O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Lehrerabend

PIAZZOLLA MEETS MOZART
(Diverse Komponisten)

Besuch am
8. Juli 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Kulturgarten, Globe-Theater, Neuss

Bis Sonntag läuft noch die zweite Ausgabe vom Kulturgarten am Globe-Theater in Neuss, ehe sie mit einem sechsstündigen Jazz-Konzert zu Ende geht. Und wenn die Wettervorhersage halbwegs stimmt, steht einem trockenen Verlauf nichts im Wege. Auch am heutigen Abend wird der Regen nicht so stark, dass die Streicher um ihre Instrumente fürchten müssen. Und die Gäste werden vorbildlich mit Sitzkissen, Decken und Regencapes versorgt, so dass die wenigen Regentropfen niemanden stören. Es kann ein schöner Abend werden. Denken wohl auch die Gäste, denn der Führring mit seiner Open-Air-Bühne ist fast vollständig besetzt. Einmal mehr gibt es klassische Musik. Die Deutsche Kammerakademie Neuss am Rhein hat einige Musiker unter dem Titel Piazzolla meets Mozart – in Neuss würde man sagen Piazzolla trifft Mozart – entsendet. Eine geschickte Wahl, sind doch beide Komponisten nach wie vor Publikumsmagnete.

Eine feststehende Regel bei einem Festival scheint zu sein: Man kann noch so gut planen, vorbereiten und organisieren – an irgendeiner Stelle geht’s schief. Die einzige Chance, die Veranstalter haben, ist, dass der Schaden sich in Grenzen hält. Vermutlich hat die Kammerakademie ihren Auftritt nicht ganz so ernst genommen wie nötig. Wer sonst nur in Konzertsälen auftritt, sieht vielleicht nicht, dass das Publikum in einem Garten ebenso wert ist, mit einem sorgfältigen Auftritt bedacht zu werden. Schon beim ersten Blick auf das Programm gibt es die erste Überraschung. Was ist an Piazzolla trifft Mozart nicht zu verstehen? Es wird Musik von Wolfgang Amadeus Mozart und Astor Piazzolla in Hülle und Fülle geben. In Neuss ist das anders. Da stehen neben den beiden Komponisten plötzlich Johann Adolph Hasse, Antonín Dvořák und George Gershwin auf dem Zettel. Nichts gegen die Komponisten, aber ihretwegen ist man nicht gekommen. Da kann man sich schon ein wenig übertölpelt fühlen. Und es ist ja beileibe nicht so, dass man mit Piazzolla und Mozart Schwierigkeiten hätte, einen abendfüllenden Musikvortrag zu gestalten. Das Gefühl, als Publikum nicht ernst genommen zu werden, verstärkt sich blitzartig, als der Abend beginnt. Es soll offenbar ein moderiertes Konzert werden. Dagegen ist nicht das Geringste einzuwenden. Ein guter Moderator hat schon manchem Abend den letzten Pfiff verpasst. Deshalb legen viele Veranstalter ausgesprochen viel Wert auf die richtige Auswahl. In Neuss kann oder will nach dem Konzert niemand sagen, wie es zur Auswahl der Moderatorin für diesen Abend gekommen ist.

Auf der Bühne steht Charlotte Kons, Lehrerin am hiesigen Alexander-von-Humboldt-Gymnasium. Entgegen landläufiger Meinung sind Lehrer nicht per se prädestiniert als Moderatoren. Ohne sich vorzustellen, tritt Kons gleich mit den ersten Sätzen den Beweis an, dass sie nicht geeignet ist. Vielleicht, weil sie es in der Schule nicht darf, verärgert sie im Führring das Publikum mit dem verhaspelten und gestotterten Versuch, ihren Ideologensprech für Feministinnen anzubringen. Was nun Hasse bei dem Treffen von Piazzolla und Mozart verloren hat, erfahren die Zuschauer nicht, dafür aber, dass es unter ihnen wie unter den Musikern auch Menschen mit Vagina gibt. In den Zwischenmoderationen gibt es außer Wikipedia-Weisheiten nichts Neues, dafür wird deutlich, dass die Lehrerin von den Inhalten des Abends wenig Ahnung hat. Sehr dezidiert erfahren die Besucher allerdings, wer wessen Lehrer war. Ein Lehrerabend offenbar. Die Karten in der Hand der Selbstdarstellerin dienen eventuell für den inneren Halt, vor Redundanzen schützen sie nicht. „Die Bühne muss jetzt umgebaut werden“ und „Ich habe erfahren, dass so ein Marimbafon 240 Kilogramm wiegt“ sind sicher wichtige Informationen für die mitgebrachten Schüler; das Publikum hätte sich über einen Moderator gefreut, der es zur Champagnerlaune treibt.

