O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Metropolitan Opera

Aktuelle Aufführungen

Alt, aber ansehnlich

ARIADNE AUF NAXOS
(Richard Strauss)

Gesehen am
14. Mai 2020
(Premiere)

 

Metropolitan Opera, New York

Die Metropolitan Opera New York öffnet im Online-Stream ihre Pforten und vermittelt so den darbenden Opernfans in Zeiten von Corona jeden Abend außerordentliche Opernerlebnisse. Schon früh begann in Amerika die Aufzeichnung und Übertragung von Opern in Kino und Fernsehen, um dadurch die Finanzierung der kaum geförderten Kulturinstitutionen zu sichern. So erfreuen die aktuellen Livestreams in technischer Präzision und musikalisch höchster Qualität.

Gewohnt opulent und klassisch, zeitlich im Barock angesiedelt, glänzt die ebenso schon „historische“ Aufzeichnung dieser Aufführung von Richard Strauss‘ Ariadne auf Naxos an der Metropolitan Opera aus dem Jahr 1988 mit einer erlesenen Besetzung, allen voran die unvergessliche Jessye Norman in der Titelrolle.

In einer großen Halle eines Wiener Palais tummeln sich die Künstler und Bedienstete in schmucken Kleidern, Anzügen und Uniformen. Die Theatergruppe ist in die traditionellen bunten Kostüme und Masken der Commedia-dell’Arte-Protagonisten gesteckt. Verschiedenes Mobiliar wird herumgetragen.  Für die Oper in der Oper ist die wüste Insel mit scharfen drohenden und abweisenden Klippen aufgebaut – das Bühnenbild stammt von Oliver Messel. Ariadne darf in einem Traum von Kleid mit Krone auf einem Felsen liegen.

Jessye Norman – Foto © Metropolitan Opera

Wenig augenfällig ist die Personenregie von Bodo Igesz, die viel Statik und Rampengesang beinhaltet. Für die Aufnahmequalität und mitreißende Kameraführung sorgt Brian Large, einer der Pioniere und führender Regisseur für Opern- und Konzertaufzeichnungen – so war er auch viele Jahre für die Übertragung des Neujahrskonzertes aus Wien verantwortlich. Gelungen ist die österreichische höfische Stimmung eingefangen, und erfreulich ist die hohe Wortverständlichkeit der zumeist amerikanischen Sänger und Sängerinnen. Der deutsche Bassbariton Franz Ferdinand Nentwig als Musikmeister des Neureichen versteht auch, das Wienerische zu zitieren.

Großen Orchesterklang wie ausgefeilte Kammermusik in ansprechendem Tempo und ausgeprägter Stimmführung steuert das Orchester unter der Stabführung von James Levine bei. Dabei wechselt er fließend von zarten und tänzerischen Tönen zu expressiver ausladender Wucht. Pathos und Humor, Frechheit und höfische Eleganz finden Eingang. Levine lässt die für Strauss typischen langen, teilweise ausgesungenen Melodiebögen über allem stehen. Hier setzt die unvergessliche Jessye Norman die Kraft, ja, Naturgewalt ihrer Stimme auf, die nie Druck oder Anstrengung spüren lässt. Bestens ausbalanciert und kontrolliert stellt sich Ihr Sopran den Herausforderungen der Partie. Den Mund unvergleichbar weit geöffnet, scheint ihr die unerschöpfliche Resonanz für die Fülle und Wärme der wohlgeformten Töne zu geben. Ihre Qualität und Erfahrung im Liedgesang sind erkennbar.

Charmant kokett und locker, aber ebenso innig gestaltet Kathleen Battle die Zerlinetta als jugendliche Frohnatur. Ihre Koloraturen sind ausgefeilt glasklar in der Höhe und sicher getroffen, die Triller flirren nur so – eine wahre Stimmakrobatin.

Viel zu früh verstarb Tatiana Troyanos 1993, die für ihre Darstellung von Hosenrollen bekannt war. Ihrer deutschen Mutter verdankt sie die guten Deutschkenntnisse. Ihre Verkörperung des Komponisten ist überzeugend und berührend. Die stimmliche Raffinesse in der Bewältigung der anspruchsvollen Sprünge in den Rezitativen bestätigen ihr Können.

Aus dem Hintergrund strahlt der unvergessliche James King als Bacchus in der Schlussszene. Seine Circe-Rufe wehen über die Bühne. An manch hohem Ton zeigen sich bei dem damals 63-Jährigen die Grenzen. Im glitzernden, blauen Gehrock ist nochmals seine Bühnenerscheinung zu genießen.

Das Publikum ist mitgerissen und verfällt immer wieder in längeren Szenenapplaus. Der Schlussapplaus ist zurecht euphorisch.

Helmut Pitsch