O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Die Bilder wurden als Werbematerial von der Compagnie zur Verfügung gestellt - Foto © Rhys Cozens

Aktuelle Aufführungen

Klamauk und Kokolores

AFTERIMAGE/WHY ARE PEOPLE CLAPPING
(Fernando Melo, Ed Myhill)

Besuch am
8. Dezember 2021
(Einmaliges Gastspiel)

 

Internationale Tanzwochen Neuss, Stadthalle

Wenn es schiefläuft, dann auch richtig. Ein gutes Beispiel dafür liefern die Internationalen Tanzwochen Neuss heute Abend ab. Früher musste man den Parkwächter sehr freundlich bitten, damit man noch auf den Parkplatz vor der Neusser Stadthalle fahren durfte, weil man die eine Lücke kannte, die immer noch frei war. Heute wird man freundlich durchgewunken. Es stehen ausreichend Plätze zur Auswahl. So freundlich und geduldig das Personal an der Einlasskontrolle auch ist, allmählich geht es einem ein bisschen auf die Nerven, permanent unter Generalverdacht gestellt zu werden. Dafür kann selbstverständlich das Personal überhaupt nichts. Aber wenn die Regierung davon ausgeht, dass jeder Bürger potenziell einen gefälschten Impfausweis mit sich führt, ist es ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, einen fälschungssicheren Impfausweis bereitzustellen – und nicht, jedem Bürger Betrug zu unterstellen. Wobei man vermutlich davon ausgehen kann, dass gerade bei Abendveranstaltungen, die der Erbauung ihrer Besucher dienen, besonders viele Menschen mit gefälschten Papieren auftreten. Valide Zahlen dazu gibt es wieder einmal nicht. Auch bleibt die Frage offen, ob ein Besucher einer Tanzaufführung, der einen gefälschten Impfausweis vorlegt, nicht dann auch gleich einen gefälschten Personalausweis mit sich führt. Ganoven sind ja auch nicht doof. Vor allem nicht die, die in Tanzveranstaltungen wollen.

Wer jetzt noch die gute Laune und Vorfreude bewahrt hat, sieht sich gleich der nächsten Prüfung gegenüber. Es scheint tatsächlich eine Korrelation zwischen der Gender-Ideologie Kulturschaffender und deren Verständnis von Rechtschreibung im Allgemeinen zu bestehen. Abendzettel, wie der heute Abend verteilte, beispielsweise zeigen signifikant mehr Rechtschreibfehler neben dem Neusprech, der offenbar auch beim Kulturamt gepflegt wird. Auch der Ton wird rauer. „Zum Zeitpunkt der Drucklegung stand noch nicht fest, inwieweit während der Pausen der Sitzplatz verlassen werden darf“, steht im Abendzettel geschrieben. Oha. Tatsache ist: Selbst in Neuss darf der Sitzplatz während einer Aufführung zu jedem Zeitpunkt verlassen werden. Ob dem Veranstalter das gefällt oder nicht. Die versprochenen Ansagen hingegen bleiben aus. Auf dem Sitzplatz angekommen, was in der Stadthalle nicht so ganz einfach ist, weil zwar Schilder auf die Maskenpflicht am Platz hinweisen, aber nicht auf die Sitzbereiche. Der Hinweis auf der Eintrittskarte „Tribüne rechts“ verschafft trügerische Sicherheit. Wenn man nämlich vor der Tribüne steht und sich danach orientiert, landet man auf der falschen Seite. Die Organisatoren braucht das, da haben sie vollkommen recht, nicht weiter zu bekümmern. Das regeln die Besucher dann schon unter sich. Und genügend Zeit dazu haben sie ja. Denn der pünktliche Beginn ist auch in der Stadthalle inzwischen völlig außer Mode geraten. So kann man noch einmal in Ruhe durchatmen und sich auf das freuen, wofür man Geld ausgegeben hat.

