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Strauss ohne Applaus

ZUEIGNUNG
(Richard Strauss)

Gesehen am
16. November 2020
(Livestream)

 

Bayerische Staatsoper München

Im Rahmen ihrer Reihe Montagsstücke setzte die Bayerische Staatsoper München ihre live im Stream übertragenen Konzerte fort. Unter dem Titel Zueignung gab es ein Sonderkonzert Richard Strauss. Dieser Livemitschnitt ohne Publikum, ohne Applaus, war sicher ein Konzert der etwas anderen Art. Während sich zum ersten Stück das Licht im Haus in ein dunkles Blau färbte, stand auf dem Programm das Hornkonzert Nr. 1 in Es-Dur, op. 11. Der erst 18-jährige Richard Strauss widmete es „Seinem lieben Vater, Herrn Franz Strauß, Königlich-Bayerischer Kammermusiker“ zum 60. Geburtstag. Franz Strauss war ein bekannter Hornist und Mitglied des Münchner Hofopernorchesters. Parallel zur Erstfassung mit Klavierbegleitung entstand im Winter 1882/83 auch eine Version für Horn und Orchester, gewidmet dem damaligen Solohornisten der Königlich-Sächsischen Hofkapelle Dresden, Oscar Franz. In der Orchesterfassung wurde das 1. Hornkonzert am 4. März 1885 im Rahmen eines Konzerts in Meiningen mit der Meininger Hofkapelle unter der Leitung Hans von Bülows und dem Solisten Gustav Leinhos uraufgeführt. Musikalisch besteht dieses 1. Hornkonzert aus 3 Sätzen, die aber unmittelbar ineinander übergehen. Asher Fisch am Pult des Bayerischen Staatsorchesters und der Hornist Johannes Dengler spielen dieses so heitere und beschwingte Konzert im moderaten Tempo und mit viel Esprit. Die schwierigen Hornsolostellen meistert Dengler sauber und mit Bravour. Nach 16 Minuten Konzert hätten Dengler und das Orchester einen großen Applaus verdient, der blieb natürlich mangels Publikum aus, dagegen eher eine beklemmende Stille, was das Gefühl vermittelte, irgendetwas fehlte.

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Nach einer kurzen Pause betritt Diana Damrau die Bühne, und ihre vom ersten Moment an positive Ausstrahlung spielt sich auch in den vier nicht so bekannten Richard-Strauss-Liedern wieder, die sie präsentiert. Beginnend mit Das Bächlein op. 88 Nr.1, dessen Dichter unbekannt ist, über Meinem Kinde op. 37 Nr. 1 von Gustav Falke bis hin zum Wiegenlied op. 43 Nr. 2 von Richard Dehmel. Damrau singt diese romantischen Lieder mit zartem Ausdruck, wechselt vom leisen Piano ins Dramatische, und ihre ganze Körperspannung, ihre Mimik und Gestik drücken die Freude am Gesang aus. Ganz große Liedkunst beweist Damrau mit dem vierten Lied Muttertändelei op. 43 Nr. 2 von Gottfried August Bürger.

Hier spielt sie mit ihrer Stimme, gurrt, lässt die Ströme fließen. Das ist Liedkunst auf allerhöchstem Niveau, die auch berührt, weil die Damrau diese Lieder nicht nur einfach singt, sondern sie lebt. Auch ihr Abgang nach diesen vier Liedern wirkt etwas verloren in der Stille des großen Hauses.

Es gibt ein kurzes orchestrales Zwischenspiel, das Interludio aus dem zweiten Akt der Neubearbeitung von Mozarts Idomeneo. Nach den heiteren Liedern erklingt dieses kurze Werk düster und schwermütig, fast, als wolle es bewusst die schöne Stimmung vertreiben. Doch zeigt es auch die Vielfalt des musikalischen Ausdrucks im Schaffen von Richard Strauss.

Die nun folgenden vier Lieder werden von Tenor Klaus Florian Vogt interpretiert. Er beginnt mit dem Ständchen op. 17 Nr. 2, dann folgt die Freundliche Vision op. 48 Nr. 1.
Mit seiner bekannten, leichten Tenorstimme interpretiert er die romantischen Lieder. Leider ist die Stimme und der Ausdruck doch sehr eindimensional, es fehlen die Farben, die Facetten und die Nuancierungen im Ausdruck. Auch die Körperspannung, sein Gestus und seine Mimik lassen den emotionalen Ausdruck vermissen. So singt er die Lieder zwar technisch sauber und schön, aber sie berühren nicht, und das ist vor allem bei den folgenden Liedern
Liebeshymnus op. 32 Nr. 3 und Cäcilie op. 27 Nr. 2 so eminent wichtig.

