O-Ton

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Foto © Wilfried Hösl

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Rossini in Schwarz-Weiß

IL SIGNOR BRUSCHINO
(Gioachino Rossini)

Gesehen am
22. März 2021
(Premiere/Live-Stream)

 

Bayerische Staatsoper München

Im Rahmen ihrer Reihe Montagsstücke setzte die Bayerische Staatsoper München ihre live im Stream übertragenen Konzerte fort, die Nummer XVIII mit einer ganz besonderen Rarität, Gioachino Rossinis Il signor Bruschino ossia Il figlio per azzardo.  Übersetzt heißt das „Der Herr Bruschino oder Der Sohn aus Zufall.“ Farsa giocosa per musica in un atto di, ein „Lustiger Schwank für Musik in einem Akt“ von Giuseppe Foppa. Also, so möchte man meinen, 75 Minuten Rossini vom Feinsten zum Genießen, vielleicht dabei die Augenschließen, dazu einen guten italienischen Wein. Doch irgendwie stimmt was mit der Übertragung nicht. Das Bild erscheint verzerrt, ist schwarz-weiß, mit eingeblendeten Texttafeln. Was ist denn hier schiefgegangen? Gar nichts. Rossinis herrlicher Einakter wird als Stummfilm-Komödie im Stile der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts gegeben, mit Live-Orchester und echtem Gesang. Und wenn man sich auf dieses zunächst ungewohnte Bildformat einlässt, merkt man ganz schnell, wie herrlich passend die Form des guten alten Pantoffelkinos auf diese Komödie zugeschnitten ist.

Il signor Bruschino ist die letzte der fünf komischen Operneinakter, die Rossini zwischen 1810 und 1813 für das Teatro La Fenice in Venedig komponierte. Diese Operngattung war zum Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts sehr populär. Die Stücke waren meist mit nur fünf bis acht Sängern besetzt, darunter immer ein Liebespaar, in diesem Falle Sofia und Florville, mindestens zwei komische Partien, hier Bruschino padre, Gaudenzio und Filiberto, sowie einer oder mehreren Nebenrollen, hier Marianna, Bruschino figlio und der Polizist. Das Libretto stammt von Giuseppe Foppa. Rossini komponierte die Musik in besonderer Eile, da er bereits einen weiteren Auftrag für das Teatro La Fenice hatte. Diese Oper, Tancredi, wurde dort nur wenige Tage nach der Premiere des Signor Bruschino uraufgeführt und war Rossinis erster großer durchschlagender Erfolg, und das im Alter von grade einmal 21 Jahren. Das bekannteste Stück aus der Oper ist die Ouvertüre, die bei der Uraufführung einen Skandal auslöste, da die zweiten Violinen angewiesen waren, mit ihren Bögen gegen die Zinndeckel der Kerzenhalter ihrer Notenpulte zu klopfen. Dieser rhythmische Klangeffekt ist während der ganzen Ouvertüre viermal zu hören.

Foto © Wilfried Hösl

Die Geschichte ist immer wieder dasselbe: Da vereinbaren zwei ältere Herren die Heirat ihrer Kinder, ohne es für nötig zu halten, die jungen Leute vorher nach ihrer Meinung zu fragen. Meist ein fatales Unterfangen, wie auch in Gioachino Rossinis Il Signor Bruschino. Sofia möchte nicht den ihr unbekannten Sohn des Herrn Bruschino zum Mann nehmen, sondern Florville; den kennt sie nicht nur, sie liebt ihn auch. Ihr Vormund Gaudenzio sieht Florvilles Vater aber als seinen Erzfeind an und würde dieser Verbindung nie zustimmen. Als Florvilles Vater jedoch stirbt, hofft sein Sohn, dass man damit auch die alte Fehde begraben wird. Gaudenzio hat in der Zwischenzeit Sofia bereits dem Sohn des Bruschino versprochen. Der vorgesehene Bräutigam häuft letztlich aber derart viele Schulden im Gasthaus an, dass der Wirt ihn im Zimmer einsperrt. Florville wittert seine Chance: Er gibt sich als sein eigener Rivale aus und will den alten Herrn eine List unterbreiten. Rossini spielt mit den Typen der Commedia dell’arte und schreibt ein witziges Stück über den kreativen Umgang mit der Realität und der Suche junger Menschen nach ihrem Platz in der Welt. Oder, wie Gaudenzio es ausdrückt: „Im großen Welttheater sucht jeder nach seinem Glück. Und mag es ihm noch so gut gehen, der Mensch ist nie zufrieden. Seien wir also frohgemut und genießen wir das, was kommt. Und mögen unsere Herzen in Freude und Vergnügen erstrahlen.“