Foto © Rhys Cozens

Zu Gast ist an diesem Abend die National Dance Company Wales mit zwei alten Stücken und einer Choreografie aus diesem Jahr. Begonnen wird mit der Choreografie Afterimage von Fernando Melo aus dem Jahr 2019. Yoko Seyama hat eine dunkle bis schwarze Bühne gebaut, in deren Mitte es eine Spiegelfläche gibt. Davor sind ein Tisch und zwei Stühle aufgestellt. Zu Geräuschen, die aus dem Saallautsprecher quellen und nahe an der Verletzungsgefahr für das Gehör entlangquietschen, setzen sich Menschen an den Tisch und legen sich darauf. Der Spiegeltrick, der die Fläche hinter dem Spiegel sichtbar werden lässt, ist alt. Und Peter Lundin setzt ihn mit seinem Lichtdesign gekonnt um. Nur: getanzt wird hier nicht. Nach rund 18 Minuten ist die gepflegte Langeweile vorüber. Wie zu erwarten, setzt nun Verwirrung ein. Ist das eine Pause oder nur eine Umbaupause? Schließlich entscheiden die Zuschauer. Vor der Tür macht sich Unmut über das eben Gezeigte breit, der so deutlich geäußert wird, dass er hier nicht wiedergegeben werden soll. Anschließend stellt sich heraus, dass für das Abräumen von ein paar Möbeln und dem Einschalten zweier Glühbirnen-Girlanden 20 Minuten veranschlagt wurden.

Die Choreografie von Ed Myhill mit dem Titel Why are People Clapping – warum Menschen klatschen – war 2018 die erste Arbeit des Tänzers der National Dance Company Wales und wurde inspiriert von dem Stück Clapping Music von Steve Reich. Sie dauert eine Viertelstunde, und das sind exakt 15 Minuten zu viel. Die Tänzer können klatschen, aber nicht so lange, dann muss das Klatschen von der Festplatte eingespielt werden. In einer Art Battle sind ziemlich einfalls-, lustlose und unpräzise Tanzeinlagen zu erleben, ehe zwei Tänzer die Pantomime einer Tennispartie zeigen. Dann scheint doch noch der Tanz zu beginnen. Aber nein, zum Klatschen zeigen die Tänzer, wie sie reiten. Das ist nicht mal Kindergeburtstag. Das ist Kleinkunst der überflüssigsten Sorte. Dabei geht den Tänzern offenbar auch noch jedes Rhythmusgefühl ab. Immer wieder gibt es Patzer. Als sei das nicht genug, scheint der Ideenreichtum Myhills nach der Hälfte der Zeit erschöpft, so dass er sich wiederholt. Ja, da hat das begeisterungsfähige Neusser Publikum einiges zu lachen. Nur dass das hier kein Comedy-Abend ist. Nach dieser Peinlichkeit gibt es wieder eine Pause von 20 Minuten.

Zeit genug, einen Blick auf die Ankündigung im Abendzettel für die dritte Choreografie zu werfen. „In düsterer Atmosphäre finden wir uns auf einem surrealen Spielplatz innerhalb eines Parks wieder. Nostalgische Spiele erinnern an die damalige Zeit und die gegenwertige Wahrheit wird uns vor Augen geführt“, heißt es im Originalzitat. Eine Google-Übersetzung ist dagegen reine Sprachkunst. Düstere Atmosphäre gab es bereits zu Beginn des Abends, Spiele gab es ausreichend im Mittelteil. Und damit soll es dann auch genug sein. Diese Tanzcompagnie hat uns genügend Lebenszeit unter unwürdigen Umständen gestohlen. Das braucht man nicht auf die Spitze zu treiben.

Die Internationalen Tanzwochen Neuss haben in dieser Spielzeit viel an Vertrauen eingebüßt. Zwei Veranstaltungen bleiben noch. Zwei gute Gelegenheiten, Vokabular, Service und Organisation, aber auch die Qualität der geladenen Compagnien zu überprüfen, um sich für die kommende Spielzeit zu empfehlen. Bislang ist das nicht gelungen.

Michael S. Zerban