O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Ritter ohne Schwan

LOHENGRIN
(Richard Wagner)

Besuch am
3. Dezember 2022
(Premiere)

 

Bayerische Staatsoper München

Es war ein aufregendes Jahr für die Wagner-Freunde in Deutschland. In Berlin und Bayreuth gab es heftigste Diskussionen um die neuen Ringe, über das Regietheater im Allgemeinen und über die Führungsfähigkeit von Katharina Wagner als Festspielchefin im Besonderen. Hinzu kam der Bayreuther „Führer-Skandal“, weil Katharina Wagner den Lohengrin-Darsteller Klaus Florian Vogt angewiesen hatte, statt wie im Libretto geschrieben „seht dort, den Herzog von Brabant, zum Führer sei er euch ernannt“ das Wort „Führer“ durch „Beschützer“ zu ersetzen. Ein direkter Eingriff in das Original Richard Wagners. Lediglich Leipzig konnte mit seinem im Sommer durchgeführten Festival Wagner22, in dem in einem Zeitraum von drei Wochen alle dreizehn Werke Wagners aufgeführt wurden, positive Schlagzeilen machen, auch wenn deren Lohengrin, der im März seine Premiere erlebte, nicht wirklich überzeugen konnte. Auch der Lohengrin in Meiningen, vier Wochen später, war kein großer Wurf. Bleibt also die Hoffnung, dass der neue Münchner Lohengrin so etwas wie Versöhnung zum Jahresausklang anbieten kann.

Nun also an einem nasskalten Vorabend des zweiten Advents in München die mit Spannung erwartete und schon mit vielen Vorschusslorbeeren beworbene Neuinszenierung von Wagners Schwanenmärchen. Regisseur Kornél Mundruczó hatte im Vorfeld angekündigt, Elsa als starke und emanzipierte Frau darzustellen, die das Frageverbot Lohengrins nicht akzeptieren kann. Für Mundruczó ist der Lohengrin „die provokanteste Figur in der ganzen Opernliteratur“. Eine sehr gewagte These, fallen dem geneigten Opernliebhaber sofort mehr als ein Dutzend Opernfiguren ein, die sicher noch provokanter sind als Wagners Lohengrin. Er begründet diese These mit dem irrationalen Frageverbot nach Lohengrins Name, Art und Herkunft. „Die Provokation, die wir heute brauchen, ist zu verstehen, wer unsere Lohengrins erschafft“, so Mundruczó. Und damit ist schon, bevor der Vorhang sich hebt, klar, diese Inszenierung wird kein romantisches Märchen um den Schwanenritter, der aus fernem Land entsendet wurde, um im Auftrag des Gral Gutes zu tun und Gerechtigkeit walten zu lassen.

Foto © Wilfried Hösl

Schon vor den ersten Tönen des Vorspiels zum ersten Aufzug wird der Vorhang geöffnet. Alle Protagonisten, Überlebende eines postapokalyptischen Meteoriteneinschlages, haben sich unter zwei Bäumen mit viel Grün versammelt. Die Menschen tragen weiße, teils cremefarbene Hosen und Pullover, sehen alle gleich aus, wie Mitglieder einer Sekte, die auf das jüngste Gericht warten. Die Einheitskostüme designte Anna Axer Fijalkowska. König Heinrich, der Heerrufer, Ortrud, Telramund, dessen Kleidung eher grau wirkt, sie alle sind gleich. Auch Lohengrin ist ein Teil der Masse, genauso gekleidet. Aufmerksamen Besuchern ist nicht entgangen, dass sich Klaus Florian Vogt in der Titelpartie erst kurz vor seinem Auftritt durch eine Tür im Hintergrund in die Masse hinein gemogelt hat. Aber es soll so aussehen, dass Lohengrin einer aus dem Volke ist. Nur Elsa, ganz in schwarz gekleidet und mit Prinzessin-Diana-Gedächtnisfrisur, ist anders. Das schwarze Schaf in der Herde der weißen Lämmer, die gar nicht so lammfromm sind. Aufgrund der Anklage gegen sie soll sie gesteinigt werden, was die Entscheidung, ein Gottesurteil abzuhalten, noch grade so verhindert. Doch Lohengrin kommt nicht, von einem Schwan gezogen, als Märchenritter in lichtem Waffenschein daher, sondern das Volk zeigt auf ihn, nachdem zwei andere Kandidaten den Gotteskampf gescheut und verweigert haben. Ein Kämpe wider Willen, der zwar einwilligt, aber unter der Bedingung des Frageverbots. Der Gotteskampf zwischen Lohengrin und Telramund ist dann das einzig effektvolle Element dieser Inszenierung. Ausgestattet mit einer Art Flex-Säge und Schutzbrille, schießen sie mit stiebendem Funkenflug aufeinander, sehr zum Leidwesen der Zuschauer in den ersten Reihen, die diesen unangenehmen Gestank einatmen müssen.

