O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michael Zerban

Aktuelle Aufführungen

Getöse. Aufblasungen.

KLAVIER-RECITAL MAGDALENA CEREZO FALCES
(Rolf Riehm, Georg Kröll)

Besuch am
9. Juni 2025
(Einmalige Aufführung)

 

Inselfestival, Raketenstation, Veranstaltungshalle, Neuss

Ich komponiere drauf los. Verdichtungen, Zuspitzungen, Plots, metaphorische Ausrichtungen: All das wird sich schon ergeben.“ Sagt Rolf Riehm. Genauer gesagt: Er schreibt das. Wie der Frankfurter Komponist überhaupt viel schreibt. Obiges Zitat, wie alle folgenden, sind dem 2014 bei Schott erschienenen Band Rolf Riehm Texte entnommen. Umfangreichster Posten darin, seine Werkkommentare, worunter, ausnahmslos, zu verstehen ist: Riehm über Riehm. Die Verdoppelung, die sich dadurch ergibt – hier das Werk, das erklingt, dort das Wort, das zum Werk gesprochen wird – nimmt der Komponist in Kauf. Ist da eigentlich noch Platz für unsere Gedanken zum Werk? Und was, wenn die mit jenen über Kreuz liegen? – Beim obligatorischen Neue-Musik-Konzert des Inselfestivals kommt das alles zusammen. Versuchen wir, zu sortieren.

Und damit Auftritt Magdalena Cerezo. Sie kommt mit einem Stapel großformatiger Noten­papiere. Die Pianistin ist in den letzen Jahren zu einer überzeugten Dolmetscherin des Riehm­schen Klavierwerks geworden. Sie selbst spricht von einer „starken künstlerischen Verbindung“. Was zu spüren ist insbesondere beim Hauptwerk ihres Recitals: Hamamuth Stadt der Engel, ein halbstündiges Irren durch eine Trümmerlandschaft. Der Titel ist ein Kunstname. Pate stehen Städtenamen, die im Jahr 2003 die Nachrichtenlage bestimmen. Eine „Koalition der Willigen“ löst den Irakkrieg aus. Riehm verfolgt das alles. Mit dem Resultat, dass sich in ihm kritische Masse bildet. Er selber spricht von „Aufhäufung“. 2005 kommt es zur Entladung. „Stadt der Engel: Gemeint sind die Bilder der Verwüstung im Irak, die man ständig im Fernsehen sieht. Irgendwo zwischen den Ruinen müssen die Engel ja noch sein. In der Zerstörung ist das Heilige besonders gegenwärtig.“

Was sich nicht überprüfen lässt, woran Zweifel angebracht sind. Um so mehr, je tiefer sich Cerezo in die Stadt der, wenn schon, dann sicherlich gefallenen Engel hineinwagt. Riehm, der als Komponist vom dramatur­gischen Einfall auszugehen pflegt, hat auch die Noten mit allerlei Text versehen. „Wie in einigen früheren Stücken haben die Abschnitte wieder Überschriften, die formale oder klangliche Eigenheiten benennen, z.B. GETÖSE oder PFEILER oder FENSTERRAHMEN u.a.“ Namentlich die erste der genannten „Überschriften“ umschreibt ziemlich genau, was sich zuträgt am Steinway mit der Pianistin davor, die nun tatsächlich mehr ist als nur das. Cerezo liest mit, nicht nur die Noten. Ihre Augen weiten sich, sie beugt den Kopf vor, ganz nah ans Noten­gebirge heran. Ein Wimpernschlag von Innehalten. Dann lässt sie das Getöse losbrechen. Es ist das Sturmgeschütz der modernen Pianistik, der Unterarmcluster, den Riehm in Hamamuth beidarmig zum Einsatz bringt. Nicht als einmalige Fortissimo-Entladung, vielmehr als nicht enden wollende Kette von Cluster-Kaskaden. Erste Besucher verlassen die Halle.

Dabei behauptet sich Cerezo gerade in solchem Lärmmachen als besonders authentische Dolmetscherin. Ihr Klavierspiel ein Solitär. Deutlich wird das spätestens dann, wenn Cerezo nach dem Ende des Trommel­feuers mit dem Oberkörper auf die über der Klaviatur zur Ruhe gekommenen Arme niedersinkt. Ein Skulptur gewordener Erschöpfungszustand, der die Intention des Komponisten vielleicht am genauesten trifft. Wann ist Hamamuth korrekt ausgeführt? – Wenn sich die Trümmerlandschaft drinnen der von draußen akkomodiert hat. Cerezo spricht vom „Durchleben“ der Partitur. „Es geht nicht darum, die Musik zu verstehen – sie muss einem geschehen.“ Musik als über uns hereinbrechendes Ereignis. Ein Anti-Intellektualismus, der die Koordinaten, die Verabredungen des Konzerts aufhebt. Wie überhaupt die Komposition Hamamuth Stadt der Engel gegen das dem Komponieren inhärente Form­problem ankomponiert ist, insofern das Stück seine Stückwerdung systematisch hintertreibt. Es werden, so Riehm, „Formambitionen angezettelt, die ins Leere laufen“, von Cerezo mit ihrer in die Performance ausgreifenden Pianistik höchst glaubwürdig umgesetzt.

Die dem vorausgehenden Programmbestandteile erschienen im Nachhinein wie ein Warmlaufen für den Ernstfall. Zwei Riehm-Stücke zu Anfang. Darunter die Uraufführung von Griffe und Klänge von einer Stätte zur andern ins Ungewisse, was ans Hölderlin-Gedicht Hyperions Schicksalslied erinnert, nur, dass das Stück mit seinen leeren Oktaven eine gewisse Ratlosigkeit hinterlässt, am Ende wegbricht. – Dass schließlich noch eine Auswahl aus dem Zyklus Tagebuch des Kölner Komponisten Georg Kröll ins Cerezo-Programm gekommen ist, muss als Verbeugung vor dem langjährigen Kurator der Inselfestival-Programme verstanden werden. In Auswahl und Ausführung erbringt das indes Irritationen. Der Eindruck ist, als ob Cerezo Stücke ausgewählt hat, die ihr gewissermaßen „riehmaffin“ erscheinen. Im Hämmern gehen die Feinheiten, die versteckten Anspielungen, die Ironien verloren. Und gegen das vom Komponisten verlangte Aufsteigen bei der Auswahl der Miniaturen glaubt Cerezo, sich auch hinwegsetzen zu dürfen. Ein bisschen zu viel der Freiheiten.

Georg Beck