhörer aus ihrem „Tristan-Traum“ wieder zu erwecken. Mit den zwei Arien der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte zeigt die junge Sopranistin nach den vorausgegangenen  romantischen Liedern eine ganz andere Facette ihres Könnens. Die erste Arie O zittre nicht, mein lieber Sohn gestaltet sie sehr lyrisch und ausdrucksstark, während sie in der zweiten Arie Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen mit perlenden Koloraturen, strahlender Höhe und einer bemerkenswerten Textverständlichkeit aufwartet. Man kann dieser Stipendiatin nur wünschen, dass sie ihr Können bald in einem Engagement an einem Opernhaus zeigen darf, die Voraussetzungen dafür erfüllt sie allemal. Parvin Nazirli begleitet sie bei den beiden Arien am Flügel wunderbar.

Zweimal nahm sich Ludwig van Beethoven Die Zauberflöte vor, um aus Mozarts Melodien eine Folge von Variationen für Violoncello und Klavier zu schreiben. Zunächst wählte er 1798 die Arie des Papageno Ein Mädchen oder Weibchen und wenige Jahre später dessen Duett mit Papagena Bei Männern, welche Liebe fühlen als Thema von zwölf rein instrumentalen Variationen. Mozarts Zauberflöte hatte nach ihrer Uraufführung 1791 in Wien einen Erfolgszug durch Europa erlebt und war längst in Prag, Frankfurt, Hamburg, Mannheim, Warschau und St. Petersburg zu sehen. Mit seinen Variationen über Zauberflöten-Themen griff der junge Komponist Beethoven also populäre Melodien auf, und er knüpfte nicht nur an diese „Ohrwürmer“ an, sondern demonstrierte als aufstrebender Pianist und Komponist der adeligen Wiener Gesellschaft seine ganze Kunstfertigkeit im Umgang mit ihnen. Josefin Müller am Violoncello und Edita Hakobyan am Flügel zeigen mit den Zwölf Variationen in F-Dur über das Thema Ein Mädchen oder Weibchen von Beethoven, was alles an Emotionen in dieser Oper steckt: Glück, Schmerz, Hoffnung und Frohsinn. Die Variationen sind daher mal herrlich heiter bis lustig, aber auch ernst und nachdenklich, von den beiden Künstlerinnen in bester Harmonie dargeboten.

Für den krönenden Abschluss des Konzertes sorgt dann erneut Patrik Hévr mit Beethovens berühmter Sonate Nr. 14 cis-Moll, op. 27 Nr. 2, der Mondscheinsonate. Beethoven widmete diese Sonate seiner damals 20-jährigen Klavierschülerin Gräfin Julie Guicciardi, in die er wohl für kurze Zeit verliebt war. Offenbar war diese Widmung als „Vergeltung“ für ein Geschenk gedacht, das Beethoven von Julies Mutter erhalten hatte. Schon zu Beethovens Lebzeiten war die Sonate eines seiner populärsten Klavierwerke – so beliebt, dass er selbst anmerkte, „doch wahrhaftig Besseres geschrieben“ zu haben. Sie gilt mit ihren formalen Freiheiten und ihrem emotionsbestimmten Stil als wichtiger Vorläufer der musikalischen Romantik. Den populären Namen Mondscheinsonate erhielt das Werk aber erst nach Beethovens Tod.

Den ersten Satz Adagio sostenuto spielt Hévr sehr gefühlvoll und innig, mit einem Hauch von Melancholie. Heiter und dynamisch dagegen das Allegretto des zweiten Satzes, um dann im Finalsatz Presto agitato fast schon furios wie die aufgepeitschte See zu enden. Es ist ein grandioser Schlusspunkt, den Hévr bei diesem Geburtstagskonzert setzt. Der langanhaltende Schlussapplaus für alle Künstler ist Ausdruck der Dankbarkeit, wieder Musik erleben und spüren zu dürfen. Auch den Künstlern ist die Freude, endlich wieder vor Publikum auftreten zu dürfen, deutlich anzusehen. So hat das verspätete Geburtstagskonzert Musiker und Publikum wieder zusammengebracht, und vielleicht enger als je zuvor.

Andreas H. Hölscher