O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Schön schräg

MEHR ALS KLASSIK
(Joseph Haydn, Wolfgang Rihm, Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
23. Januar 2022
(Einmalige Aufführung, zweites Konzert)

 

Deutsche Kammerakademie Neuss am Rhein, Stadthalle Neuss

Wir haben Marc Coppey mal wieder für uns gewinnen können. Wir brauchen also ein Stück mit einem schönen Solo, irgendwas Schräges und ein drittes Werk, das nicht weh tut und Coppey als Dirigenten zeigt. So oder ähnlich könnte die Ansage von Orchestermanager Martin Jakubeit zur Programmplanung des dritten Abonnementkonzerts der Deutschen Kammerakademie Neuss am Rhein gelautet haben. Vielleicht hat auch Coppey selbst das Programm vorgeschlagen. Das wird das Publikum nicht erfahren. Aber das Programm des Abends sieht schließlich aus, als könnte es so gewesen sein.

Yehudi Menuhin wurde auf den Cellisten Marc Coppey aufmerksam, als er im Alter von 18 Jahren gleich zwei Preise beim Leipziger Bach-Wettbewerb abräumte, und nahm ihn unter seine Fittiche. Aber die höchste Protektion nutzt nichts, wenn die Leistungen nicht stimmen. Und Coppey hat längst bewiesen, dass er sie nicht brauchte. Längst zählt er zu den führenden Cellisten unserer Zeit, ist bekannt für seine Interpretationen als Solist, seine umfassenden Forschungen auf dem Gebiet der Kammermusik und sein Engagement für die Erweiterung der Cello-Literatur. Daneben entwickelt er konsequent seine Karriere als Dirigent.

Eigentlich sind Abonnement-Konzerte eine schöne Sache, gerade wenn der Abonnement-Anteil so hoch war wie bei der Kammerakademie vor der Pandemie. Da kann der Veranstalter auf ausreichend hohe Deckungsbeiträge und volle Säle setzen. Blöd ist, wenn die Abonnenten zu Hause bleiben. Dann kann der Veranstalter nicht mehr mit Werbemaßnahmen gegensteuern. Die Gelder sind zwar geflossen, aber die Säle leer, was immer einen schlechten Eindruck macht. In der Neusser Stadthalle sind an diesem Sonntag gleich zwei Konzerte angesetzt, um alle Abonnenten unterzubringen. Am Abend allerdings geht das Kalkül nicht auf. Die Reihen sind denkbar dünn besetzt. Die Musiker indes lassen sich davon nicht beeindrucken.

Der Abend wird mit dem dreisätzigen Konzert für Violoncello und Orchester in D-Dur von Joseph Haydn eröffnet. Es ist das zweite von zwei Cellokonzerten, die Haydn komponiert hat, und es scheint so zu sein, dass der Komponist dem befreundeten Cellisten Anton Kraft das Stück auf den Leib schreiben wollte. Daraus resultierte eine Virtuosität, gegen die das Orchester abfiel. Das Konzert wurde für ein Orchester von etwa 20 Musikern geschrieben, so dass ein kammermusikalischer Klang vorgegeben war, der prinzipiell die Wertigkeit des Solos hervorhob. Haydn allerdings komponierte eine Art Dialog, der das Cello des Solisten in die Klänge des Orchesters einwebte. Eben diese Zusammenhänge werden in der Neusser Stadthalle transparent. Dass Coppey hier seine Aufgabe der musikalischen Leitung des Abends etwas zu ernstnimmt, führt zu überflüssigen Gesten vom Cello aus. Hier wäre ein wenig mehr Vertrauen in sich selbst und das Orchester mehr gewesen. Aber neben dem irritierenden Eindruck hilfloser Dirigierversuche passiert nichts Schlimmes – und Coppeys Virtuosität gleich die überschießende Reaktion mehr als wieder aus.

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Mit einer kleinen Zugabe, einem Solo, das Pablo Casals zu Weltruhm brachte, leitet Coppey zum zweiten Teil über. Der Gesang der Vögel – Song of the Birds – hinterlässt trotz seiner Kürze einen nachbleibenden Eindruck beim Publikum.

Tatsächlich als Dirigent gebraucht wird Coppey beim nächsten Stück. Denn das hat es in sich. 1977 wurde das Werk Nachtordnung von Wolfgang Rihm mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Hiroshi Wakasugi uraufgeführt. Sieben Bruchstücke für 15 Streicher kamen als Widmung an den befreundeten Komponisten Hans Jürgen von Bose zur Aufführung. Das 15-minütige Gesamtwerk bietet einen breitgespreizten dissonanten Klang, der durch gegenläufige Streichergruppen einen hohen Schwierigkeitsgrad erfährt. Dramaturgische Spannung gelingt dem Komponisten durch die Imitation anderer Instrumente durch die Streicher. Das Konzert ist eine eindrucksvolle Erfahrung, auf die man sich auch mit „ungewohnten Ohren“ gern einlässt.

Wie viel Kraft in der Nachtordnung steckt, wird im nachfolgenden Stück deutlich. Denn in der Zusammenstellung fällt Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonie Nr. 33 in B-Dur gewaltig ab, obwohl Coppey mit dem Orchester die Feinheiten der viersätzigen Sinfonie, also der späteren Fassung, sorgfältig herausspielt. Die Sinfonie, für sich genommen, das Meisterwerk, das sie immer war. In der Kombination mit Rihms Werk ist sie nicht mehr als ein Nachspiel. Daraus ergeben sich Fragen.

Angesichts anhaltend rückläufiger Besucherzahlen müssen sich nicht nur die Neusser fragen, ob Konzertinhalte hinterfragt oder gar neu verhandelt werden müssen. Das vielfach vorgetragene Argument neuer Konzertformate, die dann doch nicht oder nur halbherzig stattfinden, scheint nicht mehr ausreichend. Und schon gar nicht an diesem Abend, an dem die Beleuchter nicht einmal in der Lage sind, den Solisten ausreichend auszuleuchten, so dass sein Kopf im Dunkel verborgen bleibt.

Insgesamt ein schönes Konzerterlebnis, bei dem die Kammerakademie erneut ihre Qualität unter Beweis stellen kann.

Michael S. Zerban