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Die Erste Sängerin

PRIMADONNEN
(Diverse Komponisten)

Gesehen am
13. März 2021
(Premiere/Live-Stream)

 

Gärtnerplatztheater, München

Was wäre die Oper ohne die Primadonna? Sie verkörpert Glamour und große Emotionen, königliche Heldin und bedingungslos Liebende; ihr beseelter Gesang rührt zu Tränen, ihre Spitzentöne bringen den Saal zum Toben. In ihr konzentrieren sich die Sehnsüchte des Publikums. Und so sehr man sie auf der Bühne bewundert, so gefürchtet sind sie hinter der Bühne, sagt das Klischee. So kursieren Geschichten über Primadonnen, die den Operndirektor ohrfeigten oder auf offener Szene mit einer Rivalin handgreiflich wurden. Doch die meisten Primadonnen waren und sind Diven aufgrund ihres Gesangs, ihrer Ausstrahlung, ihrer Bühnenpräsenz. Zu allen Zeiten hat es Primadonnen und Diven an den Theatern gegeben, die oft eine ganze Ära geprägt haben. Eine Wilhelmine Schröder-Devrient, eine Maria Jeritza, eine Helen Traubel dominierten ihre Zeit. Joan Sutherland, Renata Tebaldi und Maria Callas kämpften um den Titel der „Primadonna assoluta“, heute sind es Anna Netrebko und Angela Gheorghiu, die am ehesten in diese Schublade zu stecken sind, verkörpern sie doch alle den Traum von großer Berühmtheit, Begierde und Reichtum.

Man könnte ganze Abhandlungen über dieses Thema schreiben, aber der einzelnen Sängerin würde man damit nicht gerecht werden. Nun soll es Theater geben, die sich den Luxus leisten, zwei Primadonnen zu beschäftigen. Na ja, Eifersucht und Rivalität und der Zickenkrieg um die besten Rollen ist da doch vorprogrammiert. Und was macht das Gärtnerplatztheater in München? Es hat gleich vier Sopranistinnen unter Vertrag, die alle eine Primadonna sein wollen. Und was passiert, wenn die vier zugleich auf der Bühne stehen? Mord und Totschlag oder große Musik? Diese Frage wird im Konzertprogramm Primadonnen mit vier Sopranistinnen des Gärtnerplatztheaters beantwortet. Mariá Celeng, Jennifer O‘Loughlin, Camille Schnoor und Judith Spießer wetteifern unter dem Titel Primadonnen – die Diven vom Gärtnerplatz um die Gunst des Publikums.

Und es geht gleich groß los. Mariá Celeng betritt zu den Klängen der Einleitung der Arie Casta Diva aus Vincenco Bellinis Oper Norma die Bühne. Der Kenner weiß, das war eine Paradearie der Callas, einer der Göttinnen am Opernhimmel. Und die Celeng imitiert Gestus und Mimik der Callas, als gehe es um den Gewinn eines „Maria-Callas-Revival-Wettbewerbs“.

Doch bevor sie im zarten Piano die große Arie anstimmen kann, ertönt von der Hinterbühne Lärm und Streitgespräch, es erscheinen Jennifer O’Loughlin und Judith Spießer, die zusammen mit Mariá Celeng mit dem köstlichen Stück: Ich bin die erste Sängerin aus Mozarts Der Schauspieldirektor den Reigen um den Titel „Primadonna assoluta“ eröffnen. Danach gesellt sich auch Camille Schnoor dazu. Alle vier sind in großer roter Abendgarderobe aus demselben Stoff gekleidet, lediglich der Schnitt des Kleides verleiht Ihnen die Individualität, Christiane Becker hat die vier Primadonnen ausstaffiert. Also auch optisch kann hier keine Dame im Wettbewerb einen wirklichen Vorteil erzielen. Die vier Sängerinnen versichern, dass es natürlich keine Eifersucht unter ihnen gäbe und der Intendant sie natürlich nach ihren Stärken entsprechend besetzt. Staatsintendant Josef E. Köpplinger hatte im Intro zu diesem Konzert mit einem Augenzwinkern erklärt, dass keine Österreicherin bei den Primadonnen sei, obwohl er selbst aus Österreich kommt. Und die Damen stellen sich selbst mit Ihrer Herkunft vor: Mariá Celeng aus Ungarn, Jennifer O’Loughlin aus den USA, Camille Schnoor aus Frankreich und Judith Spießer aus Deutschland, also eine bunte internationale Besetzung. Und natürlich beklagen sie mit dem herrlichen Couplet Ach wir armen Primadonnen aus Carl Millöckers fast vergessener Operette Der arme Jonathan ihr Schicksal.

Doch die Damen können nicht nur komisch, sondern auch lyrisch und dramatisch. Schnoor stellt das mit der großen Arie der Cio-Cio-San Un bel dì vedremo aus Madama Butterfly von Giacomo Puccini unter Beweis. Sie gestaltet die Arie mit viel Gefühl und Pathos, und der dramatische Ausbruch zum Schluss der Arie gelingt ihr mit strahlender und leuchtender Höhe. Spießer demonstriert mit der Arie Je veux vivre aus Roméo et Juliette von Charles Gounod, dass ihr schlanker Sopran sich in den Koloraturen mühelos in die hohen Spitzentöne schrauben kann. Anschließend gibt es doch noch Bellini und seine Norma, aber eben nicht Casta Diva, sondern das wunderschöne Duett zwischen Norma und Adalgisa Mira, o Norma. Eigentlich für Sopran und Mezzosopran komponiert, übernimmt Schnoor mit ihrer tiefen Mittellage den Part der Adalgisa, während O’Loughlin mit berückenden Höhen imponiert. Eine wunderbare Stimmharmonie bei den beiden Primadonnen.

