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Strauss und Schubert

SEHNLICHES VERLANGEN
(Richard Strauss, Franz Schubert)

Gesehen am
25. Januar 2021
(Livestream)

 

Bayerische Staatsoper München

Im Rahmen ihrer Reihe Montagsstücke setzte die Bayerische Staatsoper München ihre live im Stream übertragenen Konzerte fort. Gab es vor gut zwei Monaten unter dem Titel Zueignung ein reines Richard-Strauss-Konzert, steht diesmal mit dem bezeichnenden Namen Sehnliches Verlangen eine ungewöhnliche, aber tief berührende Kombination auf dem Spielplan. Neben den Vier letzten Liedern von Richard Strauss gibt es Franz Schuberts Große Symphonie in C-Dur. Beiden Werken ist eins gemeinsam: Die Komponisten erlebten die Uraufführung ihrer Werke nicht mehr. Dass diese beiden epochalen Werke an einem Abend unter der Leitung von Zubin Mehta aufgeführt werden, der mit fast 85 Jahren selbst im Spätherbst seiner Karriere steht und dieses ungemeine Wissen und Können einbringt, das macht dieses Konzert zu einem ganz besonderen Ereignis, was auch der Titel Sehnliches Verlangen zum Ausdruck bringt.

Die Vier letzten Lieder sind so etwas wie der Inbegriff des Spätwerks geworden. In Wort wie Ton sind die Straussschen Herbstblüten von Abschied erfüllt wie ein Schwanengesang. Es ist der Umgang eines Künstlers mit dem nahenden Tod, der aber nicht mehr als etwas Bedrohliches empfunden wird. In diesen Vier letzten Liedern verliert der Tod seinen Schrecken, es hat mehr was von liebevoller Akzeptanz. Drei Gedichte von Hermann Hesse und eines von Joseph von Eichendorff boten Strauss die Inspiration, den von ihm so gerne bevorzugten hohen Sopran mit einem zart begleitenden Orchester zu vereinen. Die Vier letzten Lieder gehören zu Strauss’ innigsten Kompositionen. Der Tod wird hier als Erlösung von großer Müdigkeit dankbar empfangen. Strauss breitet noch einmal verschwenderisch seine große Kunst der Instrumentation aus. Man spürt fast körperlich das Flirren und Schweben der Streicher, und die filigranen Akkorde von Harfe und Flöten verbreiten eine transzendente Atmosphäre, wie wir sie auch aus anderen Werken von ihm kennen. Mit glitzernden Tropfen sinkt der Regen in den Streichern herab, mit schwerelosen Flötentrillern steigen Lerchen in die Luft, und die Seele schwebt „in freien Flügen“ von einem grandiosen Violin-Solo begleitet empor. In unendlichen Melodielinien dehnt die Singstimme den Text oft in kunstvolle Verzierungen. Die Weisheit des Alters und die Abgeklärtheit eines in sich ruhenden Menschen sprechen aus diesen Liedern, aber auch Abschiedsstimmung und das Bewusstsein, dass alles auf dieser Welt endlich ist.

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Als persönliches Bekenntnis versteht der mittlerweile über 80-jährige Strauss das Gedicht von Joseph von Eichendorf: Im Abendrot. Ein altes Paar geht in Harmonie und innerem Frieden dem Tod entgegen. Wenn er die Verse sogar in sein Tagebuch notiert, dann hält er Rückschau auf seinen Lebensweg an der Seite seiner Frau Pauline. Im Abendrot beschließt die Vier letzten Lieder und ist doch das erste, das er komponiert hat, und auf das die anderen drei Stücke auf Gedichte von Hermann Hesse folgen. Jedes der Vier letzten Lieder endet in Dur mit einem zaghaften Hoffnungsschimmer. Nach den letzten Worten „Ist dies etwa der Tod?“ taucht ein Zitat aus einem fast sechzig Jahre zuvor von Strauss komponierten Werk auf: das Verklärungsmotiv aus der Tondichtung Tod und Verklärung, nicht mehr majestätisch auftrumpfend, sondern in mattem Schein. So hatte Strauss auf die Frage nach den letzten Dingen, die er sich als 25-Jähriger stellte, im Jahr vor seinem Tod selbst eine Antwort gegeben. Die Uraufführung fand am 22. Mai 1950, acht Monate nach dem Tod von Strauss in der Royal Albert Hall in London statt. Die Interpreten waren Kirsten Flagstad und das Philharmonia Orchestra unter Leitung von Wilhelm Furtwängler.