Der zweite Aufzug spielt vor dem Münster, dass durch ein Portal und einen Balkon stilisiert wird. Das Bühnenbild ist von Monika Pormale. Die Choristen, alle in Regenmäntel gekleidet, obwohl es nicht regnet, strömen in Massen durch das Portal. Telramund, mit einem modernen Alukoffer, der wohl die Apokalypse überstanden hat, bereitet sich auf seinen Abgang vor, wird aber von Ortrud zurückgehalten. Die wirklich starke, dominierende Frau, die alles in Frage stellt, ist in dieser Inszenierung Ortrud, und nicht Elsa. Die wirkt eher wie eine psychisch gestörte, traumatisierte Frau, die überhaupt nicht weiß, was mit ihr geschieht, die Anlehnung braucht. Dass sie erst mit zwei Frauen auf dem Balkon einen Joint raucht und diesen dann mit Ortrud teilt: lächerlich und geschenkt. Aber das soll die starke Frau sein, die der Regisseur angekündigt hat? Man wundert sich. Der Chor dient als Massenstaffage ohne eigenen Charakter. Mal werden die Arme synchron zur Musik gehoben, mal wird der kommunistische Pioniergruß gezeigt, alles schon dagewesen. Mal winken sie, nachdem sie ihre Pullover ausgezogen haben und mit roten T-Shirts bekleidet wie Mitarbeiter einer Gesundheitseinrichtung mit einer Art Palmenzweig ins Publikum. Falsche Oper, Ostern kommt eher bei Parsifal vor, zumindest der Karfreitag. Dann wedeln sie mit roten Fahnen wie das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei. Einen Sinn oder einen Bezug zum Werk kann man hier nicht ausmachen. Aber eine Beleidigung des Intellekts vieler Opernfreunde sind solche Szenen schon.

Foto © Wilfried Hösl

Für einen heiteren Moment sorgt die Szene, wenn Lohengrin Elsa das Frageverbot erteilt. Da hält sich der Chor kollektiv die Hand vor den Mund, bessere Zeigefingerregie kann man schon gar nicht mehr machen. War da nicht gerade was? Ach ja, die deutsche Nationalmannschaft hatte sich bei ihrem Gruppenfoto vor dem ersten Spiel gegen Japan bei der Weltmeisterschaft in Katar auch kollektiv die Hand vor den Mund gehalten. Wie die Geschichte ausgegangen ist, ist bekannt. Und solche Symbolik passt gut zur Inszenierung, denn sie nimmt ebenfalls kein gutes Ende. Im dritten Aufzug, der dann nur noch im Schilf spielt, sind wieder alle auf der Bühne, einschließlich des verbannten Telramunds. Und wenn Lohengrin dann singt „wir sind allein, zum ersten Mal allein“, dann hat diese Szene nichts Humorvolles mehr, sondern wirkt abstrus. Ist es die Intention des Regisseurs, Wagner und sein Werk lächerlich zu machen, oder will er dem Publikum eine ganz neue Deutung des Werkes nahebringen, die keiner außer ihm selbst versteht? Zum Ende wird ein großer Meteorit, eine braune Masse, die auch andere Assoziationen zulässt, von der Bühnendecke herabgelassen. Elsa, mittlerweile uniform auch ganz in weiß gekleidet, hat sich mit der Masse assimiliert und aus Trotz ein großes Fragezeichen auf ihren Pullover gemalt, steigt wie verklärt auf den Meteoriten auf, der alle anderen zu zerquetschen droht. Und aus einem gleißenden Lichtkegel tritt am Schluss der junge Gottfried von Brabant hervor, wenigsten hat hier der Regisseur dem Libretto und der Musik getraut. Und es gibt auch keinen „Führer-Skandal“, Klaus Florian Vogt darf bei dem Original bleiben.

