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Aktuelle Aufführungen

Ziemlich altes Zeug

IL GIARDINO D’AMORE
(Alessandro Scarlatti)

Besuch am
24. August 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Kulturamt Neuss, Globe-Theater, Neuss

Das war eine großartige Aufführung. Und sie passt ganz wunderbar ins Globe“, sagt Rainer Wiertz. Einer, der es wissen muss. Schließlich war das Globe-Theater an der Rennbahn in Neuss so etwas wie sein zweites Wohnzimmer, in dem er über 30 Jahre lang das Shakespeare-Festival künstlerisch leitete. Zum Festival selbst geht er im wohlverdienten Ruhestand nicht mehr, weil er seiner Nachfolge nicht das Gefühl vermitteln möchte zu kontrollieren. Und so ist der heutige Abend eine willkommene Gelegenheit, die liebgewonnene Bühne mal wieder zu besuchen.

Auf der Suche nach alternativen Spielstätten stieß das Festival Alte Musik Knechtsteden auf den Theaterbau an der Neusser Rennbahn – und beim Neusser Kulturamt auf offene Ohren, als es dort nach Aufführungsmöglichkeiten fragte. Mit dem Erfolg, dass das Kulturamt Neuss als Veranstalter und das Festival Alte Musik Knechtsteden als Kooperationspartner auftritt, um Globe Baroque – Sommeroper im Globe Neuss aufzuführen. Das klingt wie der Titel einer neuen Serie, und das wäre nach eigenen Angaben auch ganz im Sinne der Festivalmacher aus Dormagen. Die wollen sich nun mit einer ersten Aufführung empfehlen.

Dorothee Oberlinger – Foto © O-Ton

Nach einem langen Sommertag mit Temperaturen im Schatten konstant um 30 bis 32 Grad Celsius ist jedem, der das Globe kennt, klar, was das für einen Theaterabend dort bedeutet. Denn man kann den Bau nicht klimatisieren. Jeder Belüftungsversuch führt, wenn nicht gerade ein kräftiger Wind geht, und der fehlt an diesem Abend, zu weiterem Hitzestau. Im Grunde ist älteren Menschen vom Besuch einer solchen Abendveranstaltung unbedingt abzuraten. In früheren Jahren wurde immerhin am Eingang Wasser ausgegeben, damit die Besucher auch während der Aufführung Gelegenheit haben, Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Heute Abend bleibt es bei der Ausgabe von Fächern. Wenn man daran zurückdenkt, welche Sicherheitsmaßnahmen während der Corona-Hochphase durchgeführt wurden, um die Gesundheit der Besucher zu schützen, wirkt das schon reichlich paradox. Zumal die älteren Herrschaften in Scharen herbeiströmen, um die Bühnenakteure zu erleben. Schließlich tritt hier nicht irgendwer auf.

Das Ensemble 1700 unter der musikalischen Leitung der „Königin der Blockflöte“ Dorothee Oberlinger tritt mit den Solisten Roberta Mameli und Xavier Sabata an, um Il giardino d’amore – der Liebesgarten – von Alessandro Scarlatti in Kombination mit einem Blockflötenkonzert zu zeigen. Dabei handelt es sich um eine Serenata, eine Art Minioper, die zu Lebzeiten Scarlattis, also zwischen 1660 und 1725, zu den obligaten Aufgaben von Komponisten gehörte. Man kann sich das so vorstellen: Der Fürst als Auftraggeber gibt eine Gartenparty, zu der es ein bisschen Hintergrundunterhaltung geben soll. Der Komponist schaut, welches Material an Sängern und Musikern zur Verfügung steht, und lässt sich dazu ein Thema einfallen. Das soll einerseits virtuos klingen, sich aber nicht zu sehr in den Vordergrund drängen. Das gibt es auch heute noch, nur ein bisschen unkomplizierter. Da bestellt der Gastgeber eine Band, die allerdings keine neue Musik mitbringen darf, sondern entspannte Hintergrundmusik zum Besten geben soll. Ziemlich genau vor zwei Jahren stellte Oberlinger das Programm in der Kölner Philharmonie konzertant vor. Nun allerdings soll eine inszenierte Version gezeigt werden. Und dafür scheint das Globe mit seiner kleinen Bühne als intimer Ort genau richtig zu sein. Regisseur Nils Niemann hat die Aufgabe der Inszenierung übernommen. Er löst sie überraschend.

Xavier Sabata und Roberta Mameli – Foto © O-Ton

Adonis und Venus springen nicht über Felder und Bäche, sondern bewegen sich in typisch barocken Manierismen. Und das ist in der Tat, um auf Rainer Wiertz zurückzukommen, großartig. Schon bald fühlt man sich um Jahrhunderte zurückversetzt, überlegt, ob die Vorstellung nicht sogar besser im angrenzenden Führring hätte stattfinden sollen. Aber dann wäre die trockene Akustik verloren gewesen. Stattdessen spielt Torge Møller naturalistische Videobilder ein, eigentlich ein Unding. Eine Baumlandschaft, ein künstlicher Wasserfall, eine Grotte. So was geht doch heute nicht mehr. Doch. Und Johannes Ritter fügt mit Kostüm und Maske einen weiteren Baustein der Vergangenheit hinzu. Seit jeher ist es das Wesen des Theaters, dass Menschen die Rollen spielen, die ihnen am weitesten entfernt sind. Also kleidet Ritter Sabata als Venus ein, mit einer Maske, die sie als königliche Fregatte darstellt, und Mameli als Adonis, dem nichts Weibliches anhaftet. Hier wird, wie in früheren Zeiten üblich, alles nur Mögliche auf den Kopf gestellt. Die Zeitreise ist perfekt, und es ist ein wahrhaft historisch informiertes Aufführungsfest.

In 70 Minuten haben die beiden Sänger ein unglaubliches Pensum zu bewältigen. Und sie meistern es bravourös. Die Textverständlichkeit im Italienischen ist weniger beeindruckend, schließlich ist Mameli in Rom aufgewachsen und Sabata stammt aus Katalonien, aber die vielen feinen Akzentuierungen und der liebevolle Vortrag nötigen Respekt ab. Damit braucht es keine Übertitel, weil die Besucher sich ohnehin kaum dafür interessieren, worüber die beiden singen, sondern immer wieder in Zwischenapplaus ob der sängerischen Leistung ausbrechen. Die Musiker können sich ein freudvolles Grinsen kaum verkneifen, weil hier keine Fachleute sitzen, sondern ein Publikum sich einfach vom Gesang zur Begeisterung hinreißen lässt. Aber auch die musikalischen Leistungen des Orchesters, das sich auf der Bühne auf die rechte und linke Seite teilt, werden nach etwas mehr als einer guten Stunde ausgiebig gefeiert. Neben den Künsten von Dorothee Oberlinger an den Flöten muss besonders Jonas Zschenderlein als Konzertmeister und Soloviolinist erwähnt werden, ohne die Leistungen des übrigen Ensembles in irgendeiner Form zu schmälern.

Ein weiteres Gastspiel, das beispielsweise aus dieser herausragend ungewöhnlichen Aufführung resultieren könnte, ist eher unwahrscheinlich. „Dazu müsste uns der Gastgeber zehn Probentage einräumen“, erklärt Oberlinger. Die Besucher des heutigen Abends dürfte es freuen. Sie haben etwas wirklich Einmaliges erlebt.

Michael S. Zerban