Danach wird es wieder etwas heiter und frivol. Celeng und Spießer schmachten im Duett aus der rechten und linken Proszeniumsloge mit: Geh’n wir ins Chambre séparée um die Gunst des Dirigenten Darijan Ivezić. Richard Heuberger komponierte diese Avance für seine Operette Der Opernball. Dann geht es zurück zur großen Oper. O’Loughlin begeistert mit der großen Arie der Marguerite Ô beau pays aus dem zweiten Akt von Giacomo Meyerbeers Grand Opéra Les Huguenots. Mit perlenden Koloraturen und strahlenden Höhen ist der Auftritt einer der Höhepunkte des Konzertes und einer Primadonna assoluta absolut würdig. Ein besonders witziges Terzett ist das Stück Three Little Maids from School are we von William Schwenck Gilbert und Arthur Sullivan aus der Operette Der Mikado.

O’Loughlin, Schnoor und Spießer erinnern sich dabei auch an ihre eigene Schulzeit und an das Heimweh, dass sie bei so mancher Klassenfahrt befallen hat. Und der Mond, der überall auf der Welt strahlt, ist ein tröstlicher Vertrauter. Doch nicht die wunderschöne Arie der Julia Strahlender Mond aus Eduard Künnekes Operette Der Vetter aus Dingsda steht jetzt auf dem Programm, sondern Celeng hat mit Antonín Dvořáks Pisen Rusalky O Měsičku, dem „Lied an den Mond“ aus seiner großen Oper Rusalka, ihren großen Soloauftritt. Mit viel Pathos und strahlender Höhe braucht sie sich mit diesem Vortrag hinter ihren drei Kolleginnen nicht zu verstecken. Eine Rarität schließt sich direkt an die Rusalka an. Die Arie der Constanze Agitata da due venti aus der Oper Griselda von Antonio Vivaldi, eine Paraderolle von Cecilia Bartoli, der „Queen of Baroque“, teilen sich hier in herrlichster Stimmharmonie Celeng und O’Loughlin. Dass die Damen sich auch privat bestens verstehen, wollen sie zumindest mit dem Song Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin von Mischa Spoliansky und Marcellus Schiffer Glauben machen. Er stammt aus der Musikrevue Es liegt in der Luft, die am 15. Mai 1928 in der Komödie am Kurfürstendamm in Berlin uraufgeführt wurde. O’Loughlin und Spießer entführen gesanglich in die wilden Zwanziger, während Schnoor kurzerhand das Piano okkupiert und den Dirigenten von seinem Podium vertreibt.

Dann wird es plötzlich hochdramatisch. Es erklingen die ersten Takte des Walkürenritts von Richard Wagner, und die vier Damen ziehen sich zu ihrer großen Abendgarderobe einen geflügelten Helm auf den Kopf. Sind die vier jetzt größenwahnsinnig geworden und wollen das Oktett der Walküren stemmen? Nein, das Orchester sei zu klein für sie, ist die augenzwinkernde Begründung, warum dieser sicher einmalige Auftritt doch nicht zustande kommt. Stattdessen demonstrieren die vier Primadonnen ihre gesanglichen Vorzüge mit dem Stück Art is calling for me aus The Enchantress von Victor Herbert und Harry B. Smith.

Zum Schluss dürfen die vier Ersten Damen sich mit Sempre libera die Partie der Violetta aus Verdis La traviata teilen. Und während die erste Violine den Tenorpart des Alfredo spielt, werden die Champagnergläser gefüllt. Dann gibt es den verdienten Konfettiregen, den Applaus und Jubel der Kollegen im Theater. Natürlich darf bei so einem Konzert eine Zugabe nicht fehlen, und die vier Primadonnen lassen sich auch nicht lange bitten: Mit dem Walzer Sulla labbre se potessi aus Il bacio von Gottardo Aldighieri verabschieden sich die Primadonnen und Diven des Gärtnerplatztheaters effektvoll. Und wer ist jetzt die Erste Sängerin, die Primadonna assoluta? Diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen, denn die vier haben in diesem sicher einzigartigen Konzert unter Beweis gestellt, dass jede einzelne eine Primadonna und Diva ist. Das Gärtnerplatztheater darf sich glücklich schätzen, mit Mária Celeng, Jennifer O’Loughlin, Camille Schnoor und Judith Spießer vier derartig herausragende Sopranistinnen unter Vertrag zu haben.

Und auch das Orchester des Gärtnerplatztheaters in kleiner Besetzung hat unter der Leitung von Darijan Ivezić, der mit diesem Konzert sein Deutschland-Debüt gegeben hat, einen großen Anteil an dem Erfolg des Abends. Regie und Konzept des Abends gestaltete Nicole Claudia Weber. Also Frauenpower en masse an diesem Abend, nur eine Dirigentin hat das Gärtnerplatztheater nicht, aber auch da seien sie auf der Suche, sagt Intendant Köpplinger. Nach dem bravourösen Konzert Straus und Strauss & Co vom 20. Februar überrascht das Gärtnerplatztheater nun mit den Primadonnen erneut im Livestream. Was wäre jetzt die Steigerung: Nach den „Vier Diven“ die „Fünf Tenöre“, die Herzensbrecher, die im letzten Konzert schon einmal reüssiert haben. Das wäre doch ein netter Kontrast zu den Primadonnen!

Andreas H. Hölscher