Regisseur Marcus H. Rosenmüllers eigentliches Metier ist der Film. Sein Kinofilm Wer früher stirbt, ist länger tot aus dem Jahr 2006 gewann mehrere Filmpreise. An der Bayerischen Staatsoper inszenierte er 2015 mit dem Opernstudio Gioachino Rossinis Le Comte Ory. Rosenmüller inszeniert zwar einen Stummfilm im Stile von vor 100 Jahren, aber mit den technischen Möglichkeiten und Raffinessen von heute, was diesem „Film“ ein ganz besonderes Flair verleiht. Er arbeitet mit einer modernen Handkamera, wenn er einem Wollknäul folgt, das wie ein roter Faden durch das ganze Opernhaus rollt, oder wenn er immer wieder die Protagonisten in direkter Nahaufnahme präsentiert. Ein weiterer interessanter Fakt ist, dass von der Konzeption des Stückes bis zur Premiere grade einmal drei Wochen zur Verfügung standen, zwei für die inhaltliche Vorbereitung und eine für die Proben. Über die Unterschiede zwischen einer Filmproduktion und einer Bühnenaufführung sagt Rosenmüller: „Der große Unterschied ist der Schnitt. Während wir im Film nach dem Dreh den Rhythmus und die Melodie herstellen, geschieht dies in der Oper live durch den Dirigenten. Weitaus schwieriger ist es, die Zuschauer in die Geschichte zu ziehen, sie die Geschichte miterleben zu lassen. Darin liegt die große Kunst. In der Oper zieht einen die Musik ins Geschehen hinein, aber zum Spiel ist man als Zuschauer distanzierter, man betrachtet es objektiver.“ Und so ist diese Komödie nicht einfach nur ein Opernfilm im alten Stil, sondern ein ganz besonderes Erlebnis, in dem Musik, Gesang und Handlung, optimiert durch die technischen Möglichkeiten, zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen.

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Neben dem wunderbaren Belcanto-Gesang sind es Mimik und Gestik, die Ausdrücke von Hoffnung und Verzweiflung, von Freude und Wut in den Gesichtern der Akteure, die begeistern. Die gesamte Szenerie spielt im Opernhaus, auf und hinter der Bühne, mit Garderobe, Schneiderei, Kostümwerkstatt. Die Kulissen hinter der Bühne ersetzen so das Bühnenbild, die Figuren der Komödie sind quasi alles Mitarbeiter der Oper. So ist Sofia eine Näherin, die an einer Pfaff-Nähmaschine Kostüme schneidert, und ihr Geliebter Florville ist Angehöriger der Hausfeuerwehr. Signor Bruschino erscheint als edel gekleideter, selbstverliebter Pfau, während Gaudenzio aus einer Inszenierung des Bajazzo entsprungen zu sein scheint. Die Kostüme stammen natürlich aus dem Opernfundus, und so erscheint die Mixtur aus bunt zusammengewürfelter Ausstattung im SW-Format ideal für das Konzept eines Stummfilms auf der Bühne. Neben der filmischen Umsetzung der Handlung ist es vor allem die heitere Musik Rossinis und das typische Wechselspiel zwischen Rezitativen und Arien, die so typisch für den Komponisten sind. Das Orchester selbst spielt nicht im Graben, sondern ist auf der Hinterbühne platziert und bildet mit Kulisse und dem Ensemble eine organische Einheit.

Emily Pogorelc mit der Partie der Sofia begeistert mit lyrischem Sopran und strahlenden Höhen sowie mit einer angenehmen Mittellage. Josh Lovell als ihr Geliebter Florville überzeugt mit klarem Tenor sowie herrlich komödiantischem Spiel. Misha Kiria hinterlässt als Sofias Vormund Gaudenzio mit seinem ausdrucksstarken Bass-Bariton großen Eindruck, einschließlich präziser Koloraturen. Paolo Bordogna in der Titelrolle des Signor Bruschino ist ein Spezialist in Sachen Rossini, und mit seinem warmen und schmeichelnden Bariton läuft er zu spielerischer und sängerischer Hochform auf. Das gilt auch für Edwin Crossley-Mercer in der Rolle des Wirtes Filiberto, der mit markantem und ausdrucksstarkem Bariton einen stimmlichen Kontrast zu den ansonsten eher weicheren Stimmen setzt. Eliza Boom in der kleinen Rolle der Marianna gefällt mit jugendlich dramatischem Sopran und einer tiefen Mittellage. Andrew Hamilton veredelt mit seinem kräftigen Bariton die Rolle des Polizisten, während Andres Agudelo als Bruschino figlio zwar am Schluss nur einen Satz zu singen hat, sich aber mit komödiantischem Spiel nahtlos in das großartige Ensemble einreiht.

Das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Antonio Fogliani, dem Ersten Gastdirigenten der Deutschen Oper am Rhein, spielt einen zugkräftigen, farbenreichen Rossini mit viel Verve und Lebensfreude. In der Ouvertüre müssen die Streicher zwar mit dem Bogenholz auf die Notenpulte schlagen, ansonsten aber wird auf Effekthascherei verzichtet und leicht musiziert. Die Wechsel zwischen Rezitativen, Arien und Orchestermusik erfolgt ohne Brüche mit den typischen farbenreichen Rossini-Bögen. In den filigranen Parlando-Stellen des Orchesters werden die Sänger wunderbar getragen, exzellent in den Rezitativen begleitet von Alessandro Stefanelli am Hammerklavier.

Und so gelingt ein Stummfilm mit musikalischer Begleitung auf einem Niveau, wie es in der echten Zeit dieses Genres so gar nicht möglich gewesen wäre. Und für den Zuschauer ist diese Art der Präsentation einer Oper ein ganz besonderes Erlebnis, wie es aber eben nur im Stream möglich ist.

Andreas H. Hölscher