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Aktuelle Aufführungen
WOZZECK
(Alban Berg)
Besuch am
26. November 2023
(Premiere am 10. November 2008)
Als erstes fällt dem Besucher der Notenständer links am Rande der Bühne auf, was normalerweise nichts Gutes verheißt. An diesem Abend aber hat man in München eine mehr als gute Lösung gefunden: Georg Nigl probt zurzeit im Haus für die Premiere der Fledermaus am 23. Dezember den Eisenstein und kann den am Morgen krank aufgewachten Peter Mattei stimmlich ersetzen. Mattei spielt auf der Bühne mit vollem Einsatz und unter einer Maske alles mitsprechend den Wozzeck, Nigl singt vom Rand aus die Partie.
Foto © Wilfried Hösl
Seit 2008 wird der Wozzeck in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg am Nationaltheater gegeben, wuchtig, abstoßend und in seiner Kälte mit tiefgründigen Bildern aufwartend. Ein großer Kubus beherrscht die Bühne, in dem sich Wozzecks Zuhause befindet, wenn man das so nennen möchte, schmutzige Wände und ein kahles Inneres prägen das Bild. Darunter steht die Bühne unter Wasser, was in mehrfacher Hinsicht zum Ausdrucksmittel wird: das müde Schlurfen der Arbeiter, Wozzecks und Andres‘ Ringen um ein Existenzminimum, Maries Werben um den Tambourmajor, das alles wird verstärkt durch die Bewegungen im Wasser.
Die Lichtregie unter Stefan Bollinger unterstützt das kongenial, spiegeln sich doch die Wellenreflexe im Kubus dahinter und liefern schaurige, verzerrte Schattenbilder der Handelnden, irre Gestalten sind hier am Werk. Andrea Schaad zeichnet für die Kostüme verantwortlich, sie bleibt bei Wozzeck und Marie bei normaler Kleidung, im Falle des Hauptmanns und des Doktors aber überzeichnet sie gnadenlos. So kommt ersterer mit Beinschienen und Stöcken daher, fett aufgedunsen mit schweren Brüsten. Letzterer ist selbst invalid, mit großen Schienen an den Beinen. Alle Beteiligten sind am ganzen Körper weiß geschminkt, mit hohlen Augen, unheimlich, passend zur Inszenierung, die in der Zeit der literarischen Vorlage um 1820/30 spielt und den Fokus auf die Ausweglosigkeit legt. „Es ist vielleicht einfacher, die Grausamkeit und das gewalttätige Potential aus einer zeitlichen Distanz emotional wahrzunehmen, als wenn ich versuchen würde, das Stück ins Heute zu adaptieren“, sagt Kriegenburg.
Foto © Wilfried Hösl
Der Wozzeck von Nigl und Mattei ergibt sich aus der pantomimischen Darstellung durch Mattei und der tiefgründigen, breit ausgeloteten sängerischen Interpretation durch Nigl. Bereits in Mailand vom Publikum für seine Interpretation des Wozzeck gefeiert und auch in München in dieser Inszenierung schon damit aufgetreten, kann Nigl sich hier ganz auf die Stimme konzentrieren. Und das macht er mit vollem Einsatz und vielen Farbfacetten in der Stimme. Wütende Verzweiflung und Aufschreie liegen nah neben einer fast versagenden brüchigen Stimmgebung, die die ganze Verletzlichkeit ausdrückt. Ihm zur Seite steht als Andres Ensemblemitglied Tansel Akzeybek, dessen sehr heller Tenor bis ins Falsett mühelos alles durchdringt und mit intensivem Ausdruck die Dringlichkeit des Geschehens verdeutlicht. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Hauptmann macht auch stimmlich das Groteske seiner Figur deutlich, ein hoher, heller Tenor, der selbst am Rande des Irrsinns steht, ebenso wie der Doktor, den Bassist Jens Larsen überzeugend singt.
Mit Marlis Petersens Marie kann man sich nicht so recht anfreunden. Die grandiose Sängerin lässt es hier an Unmittelbarkeit, an Wucht fehlen. Ihre stärksten Momente sind die der inneren Einsicht wie bei Ich bin doch ein schlecht Mensch. Die Nebenrollen sind mit John Daszak als Tambourmajor, Ulrich Reß als Narr, Milan Siljanov und Andrew Hamilton als Handwerksburschen durchwegs sehr gut besetzt. Felix Bellheim spielt die stumme Rolle des Knaben. Die Margret von Rinat Shaham ragt heraus. Ihre Szene, als Wozzeck sich mit ihr nach dem Mord ablenken will, gerät zu einer der spannendsten der Aufführung. Wunderbar gesungen und mit großer Intensität gespielt, grauenhaft wirkend.
Vladimir Jurowski dirigiert das Orchester sehr energisch, mit klaren, teils schneidenden Bewegungen, starke, scharfe Akzente setzend. Hier ist sie, die Wucht, die Verzweiflung, die gebrochene Walzerseligkeit im kleinen Ensemble auf der Bühne, das auf dem Rücken der Arbeiter hereingetragen wird. Aber auch die tiefe Emotion, als Wozzeck nach der Tat in die Wirtschaft kommt, mit einem wunderbaren Cellosolo.
Das Publikum der sonntagnachmittäglichen Aufführung im fast ausverkauften Haus feiert Inszenierung und Darsteller gebührend.
Jutta Schwegler