O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Der syrische Friedenschor - Foto © Christoph Krey

Aktuelle Aufführungen

Die Gedanken sind frei

SIMAV HUSSEIN UND DER SYRISCHE FRIEDENSCHOR
(Kulturgarten Neuss)

Besuch am
25. Juli 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Stadt Neuss, Globe-Theater

Mit der Kultur ist das so eine Sache. Kein Mensch weiß eigentlich so recht, was man darunter verstehen soll. Und ganz schwierig wird es, wenn man über verschiedene Kulturen redet, die man zudem noch miteinander verbinden will. Trotzdem ist es immer wieder ein beglückendes Gefühl, wenn Menschen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt zueinanderfinden und sich miteinander wohlfühlen. Häufig genug schafft die Musik eine solche Brücke und wird vielleicht deshalb so oft als Vehikel beschworen. Das ist vergleichsweise einfach, wenn sich ein Ensemble aus Franzosen, Engländern und Deutschen zusammensetzt. Wenn Mitglieder uns eigentlich fremder Kulturkreise auf uns zukommen, wird es scheinbar schwieriger. Die Vorbehalte und Berührungsängste wachsen dann oft bis ins Unendliche.

Das erleben die Kurden bis heute täglich. Immer nah am Genozid vorbei, lebt das Volk auf viele Gegenden der Welt verteilt. Auch die Syrer, die sich seit 2015 auf die Flucht aus ihrem Heimatland begaben, weil sie um ihr Leben fürchten mussten, wurden in anderen Kulturkreisen keineswegs willkommen geheißen. Schon gar nicht von der deutschen Regierung. Denn es gab in Deutschland nie eine Willkommenskultur. Als sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs riesige Flüchtlingstrecks auf den Weg „heim ins Reich“ machten, verjagten die bayerischen Landwirte die Kinder der Flüchtlinge wie Schädlinge vom Kartoffelacker, wo sie die übriggebliebenen Kartoffeln auflesen wollten, um irgendetwas zum Essen zu haben.

Foto © Christoph Krey

Es hat sich gegen den Willen der deutschen Regierung vieles verbessert. Inzwischen leben in Deutschland rund anderthalb Millionen Kurden. Viele syrische Flüchtlinge wurden von Deutschen in geradezu rührender Weise aufgenommen, die sich in privaten Initiativen darum kümmerten, dass die Geflüchteten Deutsch lernten, ein Dach über dem Kopf und Ausbildungsplätze bekamen. Eine, die gleich die Initiative ergriff, war die Mezzosopranistin Cornelia Lanz, als die ersten Busse mit syrischen Flüchtlingen in ihrer Heimatstadt Biberach ankamen. Ohne viel Federlesens integrierte sie die Flüchtlinge in ihre Kulturarbeit, gründete in einer unvergleichlichen Aktion einen Chor, der in der Fernsehsendung Die Anstalt beim Zweiten Deutschen Fernsehen das Paradies besang. Eine Aktion, die später mit dem Grimme-Preis belohnt wurde, den Deutschen an die Seele griff und auch für eine Einladung zum Bundespräsidenten sorgte.

Aus diesem Chor entstand der syrische Friedenschor mit Sitz in München, der rund 26 Mitglieder umfasst und sich ordentlich weiter entwickelte. Der ist jetzt nach Neuss eingeladen, zusammen mit Simav Hussein, einer 20-jährigen Sängerin. Beide wollen eins: Die Brücke zwischen den Kulturen schlagen. Dabei singen sie in der eigenen Muttersprache, weil sie sagen, dass es nicht um Texte, sondern um die Musik geht.

Begrüßt werden die Gäste im Neusser Globe an der Galopprennbahn, wo in diesem Jahr das alljährliche Shakespeare-Festival ausfallen musste. Unter Corona-Bedingungen passen noch 96 Besucher in das Theater, und es ist an diesem Abend ausverkauft. Allerdings scheint es eher ein Heimatabend für Kurden und Syrer zu werden, wenn man den Sprachfetzen auf dem Vorplatz lauscht. Pedro Domingo Hernández López, Zweiter Vorsitzender des Vereins Raum der Kulturen, begrüßt das Publikum und führt es durch den Abend.

