O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Marco Piecuch

Aktuelle Aufführungen

Zu viel des Überflusses

SCHÖNE BESCHERUNGEN
(Alan Ayckbourn)

Besuch am
5. Januar 2020
(Premiere am 16. November 2019)

 

Rheinisches Landestheater Neuss

Die Ausgangssituation für das Stück von Alan Ayckbourne ist bekannt. Die Familie trifft sich zum Weihnachtsfest. Zu erwarten sind Animositäten, alkoholische Exzesse und bittere Wahrheiten. Zeit genug ist ja von Heiligabend bis zum Zweiten Weihnachtstag. Ayckbourne fügt noch Sex und enttäuschte Liebe hinzu und verwirbelt das alles zu einer völlig überdrehten Komödie, in der kaum eine bekannte Zote, kaum ein nicht schon hinlänglich bekannter Gag ausgelassen wird. Auch die Grenzen des guten Geschmacks stellen für Ayckbourne kein Hindernis dar. Dass ein Stadttheater auch der Komödie Platz einräumen muss, ist nachvollziehbar. Warum Caroline Stolz ausgerechnet diesen Blödsinn ausgewählt hat, bleibt ihr Geheimnis.

Vielleicht hat die Intendantin aber auch der Aufwand gereizt. Immerhin neun Schauspieler verlangt das Stück auf der Bühne. Und die hat es ebenfalls in sich. Die ganze untere Etage eines Einfamilienhauses ist hier abzubilden. Jan Hendrik Neidert hat das kleine Kunststück vollbracht, Wohn-, Esszimmer und Küche vollständig aufzubauen. Nur der Fernseher bleibt imaginär im Zuschauerraum verortet. Alles ist weihnachtlich geschmückt, und es gibt neben dem Platz für den Weihnachtsbaum noch ausreichend Spielfläche, auf der sich neun Personen tummeln können. Die sind von Lorena Díaz in zeitlose, aber charakterdeutliche Kostüme eingekleidet. In diesem Rahmen kann Stolz sich austoben. Laut, derb und ungestüm geht es in ihrer Inszenierung zu. Für ruhige Momente ist hier kein Raum.

Regieeinfälle gibt es zuhauf. Das Messer im Halfter auf dem nackten Oberschenkel des Onkels und der running gag des Nasenblutens von Rachel sind nur zwei Beispiele von vielen, für die es hin und wieder auch Lacher gibt. Insgesamt eine schlüssige und gefällige Inszenierung, die aber an der deutschen Textfassung von Max Faber nicht vorbeikommt. Wo ist er hin, der süffige, feine, britische Humor? Stattdessen Kalauer, die nicht einmal mehr zu Schenkelklopfern taugen.

Es gibt nur einen vernünftigen Grund, die Aufführung nicht in der Pause zu verlassen. Das sind die Leistungen der Darsteller. Stolz verfügt über ein herausragendes Ensemble. Die Rollen werden mit einer eindrucksvollen Ernsthaftigkeit angenommen, Texthänger oder Unkonzentriertheit sucht man vergeblich. Die helle Freude, diese Schauspieler zu erleben. Antonia Schirmeister hat als Belinda nicht nur die Rolle der Gastgeberin, sondern auch die „erotischen“ Momente des Abends zu absolvieren. Großartig. Mindestens ebenso überzeugend ist Anna Lisa Grebe als Rachel, die nicht nur den Fremden in das Haus bringt, sondern auch ihre sexuellen Störungen beheben muss. Wenn sie ihr Haar öffnet, ist das vielleicht der stärkste Moment des Abends. Und sie murrt auch nicht, wenn sie zum x-ten Mal das Nasenbluten zeigen muss. Benjamin Schardt stellt den „Eindringling“ Clive zwischen die beiden und vermag sogar noch, den Weihnachtsmann souverän darzustellen. Die vielleicht schrecklichste Person im Stück – Onkel Harvey – wird von Carl-Ludwig Weinknecht mit echtem Leben erfüllt, was angesichts der Figur eine Meisterleistung ist. Ulrich Rechenbach geht in seiner Rolle als verkannter Künstler Bernhard voll auf. Da möchte man ihm fast schon Einhalt gebieten, weil es allzu realistisch wirkt, wie er die Menschen in seiner Umgebung anherrscht, um über seine Einfalt hinwegzutäuschen. Phyllis, Ehefrau des verhinderten Puppenspielers, muss einen dämlichen Homosexuellen-Witz spielen. Mirjam Schollmeyer lässt sich nicht anmerken, was sie über diese aus der Zeit gefallenen Episode denkt, sondern absolviert das ebenso glaubhaft wie ihr Fehlversagen in der Küche mit allen schrecklichen Folgen. Juliane Pempelfort gibt die blasse Patty ebenso eingänglich wie Niklas Maienschein den Eddie mit der unvermeidlichen Kotz-Szene. Wenn Neville, Ehemann von Belinda, im zweiten Teil seinen großen Auftritt hat und Clive zur Rede stellt, ist das unsäglich, aber Peter Waros bleibt absolut glaubhaft.

Am Ende der gut anderthalb Stunden sind die Peinlichkeiten endlich überwunden und das Publikum darf den Darstellern danken, die aus Schund künstlerisch alles herausgeholt haben, was möglich ist. Auf dem Heimweg verraucht allmählich der Ärger und die Freude obsiegt, dass diese Darsteller hoffentlich in diesem Jahr noch oft die Gelegenheit bekommen werden, uns mit ernsthaften Arbeiten zu überzeugen.

Michael S. Zerban