O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Oliver Berg

Aktuelle Aufführungen

Jammern überflüssig

TONIGHT!
(Diverse Komponisten)

Besuch am
12. Juni 2020
(Premiere am 9. Juni 2020)

 

Theater Münster

Schon vor vier Wochen zeigte Münster mit dem gemeinsamen Benefizkonzert Münster für Künstler auf dem Hawerkamp-Gelände Flagge für die freie Theaterszene in Münster, das private Wolfgang-Borchert-Theater wandte sich an sein Publikum mit der Ankündigung, „am Donnerstag, 4. Juni … werden wir unser Theater wieder öffnen“ mit der – ersten – Premiere von Lot Vekemans Schauspiel Momentum in der Inszenierung von Tanja Weidner. Es lässt gleich drei weitere Premieren folgen. Da kann das Theater Münster nicht zurückstehen und meldet sich mit einem Liederabend, zu dessen Premiere es zum 9. Juni ins große Haus einlädt – unter Corona-Bedingungen, versteht sich.
Das Bernstein-Musical West Side Story liefert den Titel Tonight! für den Liederabend, mit dem sich das Theater Münster bei seinen Besuchern aus der Corona-Pause zurückmeldet und beweist, dass es ebenfalls der Corona-Stille trotzen will und kann. Mit rund 20 Titeln aus Oper, Operette und Musical zeigt das Haus, dass neue Formen und Ideen eine Alternative zum sorgengeplagten Jammern der Kulturszene sind. Der gut einstündige Liederabend mit zehn Künstlern vor  der Bühne streift quer durch die Musikgeschichte und bietet von Klassikern der Lied-Kultur über Ausschnitte aus dem Operettenmilieu, dem Neuanfang bei Kurt Weill bis zur modernen Komposition von Mitch Leigh  ein abwechslungsreiches, buntes Bild aus der Musikgeschichte der letzten 300 Jahre.

Foto © Oliver Berg

Der Liederabend, bei dem sich das Publikum nach Corona-Regeln auf die knapp 1.000 Sitze im Parkett verteilt, verläuft in einer merkwürdigen, zumindest zu Beginn kühlen Atmosphäre – kein Beifall beim Auftritt der Künstler. Mit sonorem Bariton beginnt Filippo Bettoschi den Abend mit Rossinis Largo al factotum, er lässt den Figaro ausdrucksstark und kraftvoll eröffnen. Das nicht nur bei Schubertfreunden bekannte An die Musik bringt Gregor Dalal, ebenfalls Bariton, mit innigem Ausdruck, und Youn-Seong Shim kann mit seiner Interpretation von Liszts Rheinlied viele Freunde gewinnen. Erst allmählich lockert sich die Stimmung, es gibt einige Zuhörerreaktionen. Bei Millöckers Bettelstudent Ach ich hab´ … wird die Stimmung etwas offener, und Franz Lehárs Freunde, das Leben ist lebenswert möchten die Besucher zu gern glauben.

Kurt Weills Barbara-Song gibt Kathrin Filip mit einer leicht lyrischen Note, mit dem herrlich lebhaft-frivolen Eifersuchts-Duett brechen Filip und Kristi Anna Isene das Eis. Isene trägt auch  den gefühlvoll- sentimentalen Bilbao-Song  fast flüsternd vor und erreicht damit ohne Mühe die aufmerksamen Zuhörer. Der abschließende Musical-Teil bietet Pascal Herington und Kathrin Filip die Gelegenheit, ihr vielseitiges Talent auch auf diesem Liederabend zu präsentieren. Christoph Stegemann hat den rauen Bass, der gut zu George Gershwins I got plenty o´nutting aus Porgy and Bess passt. Mit dem Song Impossible Dream aus  Mitch Leighs Musical Der Mann von La Mancha ist Gregor Dalal im 20. Jahrhundert angekommen und beendet den Liederabend mit einem entschlossenen und im Vollton vorgetragenen Beitrag. Die Begleitung der Sängerinnen und Sänger am Piano liegt bei Boris Cepeda in besten, sehr zurückgenommenen Händen. Der letzte Auftritt aber gehört für eine lebhafte Darbietung Pascal Herington, den die Münsteraner nach dieser Spielzeit wohl vermissen werden.

Knapp wie nach den einzelnen Liedern bedanken sich die Zuhörer mit eher sparsamem Beifall, und doch dürften die meisten von ihnen sehr zufrieden sein. Der Liederabend will und kann keine Oper, kein themenzentriertes Konzert ersetzen. Doch die Zuhörer erleben einen vielfältigen Gang durch die Geschichte des Liedes. Wieder einmal  zeigen die Künstler die zahlreichen, ja, unerschöpflichen Ausdrucksmöglichkeiten der Musik, lauschen wunderschönen Stimmen und Interpretationen und  nehmen einen Abend voller Musik mit nach Hause.

Horst Dichanz