Als erste tritt Simav Hussein in Begleitung zweier Musiker auf. Hakan Akay ist Musikproduzent und verspricht Hussein eine große Zukunft. In Neuss begleitet er die junge Sängerin, die erst vor drei Jahren aus ihrer kurdischen Heimat nach Deutschland kam, auf einer europäischen Laute und einer Tanbur, einer orientalischen Langhalslaute. Roland Büttgen sekundiert ihm auf der Gitarre. Und wenn Hussein Lieder aus ihrer früheren Heimat sind, klingt das wirklich wunderschön. Was sich hinter Titeln wie Dêra Sorê, Batmanê, Reya Kubarê, Xanim oder Xelet im verbirgt, erfährt der deutschsprachige Besucher nicht. Bei der Zugabe immerhin ist sich das Publikum einig, und mit ein wenig Widerwillen lässt sich Hussein darauf ein, Şervano zu singen. Vielleicht liegt ihr ergebenes Schulterzucken daran, dass es sich hier um ein Lied für den Widerstand gegen die türkische Invasion in Rojava handelt, das in der Nacht der Militäraktion am 9. Oktober vergangenen Jahres entstand und seither auf Beerdigungen, auf Demonstrationen und an der Front gespielt wird. Nichtsdestotrotz berührt ihre Interpretation die Herzen des Publikums. Gern hätte man von der jungen Frau mehr erfahren, deren Videos bei YouTube immerhin hunderttausende Menschen erreichen, aber mit der Kommunikation hapert es deutlich. Im Internet erfährt man nichts von ihr. Hier sollte Hussein schnellstens nachbessern, um auch das deutsche Publikum zu erreichen. Denn das zeigt dieser Abend: Ihr Gesang kommt auch bei den Deutschen sehr gut an.

Hakan Akay – Foto © Christoph Krey

Viel Spaß bereitet auch der syrische Friedenschor, der im Anschluss die Bühne betritt. Zwölf „Abgeordnete“ sind nach Neuss gekommen. Junge Menschen, die ihren Chor ehrenamtlich betreiben und ansonsten frisch erworbenen Berufen oder einer Ausbildung nachgehen. Fünf von ihnen spielen auch gleich die benötigten Instrumtente. Deaa Alrehani spielt die Oud, Ali Khalil hat viel Spaß an der Trommel, Uday Alturk gibt am Keyboard den Ton an, Omran Alhij bearbeitet die Darbuka und Qusai Alturk unterstützt mit seiner Gitarre.

Nach dem Lied Jannah Jannah – was so viel heißt wie Himmel oder Paradies – mit dem der Vorläufer-Chor damals auch im Fernsehen aufgetreten ist, gibt es Lieder über die Liebe und das Leben auf Arabisch. Ein ursprünglich spanisches Volkslied haben die Sänger ebenfalls auf Arabisch und auch eine Strophe auf Deutsch übersetzt, was man nicht sofort erkennt, weil man damit nicht rechnet. Dann aber sind alle im Theater Anwesenden gefordert mitzusingen, wenn es zunächst heißt Freude schöner Götterfunken. Und mit Die Gedanken sind frei hätte es fast noch besinnlich werden können, wäre das Lied vollständig und eine Spur ernsthafter vorgetragen worden. Aber auch so wird es ein großartiger Abend, der mal glatt eine Stunde länger dauert als geplant. Das Publikum, das an den passenden Stellen begeistert mitklatscht, applaudiert ausgesprochen herzlich.

Wie so oft bei solchen Projekten hätte man sich auch an diesem Abend mehr Information gewünscht, um den Zugang zu anderen Kulturen zu bekommen. So bleibt es beim Konsum schöner Musik. Immerhin.

Michael S. Zerban