O-Ton

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Foto © Wilfried Hösl

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Wälsungenblut

DIE WALKÜRE – ERSTER AKT
(Richard Wagner)

Gesehen am
13. Mai 2021
(Premiere/Livetream)

 

Bayerische Staatsoper München

Er war geplant als Livestream-Event aus der Staatsoper München, der erste Aufzug der Walküre. Richard Wagner als konzertante Aufführung mit Jonas Kaufmann, Lise Davidsen und Georg Zeppenfeld. Natürlich ohne Publikum, wie seit langem in diesen unseligen Zeiten. Doch dann sanken die Corona-Inzidenz-Zahlen, und drei Tage vor der Aufführung war klar, es durfte wieder vor Publikum gespielt werden. Etwa 700 Zuschauer mit Negativ-Test und Mund-Nasen-Maske sind für die Aufführung zugelassen. Der scheidende Staatsopernintendant Nikolaus Bachler lässt es sich nicht nehmen, vor der Aufführung die Zuschauer im Saal und an den Bildschirmen zu begrüßen und spricht von einem „fast historischen Moment“ in der 350-jährigen Geschichte der Institution, die er noch bis zum Ende der Spielzeit leiten wird. Nichts könne den Zuschauerraum in Verbindung mit der Bühne ersetzen. „Und wenn sich die Tore des Theaters öffnen, öffnen sich auch die Herzen, Gedanken und Sinne“, so Bachler. Und Wagners Walküre sei genau das richtige Werk, es sei „in der DNA des Staatsorchesters“, denn immerhin habe das Werk hier seine Uraufführung erlebt. Allerdings, muss man hinzufügen, fand die Uraufführung am 26. Juni 1870 in München auf Geheiß König Ludwigs II von Bayern statt und gegen den ausdrücklichen Willen Richard Wagners, der das Werk natürlich erst als Teil des gesamten Ring-Zyklus aufführen wollte.

Foto © Wilfried Hösl

Für eine konzertante Darbietung ist der erste Aufzug ideal geeignet. Etwa eine gute Stunde Spielzeit, nur drei Protagonisten, kein Chor. Und die Besetzung ist allererster Güte. Und bevor überhaupt der erste Ton gespielt wird, gibt es tosenden Applaus vom Publikum, dessen Erwartungshaltung nach der langen Zeit der Abstinenz ins Unermessliche gestiegen ist. Es soll nicht enttäuscht werden. Jonas Kaufmann als Siegmund wirkt ausgeruht und strotzt nur so vor Vitalität. Er hat den Atem, um den zweiten Wälse-Ruf gefühlte zehn Sekunden ohne Wackler auszuhalten, aber er kann es auch lyrisch angehen wie in den Winterstürmen. Mit seinem sehr baritonalen Timbre und strahlkräftigen Höhen ist die Darbietung Kaufmanns als Siegmund in dieser Form derzeit der Maßstab. Und Kaufmann singt nicht einfach nur perfekt, seine Mimik, Gestik zeigen in jedem Moment, wie tief er in dieser Rolle ist, auch bei einer konzertanten Aufführung, und ist sowohl von der Stimmlage als auch von der Ausstrahlung der ideale Bühnenpartner für Lise Davidsen als Sieglinde. Deren noch junge Karriere im Wagner-Fach ist bisher atemberaubend schnell verlaufen. Und an diesem Abend beweist sie, dass sie zu Recht zur Spitze des Wagner-Gesangs zählt. Mit sicheren, klaren Höhen und einer warmen Mittellage setzt sie deutliche Akzente, ihre dramatischen Ausbrüche sind höhensicher und ohne Brüche. Neben einer großen Textverständlichkeit setzt Davidsen auch immer wieder eigene Akzente, besonders im finalen Duett. Da knisterte es förmlich auf der Bühne zwischen ihr und Kaufmann. Selten ist die Emotionalität eines konzertanten ersten Aufzuges so übergesprungen. Auch der Dritte im Bunde, Georg Zeppenfeld, überzeugt als finsterer Hunding mit markant schwarzem Bass und aggressivem Habitus. Auch Zeppenfeld gehört unumstritten neben René Pape zu den führenden Wagner-Bässen weltweit.

Das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Asher Fisch überzeugt an diesem Abend durch eine beeindruckende Klangmalerei und durch ein farbenreiches und nuanciertes Spiel. Düster und wuchtig erklingt das Vorspiel zum ersten Aufzug, der peitschende Sturm tobt quasi von der Bühne, aber er legt sich auch wieder, und immer wieder gibt es Momente, die fast kammermusikalisch klingen, insbesondere in den großen Cello-Passagen. Sehr sauber auch die Bläser, die präzise akzentuieren. Fisch arbeitet die Leitmotive und die großen Orchesterszenen klar heraus, nimmt das Orchester aber immer wieder zurück, geht ins Piano und begleitet sehr sängerfreundlich. Das Tempo ist insgesamt mäßig moderat mit gelegentlichen schnellen Anzügen und expressiven Ausbrüchen. Am Schluss gibt es großen Jubel und minutenlangen Beifall und Bravo-Rufe für die drei Sänger, den Dirigenten und das Orchester. Es scheint wie eine Erlösung für das Publikum, endlich wieder live dabei sein zu dürfen. Und der wie ein musikalischer Höhepunkt komponierte und gespielte Schluss des ersten Aufzuges verlangt ja schon fast ekstatische Ausbrüche. An diesem Abend ist es verdient, es hat einfach alles gepasst. Wie schön kann Oper, kann Wagner sein, wenn es vor Publikum dargeboten wird, oder um es mit Siegmunds Schlussworten zu sagen: „So blühe denn, Wälsungenblut!“

Andreas H. Hölscher