O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

„Berühmte“ Konzerte

SITKOVETSKY-TRIO
(Maurice Ravel, Dmitri Schostakowitsch)

Besuch am
25. September 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Raketenstation Hombroich, Veranstaltungshalle, Neuss

Es gibt wohl kaum eine größere Herausforderung für einen Vereinsvorstand, als eine beschlussfähige Mitgliederversammlung zu organisieren. Steht nicht irgendein „Skandal“ an, wird es in der Regel schwierig, die Mitglieder zu motivieren, ihre Freizeit für solch formale Veranstaltungen zu verwenden. Da muss man sich schon was einfallen lassen. Der Verein zur Förderung des Kunst- und Kulturraumes Hombroich lockt seine Mitglieder mit einem besonderen Genuss, in die Veranstaltungshalle auf der Raketenstation Hombroich zu kommen. Weil der Verein von der Altersstruktur eher im Renten- und Pensionsalter zu verorten ist, kann man sich auch eine Veranstaltung am frühen Sonntagmorgen leisten. Die Zahl der Kirchgänger wird ja immer überschaubarer, so dass die älteren Herrschaften bei ihrem enggestrickten Terminplan noch am ehesten dann Zeit finden, wenn früher der Pfarrer rief. Deshalb sind die Wege auf der Raketenstation an diesem sonnigen Vormittag vorbildlich ausgezeichnet, um die Gäste auf den nächstgelegenen Parkplatz zur Veranstaltungshalle zu bringen. Nein, das Konzert ist nicht ausschließlich für die Vereinsmitglieder gedacht, aber der Werbeaufwand hielt sich in Grenzen, und so sind schließlich Vereinsmitglieder mit Freunden erschienen, um den Raum zu füllen.

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2007 wurde das Sitkovetsky-Trio von Studenten der Yehudi Menuhin School gegründet. Heute setzt es sich aus Alexander Sitkovetsky an der Geige, Isang Enders am Cello und Wu Qian am Klavier zusammen. Ein Blick auf die Planung für die aktuelle Spielzeit zeigt die internationale Popularität der Formation. Gleich am Anfang steht eine Südamerika-Tournee, gefolgt von Auftritten in der Elbphilharmonie, im Concertgebouw Amsterdam und in der Alten Oper Frankfurt. Eine Tournee in Amerika ist ebenso geplant wie Auftritte in der Wigmore Hall in London, in Bilbao und in Barcelona. Und auf der Raketenstation Hombroich in Neuss. Hier wollen sie Maurice Ravel und Dmitri Schostakowitsch zu Gehör bringen, also Konzerte, die nicht jeden Tag in den Konzertsälen der Republik aufgeführt werden. Umso überraschender die Ankündigung des Moderators, dass es sich hier um zwei „berühmte“ Konzerte handele. Was bewirkt so eine Aussage beim Hörer? Ich bin mal wieder der ohnmächtige Nichtwissende, der in der klassischen Musik eigentlich nichts verloren hat? Oder putzt es die Eitelkeit, mal wieder an einem Ereignis teilzunehmen, das berühmt ist? In beiden Fällen eine überflüssige Aussage. Manchmal reicht es, dem Publikum die Bewertung der Aufführung zu überlassen, ohne im Vorfeld mit Lobpreisungen zu locken.

Im Sommer 1914, gleich nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, hielt sich der damals 39-jährige Maurice Ravel in Saint-Jean-de-Luz im Baskenland auf. Hier entstand sein einziges Klaviertrio, bestehend aus vier Sätzen. Noch aber scheint der Kriegsbeginn eher weit weg, vor allem in seinen Konsequenzen nicht vorhersehbar. Und so ist das Trio für Violine, Violoncello und Klavier in a-moll wohl eher geprägt von den Eindrücken der sommerlichen Landschaft. „Heiter und gelöst, von einem Raffinement, das an ein rätselhaftes Sonett von Stéphane Mallarmé gemahnt“, beschreibt Theo Hirsbrunner in seiner Ravel-Biografie die Musik, die die drei Musiker in Neuss auch genau so interpretieren. Im ersten Satz, Modéré, klingt die Musik luftig, ja, schwerelos, bekommt im zweiten Satz, dem Partoum, einen exotischen Zusatz, um sich in der Passacaille des dritten Satzes zur Einfachheit des Beginns zurückzukehren. Im Finale ist noch einmal ein Höchstmaß an Virtuosität gefragt, die in der Akustik der Veranstaltungshalle wunderbar zum Tragen kommt.

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Deutlich expressiver gehen Sitkovetsky, Enders und Qian das Klaviertrio Nr. 2 in e-moll von Dmitri Schostakowitsch an. 1944 entstanden, gelten Wut und Trauer, die in den vier Sätzen, wenn auch gemäßigt, zum Ausdruck kommen, weniger dem Kriegsgeschehen, das bereits zum zweiten Mal die ganze Welt erfasst, sondern dem überraschenden Tod seines Musikerfreundes Iwan Sollertinski. Der hatte Schostakowitsch nicht nur die Musik von Gustav Mahler nähergebracht, sondern ihn vor allem darin gefördert, vom linientreuen Absolventen des Petersburger Konservatoriums Abstand zu nehmen. Auch hier erweist sich das Sitkovetsky-Trio als Meister seines Fachs. Nachdem sich die bewusst komponierte Gegensätzlichkeit von Trauer und Einfachheit, um nicht zu sagen Banalität, der ersten drei Sätze im Finale wie ein surrealistischer Marsch in den Tod verloren hat, atmet das Publikum kurz durch, ehe es die Musiker ausgiebig feiert. Das Adagio aus dem Trio für Klavier, Flöte und Fagott in G-Dur von Ludwig van Beethoven wird als Zugabe ebenfalls wunderbar interpretiert, wirkt aber nach dem zuvor Gehörten eher weich und parfümiert. Da fällt der Abschied nach mehr als einer Stunde von den Virtuosen nicht mehr allzu schwer.

Sind für wunderbare Ereignisse wie dieses Konzert tatsächlich Mitgliederversammlungen erforderlich, sind solche für die Zukunft erheblich häufiger zu fordern. Und auf jeden Fall in die Abendstunden zu verlegen.

Michael S. Zerban