O-Ton

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Zwei Märchenaugen

DIE ZIRKUSPRINZESSIN
(Emmerich Kálmán)

Besuch am
20. Juli 2022
(Premiere am 19. Juli 2014 im Circus Krone)

 

Gärtnerplatztheater, München

Wenn es um Operetten von Emmerich Kálmán geht, dann fallen natürlich als erstes die Namen seiner beiden größten Erfolge, Die Csárdásfürstin und Gräfin Mariza. Dabei hat Kálmán viel mehr komponiert. Zwei Jahre nach der Mariza wurde Die Zirkusprinzessin am Theater an der Wien mit grandiosem Erfolg uraufgeführt. Heute steht dieses Werk leider zu Unrecht eher im Schatten der Gräfin Mariza, was vielleicht an den zahlreichen musikalischen Parallelen zwischen den beiden Werken liegen mag. Des Weiteren hat Kálmán in der Zirkusprinzessin nicht nur Themen aus seinen eigenen Stücken übernommen, sondern sich auch von anderen Operetten sehr inspirieren lassen. Die Handlung weist zum einen deutliche Parallelen zu Carl Millöckers Bettelstudent auf. Wie dort dem Oberst Ollendorf die Gräfin Laura Nowalska, hat hier Fürstin Fedora Palinska dem Prinzen Sergius Wladimir eine Abfuhr erteilt, obwohl er sie nicht auf die Schulter geküsst hat. Dafür will sich der Zurückgewiesene an ihr rächen, indem er sie wie im Bettelstudent unstandesgemäß verkuppelt – hier mit dem Zirkusartisten Mr. X. als vorgeblichem Grafen. Der geplante Eklat wird dann im zweiten Finale dadurch in Gang gesetzt, dass Gaukler in die Hochzeitszeremonie platzen – wie einst die Gefängnisinsassen bei Millöcker. Doch wie der vermeintliche Bettelstudent schließlich in den Adelsstand erhoben wird, entpuppt sich auch bei Kálmán der angebliche Zirkusartist und Gaukler als Prinz und bewahrt damit Fürstin Fedora vor der im Titel angedeuteten Mesalliance.

Aber auch die Anleihen beim Vorgängererfolg Gräfin Mariza sind frappant. Figuren wie Prinz Sergius Wladimir oder das Paar der komischen Alten Carla Schlumberger und des Dritte-Akt-Komikers Pelikan haben ihre Vorbilder unverkennbar in Fürst Dragomir Populescu, sowie in Fürstin Bozena Cuddenstein zu Chlumetz und ihrem Kammerdiener Penižek. Auch die Hauptfigur, der geheimnisvolle Artist Mr. X, der sich todesmutig von der Zirkuskuppel auf den Rücken eines galoppierenden Pferdes stürzt und nur maskiert auftritt, ähnelt unverkennbar jenem Tassilo, der hinter der neu angenommenen Berufstätigkeit als Gutsverwalter der Gräfin Mariza seine eigentliche Identität als Graf Endrödy-Wittenburg verbirgt. Beim Husarenmarsch Mädel gib Acht! Schließ dein Fenster heut‘ Nacht! im zweiten Akt, in dem Mr. X gemeinsam mit dem Prinzen Wladimir und den russischen Generalen die Mädchen vor den Husaren warnt, lässt sich vermuten, dass der berühmte Marsch Ja, das Studium der Weiber ist schwer aus Franz Lehárs Operette Die lustige Witwe hier als Vorbild fungiert hat.

Die große Auftrittsarie des Mr. X Wieder hinaus ins strahlende Licht zeigt sowohl in der musikalischen Struktur als auch inhaltlich eine deutliche Parallele zu Ruggiero Leoncavallos berühmter Arie des Bajazzo Vesti la giubba. Doch trotz aller Parallelen und Ähnlichkeiten mit anderen Werken ist die Zirkusprinzessin eine wunderbare eigenständige Operette, die vor allem von den spritzigen und zündenden Kálmán-Melodien lebt, mit dem Rezitativ Wieder hinaus ins strahlende Licht und der anschließenden Arie Zwei Märchenaugen, wie die Sterne so schön des Mr. X als Leitmotiv.