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Das sich anschließende Duett-Concertino für Klarinette und Fagott mit Streichorchester und Harfe ist ein musikalisches Kleinod für sich und musikalischer Höhepunkt des Konzertes. Es ist ein Alterswerk von Richard Strauss und wurde 1947, zwei Jahre vor seinem Tod, veröffentlicht und zeigt den monumentalen Kontrast der musikalischen Entwicklung vom Hornkonzert Nr. 1 des 18-jährigen Komponisten bis hin zum Schaffen mit 83 Jahren. Diesem Duett-Concertino liegt die Idee zu Grunde, die lustige Klarinette gegen das traurige Fagott auszuspielen. Angeblich soll Hans Christian Andersens Märchen vom Schweinehirten Richard Strauss zu diesem Werke inspiriert haben, in dem ein Schweinehirt, dargestellt durch das Fagott, um eine kapriziöse Prinzessin, die von der Klarinette verkörpert wird, wirbt. Der Altmeister, der nach einem musikalischen Heldenleben, welches ihn durch alle Höhen und Tiefen der Empfindung führte, zu heiterer Einfachheit zurückkehrt, beschwört hier eine reine und musikalische Schönheit. Markus Schön mit der Klarinette und Holger Schinköthe am Fagott lassen dieses musikalische Zwiegespräch und Werben auf wunderbare Weise erklingen.

Zum Abschluss des Konzertes erklingen noch einmal bekannte und weniger bekannte Lieder von Richard Strauss. Es ist zunächst wieder Diana Damrau, die den Zuschauer am Bildschirm mit dem Traum durch die Dämmerung op. 29 Nr. 1 in eine wirklich träumerische Stimmung versetzt, die auch mit dem Lied Das Rosenband op. 36 Nr. 1 anhält. Klaus Florian Vogts Heimliche Aufforderung op. 27 Nr. 3 weiß interpretatorisch durchaus zu gefallen.

Mit der Winterweihe op. 48 Nr. 4 stimmt Damrau schon einmal mit zarten Tönen auf die bevorstehende Zeit an. Auch ihr Allerseelen op. 10 Nr. 8 ist von berückender Intensität und Ausdruckskraft. Mit Morgen! op. 27 Nr. 4 macht Vogt etwas Mut in diesen schwierigen Zeiten, wenn er fast entrückt singt „Morgen wird die Sonne wieder scheinen“. Das große Finale bestreiten Damrau und Vogt gemeinsam mit dem vielleicht bekanntesten und schönsten Lied von Richard Strauss, das dem Konzert auch seinen Titel gab: Zueignung op. 10 Nr. 1. Die erste Strophe singt Damrau, die zweite Vogt, um dann die dritte Strophe gemeinsam zu singen. Sicher sehr ungewöhnlich für ein Kunstlied, aber was ist an diesem Konzert auch gewöhnlich. Mit großem Ausdruck gesungen, auch wenn die Stimmlagen der beiden nicht ideal harmonieren, kommt er dann endlich, der lang ersehnte Gänsehautmoment. Dann ist Schluss, eine kurze Verbeugung des Dirigenten vor dem imaginären Publikum an den Bildschirmen, kein Applaus, ein stiller Abgang.

Musikalisch war es ein wunderbares und anspruchsvolles Strauss-Konzert, doch die kühle Atmosphäre in dem leeren Nationaltheater trug mit dazu bei, dass der Funken nicht wirklich übersprang. Lediglich die Damrau konnte mit ihrem ausdrucksstarken Liedgesang wirkliche Emotionen erwecken, aber auch das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Asher Fisch und den Solisten Markus Schön, Holger Schinköthe und Johannes Dengler haben die Vielfalt des musikalischen Schaffens von Richard Strauss überzeugend dargestellt.

Die Dirigentin Oksana Lyniv, die vor wenigen Tagen ein Symphoniekonzert ohne Publikum dirigiert hat, hat so ein „Geisterkonzert“ in einem leeren Konzertsaal mit einem Seelenzustand verglichen, wenn man eine leere Kirche betritt, mit einem Bedürfnis nach einem Gebet. „Man ist dann allein im Raum, aber ganz tief in seinen eigenen Gedanken – und man wendet sich an etwas Höheres.“ Es gebe keinen Applaus, nichts Effektvolles oder Feierliches. Die Musiker können so ganz frei ihrem Bedürfnis nachgehen, „durch die Musik die Gefühle sprechen zu lassen“. Doch übertragen auf das Konzert Zueignung müssen diese Gefühle dann auch beim Zuschauer ankommen und was mit ihm machen. Das ist nur teilweise gelungen.

Andreas H. Hölscher