O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Luxuriöse Besetzung

SINFONISCH VIRTUOS
(Felix Mendelssohn Bartholdy, Ludwig van Beethoven)

Besuch am
19. März 2021
(Generalprobe)

 

Deutsche Kammerakademie Neuss, Stadthalle Neuss

Hilversum 4 – so hieß dereinst die Klassik-Welle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Niederlanden. Inzwischen heißt sie NPO Radio 4, fährt ein 24-stündiges Programm und erfreut sich vor allem am Sonntagmorgen großer Beliebtheit. Dann gibt es nämlich von 10.30 Uhr bis 11.45 Uhr das Sonntagmorgenkonzert. Nach Angaben des Senders versammeln sich dann rund 400.000 Hörer vor den Lautsprechern, um Konzerte überwiegend wohlbekannter Werke live zu genießen. Aber nicht nur für Hörer im Sendegebiet ist das von Interesse. Denn das Konzert wird auch auf der Website des Senders übertragen, ist damit auch in Deutschland zu empfangen. Wie der Sender betont, in besonderer klanglicher Qualität.

Ein komplettes Konzert: Das ist für den Sender eine Besonderheit. Denn längst verfolgt der eine Strategie, mit der sich jetzt auch immer mehr Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland anfreunden. So soll auch beim Westdeutschen Rundfunk und beim Radio Berlin-Brandenburg ab sofort jedwede Komplexität ein Ende finden. Warum eine ganze Sinfonie spielen, wenn es auch ein Satz tut? Warum anspruchsvolle Werke senden, wenn die Leute lieber „Easy-listening-Klassik“ hören? Nun, so könnte man einwenden, weil es eben in den Niederlanden Konzerte gibt, für die sich satte 400.000 Menschen vor den heimischen Rundfunkempfängern versammeln, anstatt sich zum sonntagmorgendlichen Stammtisch zu treffen.

Christoph Koncz – Foto © O-Ton

Während also die Entwicklung der deutschen Klassikwellen Grund zu größter Besorgnis liefert, sorgen die Hörerzahlen bei NPO Radio 4 derzeit bei der Deutschen Kammerakademie Neuss am Rhein für besondere Freude. Denn die wurde eingeladen, am 21. März im Concertgebouw Amsterdam aufzutreten. Und anstatt nun heute am Abend ihr Abo-Konzert vor rund 400 Besuchern in der Stadthalle Neuss aufzuführen, findet am späten Vormittag die Generalprobe für ein Konzert in den Niederlanden statt. Da möchte man schon vom Glück im Unglück sprechen. Wie ja viele Veranstalter derzeit im Internet Reichweiten erleben, von denen sie bei Live-Aufführungen nur träumen können. Ja, die Besucher im Saal fehlen und noch immer erscheinen selbst studio-geübten Musikern die Konzerte in leeren Hallen gespenstisch. Aber genauso sicher, wie sich gerade viele Menschen den Sekt und das Häppchen in der Pause zurückwünschen, werden die Veranstalter, egal, ob privat oder von öffentlicher Hand bezahlt, sich für die Zukunft Gedanken über „Hybrid-Veranstaltungen“ machen müssen, also vielleicht Konzerte vor Publikum, die zeitgleich oder zeitversetzt im Internet übertragen werden.

Und über Qualitätsdefizite braucht man sich im Internet wenig Gedanken zu machen, wenn man die heutige Generalprobe erlebt. Hier wird genauso gewissenhaft und akribisch gearbeitet, wie man es von den Proben vor Live-Konzerten kennt. Was sicher auch daran liegt, dass die Kammerakademie sich für diesen Auftritt eine besonders luxuriöse Besetzung leistet. Denn am Pult steht Chefdirigent Christoph Koncz, und als Solistin an der Violine tritt die Künstlerische Leiterin der Kammerakademie, Isabelle van Keulen, auf. Das hat es bisher nur ein Mal gegeben, nämlich beim letzten Neujahrskonzert, das vor Publikum stattfand. Aber das haben alle in guter Erinnerung, und so ist die Stimmung der 40 Musiker des Orchesters an diesem Morgen äußerst gelöst. Und das, obwohl vor den Akteuren kein Wochenendspaziergang liegt. Am Samstagabend gemeinsame Reise nach Amsterdam im Zug. Anschließend ohne Umwege ab in die Quarantäne des Hotels. Von dort aus direkt am nächsten Morgen zur Saalprobe, ehe die Live-Übertragung des Konzerts beginnt. Ohne weiteren Aufenthalt geht es dann im Zug wieder in die Heimat.

Isabelle van Keulen – Foto © O-Ton

Vorerst aber herrscht erst mal reges Treiben in der Neusser Stadthalle. Die letzten Vorbereitungen zur Generalprobe laufen. Hier muss eigentlich schon alles sitzen, denn der Deutschlandfunk zeichnet sie auf und wird sie im späteren Verlauf des Jahres ausstrahlen. Musikalisch ändert sich für die jungen Instrumentalisten nichts. Denn Koncz hat auf Wunsch der Niederländer das Programm des Abo-Konzerts übernommen. Und so stehen an diesem Vormittag Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert op. 64 in e-moll und die siebte Symphonie von Ludwig van Beethoven auf dem Zettel.

Es sollte nicht verwundern, wenn das Violinkonzert auf Wunsch van Keulens ausgewählt worden wäre, gibt es ihr doch Gelegenheit, ihre ganze Virtuosität auszuspielen. Und das Orchester unterstützt sie formidabel. Dabei kommt eine wunderbare Balance heraus, die den Klang der Solo-Geige unterstreicht. Und man darf sicher sein, dass den Hörern am Sonntag auch eine eindrucksvolle Interpretation der Siebten bevorsteht. Die Erfahrungen der letzten Wochen mit zahlreichen Internetübertragungen zeigt übrigens, dass es gerade bei einer reinen Tonübertragung großen Gewinn bringt, das Konzert mit Kopfhörern zu genießen – wenn man es denn allein und nicht etwa gemeinsam mit der Familie hört. Ist ja eigentlich eine gute Gelegenheit, auch die lieben Kleinen mal mit einem Schuss klassischer Musik in hoher Brillanz zu verwöhnen.

Hier geht es zum Konzert Sinfonisch virtuos, das am Sonntag, 21. März, von 10.30 bis 11.45 Uhr im Concertgebouw Amsterdam stattfindet. Die Moderation wird Hans van den Boom übernehmen.

Michael S. Zerban