Die Geschichte folgt dem klassischen Operettenschema. Die aus Paris stammende Fürstin Fedora Palinska, Witwe eines wohlhabenden russischen Gutsbesitzers, soll auf Anweisung des Zaren wieder heiraten, damit die Palinskischen Güter in russischer Hand bleiben. Im St. Petersburger Zirkus Stanislawski wird die schöne Fürstin von einer Gruppe russischer Offiziere umgarnt, darunter Prinz Sergius Wladimir, der um jeden Preis an die Besitztümer Fedoras gelangen will. Doch die weist alle Werbungen von sich und scheint sich vielmehr für den mysteriösen, stets maskierten Kunstreiter Mr. X zu interessieren, der nicht nur die Hauptattraktion des Zirkus’ ist, sondern mit seinem Inkognito auch ein trauriges Geheimnis zu wahren sucht. Denn Mr. X ist in Wirklichkeit Fedja Palinski, der Neffe des verstorbenen Gutsbesitzers und ein ehemaliger Husarenoffizier. Bei einer Opernaufführung hatte er einst Fedora erblickt und sich unsterblich in sie verliebt. Als er das seinem Onkel offenbarte, warf der ihn vor die Tür, denn die Dame war die Braut des Fürsten. In ein kleines Provinznest versetzt, quittiert Fedja den Dienst beim Militär und heuert aufgrund seiner großen Reitkunst im Zirkus an, aber seine Auftritte sind stets mit Maske, um seine wahre Identität zu verhüllen.

Auch der junge Toni Schlumberger, Sohn einer Wiener Hotelbesitzerin, findet sich in Liebesangelegenheiten im Zirkus Stanislawski ein, hat er doch ein Auge auf die Hundedresseurin Miss Mabel Gibson geworfen. Das Hotel in Wien heißt „Erzherzog Carl“, und in St. Petersburg wird Toni fälschlicherweise für den Sohn des Erzherzogs gehalten. Miss Gibson, die – wie sich herausstellt – ebenfalls aus Wien stammt, will die Liebesschwüre aber erst hören, wenn sie auch geheiratet wird. Und so gibt es neben komischen Verwechslungen auch böse Intrigen. Der gekränkte Prinz Sergius Wladimir rächt sich für seine Zurückweisung, in dem er Mr. X als Grafen der verwitweten Fürstin vorstellt, eine Hochzeit arrangiert, um dann die Fürstin zu demütigen, da ihr Gemahl kein Graf sei, sondern nur ein gewöhnlicher Zirkusartist, ein Gaukler, und sie jetzt die „Zirkusprinzessin“ sei. Die Fürstin ist entsetzt ob des Betrugs, und obwohl sie den unbekannten Menschen liebt, erscheint ihr der Standesunterschied doch zu groß. Nun ist es an Mr. X, die Maske endgültig fallen zu lassen und seine wahre Herkunft zu enthüllen. Zum Schluss, wie sich das für eine gute Operette gehört, finden Fedora und Fedja endgültig zusammen. Auch Hotelierssohn Toni hat seine Hundedresseurin geheiratet und es der strengen Mutter gebeichtet, die wiederum mit ihrem treuen Oberkellner Pelikan in Erinnerungen schwelgt.

Das Gärtnerplatztheater München hatte die Premiere vor acht Jahren direkt in den Zirkus Crone verlegt, weil damals das Theater noch wegen des langjährigen Umbaus geschlossen war. Eine Zirkusoperette im Zirkus, da war der Erfolg damals schon vorprogrammiert. Doch würde das Werk mit der Wiederaufnahme auch auf der Theaterbühne so erfolgreich sein? Josef E. Köpplinger, Regisseur und Intendant des Gärtnerplatztheaters, hat mit seinem Team die Inszenierung so angelegt, dass sie nicht nur in der Zirkusmanege begeistert, sondern auch im heimischen Theater zündet. Schon vor der Aufführung treiben die Clowns im Foyer so allerlei Schabernack und stimmen die Zuschauer auf die Vorstellung ein. Die Clowns sind allesamt Tänzer des Balletts des Staatstheaters am Gärtnerplatz, wunderbar choreografiert als Artisten oder als stumme Beobachter von Karl Alfred Schreiner. Auch ein echter Jongleur darf bei so einer Aufführung nicht fehlen, Elias Oechsner kann seine Künste erstmalig vorführen.

Köpplinger macht mit seiner Inszenierung keine Experimente, sondern setzt auf bewährte Mechanismen. Das Bühnenbild für den ersten und zweiten Akt bildet ein Rund am Hinterausgang des Zirkuszeltes. Im zweiten Akt kommen Schlitten zum Einsatz, die eine russische Winternacht romantisieren.  Für den dritten Akt, der in einem Wiener Hotel spielt, hat Bühnenbildner Rainer Sinell Miniaturausgaben des Stephansdoms, des Riesenrads aus dem Prater und des Hotels aufstellen lassen, ein schöner und passender Einfall. Die klassischen Zirkuskostüme, die eleganten Kleider und die passenden Uniformen hat Marie-Luise Walek entworfen.

