O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Mausgrau

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
30. Januar 2020
(Premiere)

 

Staatstheater am Gärtnerplatz, München

Die Premiere am Staatstheater am Gärtnerplatz folgt einem Ritual wie auch anderswo häufig zu beobachten. Man kennt sich. Freudige, möglichst auffällige Umarmungen. Bussi links, Bussi rechts. Das übliche Schaulaufen.

Demjenigen, der sich nicht nur zeigen will, bietet das hauseigene Multimedia-System eine im Wissen um die lautstarken Begrüßungszeremonien der Premierengäste stumme, aber informative und empathische Einführung in Giuseppe Verdis Oper Rigoletto. Mit Bild- und Textsequenzen auf die Aufführung eingestimmt, wird auch dem routinierten Opernbesucher das Gefühl vermittelt, für die nächsten Stunden ein herzlich willkommener und informierter Gast zu sein.

„Wer sich mit dem Teufel einlässt, verändert nicht den Teufel, sondern der Teufel verändert ihn“, formuliert Regisseur Herbert Föttinger vorab in einem Satz, mit welcher Perspektive er das Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Versdrama Le roi s’amuse von 1832 von Victor Hugo für seine Inszenierung liest. Texttreu übersetzt, von Alfred Mayerhofer alltagsmodisch heute mit Business-Anzug, Mantel, Kleid bis zu den zerrissenen Jeans und körperengem Top Maddalenas kostümiert, ergibt eine handwerklich solide, stringent erzählte Inszenierung.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Für die Drehbühne hat Walter Vogelweider eine graue, abweisende Architektur gebaut. Trostlose Dämmeratmosphäre im herzoglichen Schloss wie auch in Rigolettos Haus. Einzig ein wasserlachiger Mini-Whirlpool als Pathosdusche löst die Monotonie vorgeblicher Heiterkeit zeitweise auf. Ebenso einzig der Anzug des Herzogs von Mantua sowie die leichtgeschürzten Gespielinnen und Lustobjekte der verstaubten Schlossgesellschaft stechen – allzu vordergründig – erotisch rot gefärbt hervor. Wenig sinnlicher, mehr angestrengter, lau wirkender Sex-Appeal-Aktionismus.

Solo-Flöte und Blechbläser des Orchesters des Staatstheaters am Gärtnerplatz sind mit den ersten Takten der Ouvertüre noch im Findungsmodus. Die von Verdi dramatisch skizzierte Ausgangssituation im ersten Bild, kompositorisch auf wenige Minuten komprimiert, forciert Anthony Bramall überambitioniert. Der Orchesterklang mischt sich mit dem Chor des Gärtnerplatztheaters teilweise zu einem großtönigen Rauschen. An solchen Stellen wünschte man sich differenziertere Abstimmungen zwischen Bramall und dem von Pietro Numico vorbereiteten Chor.

Lucian Krasznec als Herzog von Mantua stolziert als taktgebender Storch über die Bühne, während Rigoletto hofnärrisch seinen Dienst tut, ohne zu merken, wie er in seine eigene Falle tappt. Von La maledizione, dem Fluch, wie Rigoletto eigentlich heißen sollte, verfolgt und gequält, wird der tragisch vibrierende, allerdings vor allem in den Endbetonungen nicht immer intonationssichere Bariton von Aris Argiris ein einziger Verzweiflungsschrei.

Wo der machiavellistische Herzog, Il Principe, sein eigenes Gesetz von Macht und Moral verkörpert, hat Rigoletto selbst als intriganter Mitspieler verloren. Einerseits Hofnarr, der gemäß seines Jobs den Stachel bis zu einer bestimmten Grenzlinie löcken kann und soll, andererseits darin für seine Tochter Gilda als Vater unbekannt. Er will sie vor seiner Narren-Welt schützen. Mit ihrem Duett Figlia! Mio Padre! markieren Argiris und Jennifer O‘Loughlin als Gilda den point of no return der Inszenierung.

O’Loughlin, eine kompakt präsente Sopranistin, überzeugt vor allem a cappella in den vom Orchester unbegleiteten Szenen mit hell getönten, die Spitzen treffsicher atmenden Koloraturen der Gilda eine zarte Zerbrechlichkeit. Vaterliebe und Sehnsucht nach der Liebe zu einem Mann zu vereinbaren, muss scheitern. Das Vergebliche dieser Hoffnung, eingebettet in O’Loughlins Melos mit temperierter Lautstärke, gelingt ihr eine überzeugende Charakterstudie der Gilda.

Den herzoglichen Herrscher und grenzenlosen Sammler von One-Night-Stands spielt Krasznec mit ambitioniertem Ausdruck, der im Belcanto, spitz forciert, manchmal überreizt klingt. Als Herzog hat er leichtes Spiel, die aufkeimende Sehnsucht Gildas, von einem Mann geliebt zu werden, für sich zu instrumentalisieren. Kultiviert artikuliert sein Tenor im Duett T’amo, t’amo mit O‘Loughlin. Wo er häufig auf einen etwas zu lautstarken Ausdruck setzt, gestaltet sie überzeugender im gegenläufigen Modus.  Allein Krasznec vermag auch in einer der berühmtesten Opernarien La donna è mobile nur bedingt zu überzeugen. Al canto italiano bleibt manche wünschenswerte Klarheit in der Diktion unerfüllt.

Eine an amerikanische Provinztrostlosigkeit erinnernde Tankstelle, hochragende Peitschenlampen und eine mit Flatterband abgesperrte Mini-Baustelle zeigt das Bühnenbild des dritten Aktes – grau wie zuvor. Allerdings bringt Anna-Katharina Tonauers Maddalena mit ihrer Prostitutionschoreografie Farbe und gleichzeitig gnadenlose Endgültigkeit ins Spiel. Nichts dreht sich mehr. Kein Entrinnen aus dem Rigoletto-High-noon.

Bramall fokussiert mit dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz einen Gipfelpunkt in Verdis Opernschaffen. Die Grenzen zwischen Arie und Rezitativ sind aufgehoben. Er lässt die Leinen lockerer als bis dahin. Blech und Holz im Zusammenspiel mit differenziert intonierenden Streichern grundieren einen Klangteppich für die solistischen Dauerbrenner, auf die große Teile des Premierenpublikums geradezu sehnlichst warten, um endlich ihr Bedürfnis nach Applaus zu erfüllen.

Levente Páll als mörderischer Dienstleister Sparafucile kontrastiert mit Bass gekühlter, kaltblütig kalkulierter Distanz und entzaubert zusammen mit seiner Schwester Maddalena Gildas und Rigolettos Hoffnungen. Maddalenas Sopran voll lockender Geschmeidigkeit, von ihrer entflammten Zuneigung zum Herzog inkognito getragen, macht alles klar. Der Fluch nimmt seinen Lauf.

Am Ende großer Jubel für alle Protagonisten sowie das Föttinger-Team. Das Premierenpublikum beweist sich damit, dass es trotz reichlichem bravi-Szenenapplauses noch Reserven hat.

Peter E. Rytz