Charlotte Hahn – Foto © O-Ton

Denn die haben die musikalischen Leistungen des Abends sicher verdient. Georg Sarkisjan, ehemaliger Stipendiat der Kammerakademie und heute Erster Konzertmeister des Nationalsinfonieorchesters in Lettland, zaubert mit sichtlichem Spaß auf seiner Geige. Auch Teemu Myöhänen war mit seinem Cello Stipendiat in Neuss, ist seit 2014 beim Asasello Quartett und vielgefragter Solist. Mit Leichtigkeit und Freude mischt er die tiefen Töne ins Spiel. Lilit Schupmann unterstützt Sarkisjan mit Konzentration und Lächeln an der Geige. Und Werner von Schnitzler setzt mit der Bratsche beherzt immer wieder die richtigen Akzente. Elektronisch verstärkt, klingt das Hasse-Werk ein wenig nach Schallplatte, aber nach einer sehr guten Aufnahme. Dann allerdings gibt es tatsächlich Kammermusik von Mozart. Und welche sollte es anderes sein als das Divertimento D-Dur KV 136? Wunderbar leicht und transparent gespielt, sorgt es für viel Freude beim Publikum. Schließlich ist der Wiedererkennungswert auch für weniger Kundige in der klassischen Musik hoch genug. Vivace ma non troppo – lebhaft, aber nicht zu sehr – geht es weiter mit Dvořáks Amerikanischem Quartett, das ungewohnte Töne hören lässt. Und amerikanisch bleibt der Klang. Allerdings ändert sich das Szenario. Denn die Variationen zu Porgy and Bess von George Gershwin werden von Charlotte Hahn in einem Arrangement von Eric Sammut am Marimbafon präsentiert. Mit der Einladung von Hahn landet die Kammerakademie einen echten Knüller und entschädigt für alle Unbill dieses Abends.

Mit zehn Jahren entdeckte Charlotte die Marimba für sich. Heute gilt die 25-Jährige als Meisterin ihres Instruments. Sie räumt Preise ab, sammelt Stipendien, reist inzwischen durch die ganze Welt, spielt in Ensembles und solo. Gerade ist sie dabei, ihren Master für künstlerisches Schlagwerk an der Kölner Musikhochschule in Wuppertal zu absolvieren. Ganz unprätentiös tritt sie auf, Bodenhaftung gehört vermutlich zu ihren Grundeigenschaften. Während sie die vier Schlägel spielerisch über die Aufschlagstäbe gleiten, fließen, streichen lässt, geht ihr die Musik immer wieder in die Füße. Eine ätherische Erscheinung, die mit ihrem Klang in eine andere Welt entführt.

Und dann endlich – es hätte jetzt in Strömen regnen können, deshalb wäre kein Zuschauer aufgestanden – erklingt er: der Tango nuevo von Astor Piazzolla. Wunderbar ergänzen sich die Marimba und das um Schupmann reduzierte Trio in Bordel 1900 aus L’histoire du Tango im Arrangement von Peter WiesenAuer. In derselben Besetzung erklingt gleich danach Primavera Porteña aus Las Cuatro Estaciones Porteñas, ebenfalls in einem Arrangement von WiesenAuer. Und so entwickelt sich der Abend zu einem echten Ereignis. Als wäre das Klangerlebnis nicht genug, verrät Charlottes Vater, dass sie die beiden Stücke an diesem Tag zum ersten Mal gespielt und mit den Streichern geprobt hat. Um das zu erleben, muss man dann schon in den Kulturgarten kommen. In der Zugabe, die Hahn solo auf der Marimba zum Besten gibt, den Libertango zu erkennen, fällt schwer; aber vielleicht liegt es auch daran, dass ihr eigenständiges Spiel so fasziniert, dass sie zusammen mit den Streichern den Abend nicht nur über die peinliche Fehlbesetzung der Moderatorin rettet, sondern gleich dafür sorgt, dass die Zuschauer ihn in guter Erinnerung behalten werden.

Michael S. Zerban