O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Amen zur Eröffnung

GRAU SCHUMACHER PIANO DUO
(Diverse Komponisten)

Besuch am
26. Mai 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Insel-Festival, Raketenstation, Veranstaltungshalle, Neuss

1994 erwarb Karl-Heinrich Müller das Areal in der Nähe des Neusser Ortsteils Holzheim, auf dem sich früher eine Raketenstellung der NATO befand. Daraus wurde die Raketenstation Hombroich, ein Museumsgelände, das heute zur Insel Hombroich gehört. Hier leben und arbeiten Komponisten, Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler. Und in diesem Jahr findet zum 19. Mal das biennale Insel-Festival auf der Raketenstation statt, das der Verein zur Förderung des Kunst- und Kulturraums Hombroich ausrichtet. Herausragende Künstler werden zu Pfingsten eingeladen, die das gesamte Repertoire von der alten bis zur neuen Musik in kammermusikalischen Formationen abbilden sollen. Die Besonderheit ist, dass der Eintritt beim gesamten Festival frei ist. Spenden oder gar eine Mitgliedschaft beim Förderverein sind dabei willkommen.

Bevorzugter Aufführungsort der Raketenstation ist die Veranstaltungshalle. Hier findet auch das Eröffnungskonzert des diesjährigen Festivals statt. Eine Halle in schlichtem Weiß, links an der Wand ein großes Bild zum Schmuck. Auf der „Bühne“ zwei Flügel gegeneinandergestellt. Erwartet wird das Grau Schumacher Piano Duo. 1981 kamen die damals 15-jährigen Klavierspieler Andreas Grau und Götz Schumacher auf Anregung ihres Lehrers Friedemann Rieger zusammen. Seither musizieren die beiden Männer miteinander, deren Repertoire von Schütz bis Stockhausen reicht.

Andreas Grau – Foto © O-Ton

Für die heutige Eröffnungsveranstaltung soll es wohl feierlich zugehen. So stehen die drei Werke Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit, Alle Menschen müssen sterben und Aus tiefer Not schreie ich zu dir von Johann Sebastian Bach und Die sieben Worte von Heinrich Schütz auf dem Programm. Die Bearbeitung hat György Kurtág vorgenommen. Die Stimmung bei einem Begräbnisgottesdienst ist fröhlicher. Die vierhändig an einem Klavier vorgenommenen Werke wirken so getragen, dass man förmlich sieht, wie die Sargträger ihre weißen Handschuhe überstreifen. Wenn Schumacher einzelnen Tönen nachlauscht, liegen die Ungenauigkeiten im Zusammenspiel und unsaubere Abschlüsse bereits hinter den Hörern. Nach einer „kurzen“ und sehr trockenen Pause – die Bewirtung ist erst nach dem Konzert vorgesehen – beginnt das Insel-Festival dann mit Amen.

Es ist allerdings ein Amen der besonderen Art. 1943 wurden die Visionen des Amen von Olivier Messiaen in einer großen Pariser Kunstgalerie im Rahmen der Konzertreihe Concerts de la Pléiade uraufgeführt. Obwohl Paris zu der Zeit von den Deutschen besetzt war und das Konzert nur unter größten Sicherheitsmaßnahmen aus Furcht vor Kollaborateuren stattfinden konnte, war es für den Komponisten eine vergleichsweise gute Zeit. Im Frühjahr 1941 war er aus dem deutschen Kriegsgefangenenlager in Görlitz nach Frankreich zurückgekehrt, konnte seine Tätigkeit als Organist wieder aufnehmen und eine Stelle als Klavierlehrer am Konservatorium antreten. Einer seiner ersten Schüler war Yvonne Loriod. Sie wurde zur wichtigsten Interpretin seiner Werke und Jahre später auch seine zweite Ehefrau. Sie übernahm bei der Uraufführung neben dem Komponisten den zweiten Part des Klavierduos, der für sie geschrieben war.

Götz Schumacher – Foto © O-Ton

Messiaen verstand das Amen nicht kategorisch als Schlusswort eines Gebets, sondern allumfassend „das Leben der Kreaturen, die allein schon durch das Schicksal ihrer Existenz ‚Amen‘ sagen“. Und so versuchte er, die „verschiedenen Reichtümer des Amen in sieben musikalischen Visionen auszudrücken“. Dabei teilte er die Arbeit am Klavier gewissenhaft auf. Dem ersten Klavier, so ist einem Programmheft der Salzburger Festspiele zu entnehmen, sind die komplizierten Rhythmen und Tontrauben, die virtuosen Passagen und „die ganze Klangzauberei“ anvertraut. „Das zweite Klavier ist für die melodischen Linien, die Hauptthemen und alles, was Kraft und Emotionen erfordert, zuständig.“ Auf solche Informationen, die das Hören erheblich erleichtern, muss man beim Insel-Festival verzichten. Hier scheint man sich auf die alte Mär zu verlassen, Musik müsse sich selbst erklären.

Im Fall der Visions de l’Amen steht man damit ziemlich allein. Es bleibt das Vergnügen an der großartigen Aufführung von Andreas Grau und Götz Schumann, die hier eine meisterhafte und hochkonzentrierte Leistung zu Gehör bringen. Und wer das Werk zum ersten Mal hört, dürfte davon so beeindruckt sein, dass es ihm zur Begeisterung voll und ganz reicht. Ja, am liebsten möchte man auf die Zugabe verzichten, aber mit dem Feengarten von Maurice Ravel haben die Pianisten gut gewählt. Le jardin féerique gehört in den Zyklus Ma mère l’oye – meine Mutter, die Gans – wie das anschließende Les entretiens de la belle et de la bête, die Gespräche der Schönen und des Biests. Beide Stücke basieren auf Märchen. Und so kann man den Abschluss der Eröffnungsveranstaltung auch als Appell für das kommende Wochenende verstehen. Da möge das Märchenhafte die Spuren des Spirituellen, so das Motto des diesjährigen Festivals, untermalen.

Michael S. Zerban