Camilla Nylund, eine ausgewiesene Expertin in Sachen Richard Strauss, interpretiert diese Vier letzten Lieder mit klangsinnlicher Intensität an diesem Abend. Begleitet vom Bayerischen Staatsorchester unter Zubin Mehta wird ihre voll tragende Stimme fast eins mit dem Orchester. Mit langem Atem, großer Klangentfaltung und sehr differenzierter Artikulation verströmt Nylund silbrig glänzende Klänge. Seelenvoll ist ihre Ausstrahlung, tief berührend und beglückend, ihre Interpretation von Im Abendrot ist voller Innigkeit und zu Tränen rührend. Und der altersweise Mehta trägt sie mit seinem inspirierenden Dirigat fast auf Händen. Es ist ein Moment besonderer Glückseligkeit, der in diesen schweren Zeiten Hoffnung gibt. Natürlich gibt es keinen Applaus, es ist kein Publikum im Nationaltheater. Die Verbeugung vor den imaginären Zuschauern daheim am Monitor wirkt fast unsicher, und die Realität der Stille und des Alleinseins hat wieder Einzug genommen, und diese Stille ohne befreienden Applaus ist schmerzhaft fühlbar.

Nach einem kurzen Moment der Pause geht es weiter mit Franz Schuberts Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944 mit dem Beinamen Die Große. Eine Symphonie zu schreiben, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine leichte Aufgabe.  „Wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen?“, fragte sich schon der junge Schubert. Seine erste wirklich „große“ Symphonie nahm Schubert in Angriff, als Beethovens Neunte bereits angekündigt war; er plante sie in direkter Konkurrenz, doch zu Lebzeiten Schuberts wurde die Symphonie nicht aufgeführt. Am 21. März 1839 erklang Franz Schuberts Große Sinfonie in C-Dur erstmals im Saal des Leipziger Gewandhauses, knapp elf Jahre nach dem Tod des Komponisten am 19. November 1828. Das Werk war von einem anderen Großen der Musik, der damals in Leipzig lebte, aufgespürt worden: Robert Schumann.

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Mit der Entdeckung der Sinfonie durch ihn war der Superlativ aber immer noch nicht erreicht. Das gelang erst Felix Mendelssohn Bartholdy. Der damalige Kapellmeister des Gewandhausorchesters verhalf mit der von ihm geleiteten Uraufführung der Sinfonie zu erstem Ruhm und war auch eine Art Befreiungsschlag. Sie beschritt neue kompositorische Wege und war wegweisend für vieles, was später kommen sollte. Allein die Hörner-Rufe in den ersten Takten haben viele spätere Komponisten inspiriert. Viele Sinfonien eröffnen plötzlich mit so einem Ruf. Ob Schumanns Frühlings-Symphonie oder Mendelssohns Lobgesang.

Dass diese Symphonie zu Recht den Beinamen Die Große trägt, zeigt Mehta auf ganz besondere Art. Er braucht keine ausladenden Bewegungen, um das Orchester zu führen, es ist sein sparsamer, aber vor allem inspirierender Schlag, der das Orchester auf der Bühne in einen großen strömenden Klangkörper verwandelt, mit der Akzentuierung einzelner Orchestergruppen, insbesondere den Holzbläsern. Die melancholische Stimmung nach den Vier letzten Liedern verwandelt sich in eine befreiende Klarheit, die sich dann im Allegro Vivace zum Schluss sich in einen wahren Freudenjubel steigert. Majestätisch, aber ohne Pathos. Und Mehta experimentiert auch nicht mehr, das braucht er schon lange nicht mehr, er lässt es strömen und fließen, und die Musiker des Bayerischen Staatsorchesters spielen mit einer großen Herzlichkeit und dem spürbaren Genuss des Momentums. „Bravo“ möchte man rufen nach dieser großartigen Aufführung, doch es bleibt stumm im Rund des Nationaltheaters, das in ein kühles Blau gefärbt ist. Ja, es ist das sehnliche Verlangen, diese wunderbaren Werke wieder live zu erleben, mit den Sängern zu atmen und mit den Musikern zu fühlen. Auch wenn die Übertragung von Bild und Ton sowie Kameraführung zweifelsohne exzellent sind, fehlt doch die Interaktion zwischen den Künstlern und dem Publikum. Auch Mehta schaut fast traurig in die Kamera, auch so ein Moment mit Seltenheitswert, genau wie die ungewöhnliche programmatische Zusammenstellung.

Andreas H. Hölscher