O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Schmackes mit Sehnsucht

NOCHE ARGENTINA
(Clara Krum)

Besuch am
12. August 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Stadt Neuss, Globe-Theater

Eigentlich hatte Clara Krum gerade einen guten Lauf. 186 Konzerte im vergangenen Jahr. 196 Tage auf Reisen in acht Ländern. Das hätte so weitergehen können. Auch in der Liebe lief es gut. Davon später mehr. Dann kam der Shutdown. Alles vorbei. Pläne sind Schall und Rauch. Wie oft haben wir das in diesen Tagen gehört. Und trotzdem geht es jedes Mal unter die Haut. Wenn vielfach preisgekrönte, junge Künstler, die hart arbeiten, plötzlich ein Auftrittsverbot bekommen, weil es politisch opportun ist, kann man nur noch mit Fassungslosigkeit reagieren. Inzwischen sind die Künstler fünf Monate ohne Auftritte – das macht was mit ihnen.

Krum ist kein Mensch, der sich leicht unterkriegen lässt. Und der optimistisch nach vorne schaut. Der Erfolg gibt ihr Recht. Heute ist sie zum Kulturgarten in Neuss eingeladen, auf der Freiluftbühne eine Noche Argentina aufzuführen. Dass sie dieses Engagement ihrer Tätigkeit als Musiklehrerin für Gesang und Gitarre in Neuss verdankt, hätte sie sich vermutlich auch nicht träumen lassen. Und so erlebt sie gerade eine absolute Glücksphase. Eigentlich war ihr Konzert für die Freiluftbühne am Globe-Theater angekündigt. Das war ja schon eine große Geschichte. Aber dann sorgt der Übereifer der Festival-Verantwortlichen dafür, dass das Konzert ins Globe-Theater verlegt wird – weil vom Wetterdienst Gewitter angekündigt sind. Das Gewitter bleibt aus, aber Krum steht auf der Bühne, auf die sie als Jugendliche vom Ersten Rang aus geschaut hat. Was für ein großartiges Gefühl! Da ist doch völlig egal, dass die Zuschauerzahl auf 92 begrenzt ist.

Clara Krum – Foto © O-Ton

Weil der Schlagzeuger aus Argentinien nicht kommen kann, ist Vater Krum eingesprungen. Die 67 Jahre, die er bislang gelebt hat, sieht noch hört man ihm an. Oder vielleicht gerade. Mit viel Erfahrung bedient er das Schlagwerk, zeigt ein feines Gefühl für die notwendige Untermalung. Vom harten Rhythmus bis zur feinfühligen Behandlung der Klangschalen beherrscht er das Portfolio. Unterstützt werden die beiden vom E-Gitarristen Tobias Kemper, der mit einigen Soli glänzt.

Clara Krum wirkt authentisch, geradlinig und souverän, wenn sie nach ein paar Einführungsliedern die Moderation übernimmt. Trotzdem: Auch ihr merkt man an, dass es etwas Besonderes ist, nach fünf Monaten wieder aufzutreten. Da sind mehrfach Korrekturen an der elektronisch verstärkten klassischen Gitarre nötig. Mit Juntos a la par von Pappo bricht sie das Eis, wenn sie erzählt, dass es sich um ein beliebtes Hochzeitslied in Südamerika handelt. Denn der Text erzählt von der Liebe des Mannes zu seiner Harley-Davidson. Wenn allerdings die Liebe verloren geht, gibt es ein erstes Schlucken. Davon erzählt Spinet in Seguir viviendo sin tu amor – Weiterleben auch ohne Liebe. Mit Lago en el cielo – der See im Himmel – wird eine typisch südamerikanische Geschichte erzählt. Es war das letzte Lied von Gustavo Cerati in seinem letzten Konzert, ehe er einen Schlaganfall erlitt, vier Jahre lang im Koma lag und schließlich starb.

Hans Krum – Foto © O-Ton

Was dann passiert, geht unter die Haut. Krum erzählt davon, dass sie im Shutdown ein eigenes Lied geschrieben hat. In Lineas blancas – weiße Linien – wird sie sehr persönlich. Seit acht Monaten hat sie ihren Liebsten nicht gesehen, einen Argentinier. Nach der Aktion Love is not tourism, mit der die Regierungen darauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie Paare nicht länger trennen dürfen, nur weil sie in verschiedenen Ländern leben und wieder zusammenkommen müssen, ist endlich die Zusammenführung von auch nicht verheirateten Paaren möglich. Und gerade heute haben die beiden das Flug-Ticket gekauft. In zwei Wochen wird der Freund nach Deutschland kommen. Da brauchst du keine Handtücher mehr, um dir den Schweiß abzuwischen, sondern Leinentücher, um die Tränen wegzustreichen.

Da ist erfrischend, dass es danach rockig weitergeht. In der Zugabe gibt es Musica ligera von Soda Stereo. Noch einmal zeigen die drei Musiker, wie viel Kraft und Sehnsucht in der südamerikanischen Musik liegt. Ein großartiger und kurzweiliger Abend geht zu Ende, obwohl das Publikum das nicht will. Aber auch hartnäckiger Applaus und Zwischenrufe können nicht für eine Verlängerung sorgen. Da ist das Ordnungsamt vor. Aber sind wir ehrlich. So schlimm sind die einstündigen Auftritte nicht. „Da hätte man gern mehr von gehabt“, ist der neue Leitspruch, der den früheren „Ach, endlich geschafft“ ablöst. Und von Clara Krum hätte man definitiv gern mehr gehabt.

Michael S. Zerban