Die Personenregie ist bei Köpplinger wie immer auf die Beziehungsebenen der unterschiedlichen Paare ausgerichtet, und es ist eine emotionale Achterbahnfahrt, auf die sich die Protagonisten da einlassen, gepuscht durch die teilweise melancholischen Melodien Kálmáns. Dass es ein gelungener Operettenabend ist, dafür sorgt auch ein bestens aufgelegtes Ensemble. Allen voran Andreja Zidarič als Fürstin Fedora Palinska, die mit wunderbarem lyrischem Sopran ein überzeugendes Rollendebüt gibt. In ihrem Auftritt gibt sie sich ihren ganzen Bewerbern gegenüber, die sie umschwirren wie die Motten das Licht, als absolut unnahbar.

Auch in ihrem Spiel mit Mr. X zeigt sie sich zunächst absolut divenhaft und vollzieht einen glaubhaften Wandel, wenn sie in dem gefühlvollen Duett Mein Darling muss so sein wie du dem falschen Prinz ihre Liebe gesteht. Mit Zidarič hat das Gärtnerplatztheater eine echte Operettendiva. Ihr in nichts nachstehend zeigt sich Daniel Prohaska, der als Mr. X mit strahlendem Tenor begeistert und in seiner Auftrittsarie Wieder hinaus ins strahlende Licht – Zwei Märchenaugen, wie die Sterne so schön mit lyrischem Schmelz und strahlenden Höhen überzeugt. Im Duett mit Zidarič zeigt er eine berührende Innigkeit, und beim „Husarenmarsch“ vor der Pause zeigt Prohaska seine komödiantische Seite. Erwin Windegger überzeugt als intriganter Prinz Sergius Wladimir darstellerisch auf der ganzen Linie und ist der geniale Gegenpol zu Prohaska. Frank Berg als sein Adjutant Peter Brusowsky gewinnt mit komödiantischem Spiel.

Das Buffo-Paar des Abends ist in Darstellung und musikalischem Ausdruck dem Divenpaar durchaus ebenbürtig. Nadine Zeintl und Peter Neustifter begeistern nicht nur stimmlich als Miss Mabel Gibson und Toni Schlumberger, sondern sind mit herrlich komischem Wiener Dialekt ein weiterer Höhepunkt des Abends. Mit wunderbaren Tanzeinlagen präsentieren sie ihre beiden großen Hits Liese, Liese, komm mit mir auf die Wiese und Wenn du mich sitzen lässt, fahr ich sofort nach Budapest, die textlich schon wieder so albern sind, dass sie zwangsläufig zum Schmunzeln führen. Auch die Hotelbesitzerin Carla Schlumberger, Tonis Mutter, und der Oberkellner Pelikan sind mit Sigrid Hauser und Robert Meyer ideal besetzt. Mit großer darstellerischer Kunst zeigt sich Hauser einerseits als Hotelbesitzerin streng und unnahbar, lässt dann aber doch ihre tiefen Gefühle für Pelikan durchblicken, der seit 25 Jahren in ihren Diensten steht, und der auch noch, was aber außer den beiden keiner weiß und erfahren wird, Tonis Vater ist. Robert Meyer macht aus der Nebenrolle des Pelikan ein komödiantisches Ereignis. Großartig auch Martin Hausberger und Gisela Ehrensperger als Zirkusdirektor Stanislawski und seine Ehefrau Wanja, die den Zirkus schon lange Zeit führen und ihn nun an die folgende Generation weitergeben wollen. Insbesondere Gisela Ehrensperger, die 40 Jahre festes Ensemblemitglied am Gärtnerplatztheater war und mit mittlerweile fast 79 Jahren als graue Eminenz und Institution auf der Bühne steht, ist immer noch ein Ereignis. Auch die vielen Nebenrollen fügen sich sängerisch und spielerisch hervorragend in das Gesamtensemble ein, allen voran Gunnar Frietsch als Rittmeister Graf Saskusin und Dieter Fernengel als Leutnant von Petrowitsch sowie Holger Ohlmann als Portier Frantischek und Maximilian Potthoff als Piccolo Maxl.

Auch musikalisch ist der Operettenabend ein Hochgenuss. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Oleg Ptashnikov spielt einen feurigen Kálmán, mit Dynamik und Leidenschaft. Ptashnikov lässt die Sänger immer im Vordergrund, und mit transparentem Klang und filigranem Dirigat und den typischen Kálmán-Phrasierungen erzeugt er eine Stimmung, die zwischen Melancholie und überschäumender Leidenschaft chargiert. Dovilė Šiupėnytė hat den spielfreudig agierenden Chor bestens eingestellt.

Nach knapp drei Stunden gibt es von dem begeisterten Publikum tosenden Applaus. Köpplingers Inszenierung braucht gar keine Zirkusmanege, um zu wirken. Bühnenbild, Kostüme und ein großartiges Ensemble entführen das Publikum in die Welt des Zirkus‘ und der großen Operette.

Andreas H. Hölscher