Auch musikalisch ist das nur Mittelmaß, was Dirigent François-Xavier Roth, GMD der Oper Köln und des Gürzenich-Orchesters, zusammen mit dem Bayerischen Staatsorchester abliefert. Es fehlt der Aufbau der großen symphonischen Momente, bis die Spannung sich explosionsartig löst. Da ist wenig Bewegendes und Berührendes im Orchestergraben. Das Tempo ist flott, manchmal wie im Vorspiel zum dritten Aufzug zu schnell, als will Roth es einfach nur noch über die Bühne bringen. Auch bewegt sich das Orchester zu oft in einem Forte, was der Differenziertheit des Klangs Abbruch tut und die Sänger immer wieder fordert. Insgesamt ist die angebotene musikalische Darbietung unter dem Niveau dessen, was man von der Bayerischen Staatsoper gewohnt ist und was auch ihr legitimer Anspruch ist. Warum bei einer solch wichtigen Neuproduktion der GMD der Bayerischen Staatsoper, Vladimir Jurowski, der in der Vergangenheit bewiesen hat, dass er Wagner kann, nicht am Pult steht, diese Frage muss sich der Intendant der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny, schon gefallen lassen. Der Chor dagegen, schauspielerisch zur Staffage verdammt, überzeugt sängerisch und ist von Tilman Michael gut eingestimmt.

Foto © Wilfried Hösl

Sängerisch ist die Neufassung dagegen zumeist Hochgenuss. Johanni van Oostrum gibt die labile, gehetzte Elsa mit einem klaren Sopran, der in den Höhen Leuchtkraft besitzt, ohne zu vibrieren. Von den reinen, klar tragenden leisen Tönen ihrer Traumerzählung zu Beginn bis hin zur Brautgemach Szene, mit den wunderbar vom Lyrischen ins leicht Dramatische gesteigerten Phrasierungen. Klaus Florian Vogt als Lohengrin zu charakterisieren, hieße Eulen nach Athen zu tragen, denn wie kaum ein anderer Wagner-Tenor hat er diese Rolle in den letzten zwei Jahrzehnten in vielen Inszenierungen weltweit geprägt. Und doch ist erstaunlich zu sehen, dass ihn diese Inszenierung in seiner musikalischen Darstellung doch beeinträchtigt, zumindest in den ersten zwei Aufzügen. Da ist wenig Farbenspiel in der Stimme, der Ausdruck ist langweilig, einheitlich, wie die Kleidung der Protagonisten. Sein ohnehin nicht stählerner Tenor nimmt dann der Figur den letzten Rest vom Heldenstatus. Im dritten Aufzug scheint sich Vogt auf seine Tugenden besonnen zu haben, und er bewältigt die Ausbrüche im großen Duett des Brautgemachs Höchstes Vertrau’n mit kräftigem Fundament. Dann entwickelt die Stimme, basierend auf einer warmen Mittellage mit leicht baritonalem Timbre auch die nötige Strahlkraft, die die Partie verlangt. Die Gralserzählung geht Vogt sehr lyrisch, ja, fast schon zärtlich an, um sich dann zum Schluss mit leuchtenden Höhen als Gralsritter zu erkennen zu geben.

Anja Kampe ist eine der großen Wagner-Heroinen unserer Zeit, grade erst hat sie alle drei Brünnhilden-Partien im neuen Berliner Ring gesungen, im April war die Bayerische Kammersängerin in München zuletzt als Kundry im Einsatz.  Stimmlich und spielerisch ist sie stark präsent, ihr hochdramatischer Sopran überzeugt mit kraftvollen Ausbrüchen, insbesondere in der Schlüsselszene der Partie Entweihte Götter im zweiten Aufzug. Johan Reuter gibt den Telramund mit dramatischem Bariton und entwickelt so einen souverän gestalteten Charakter, der zum Opfer von Ortruds List und Täuschung wird. Mika Kares überzeugt als König Heinrich mit kräftigem und gleichzeitig wohltönendem Bass. Andrè Schuen ist als Heerrufer mit schmeichelndem Heldenbariton, sicher gesetzten Tönen und markanten Ansagen eine exzellente Besetzung der Partie und gibt ein überzeugendes Debüt.

Nach gut fünf Stunden senkt sich der Vorhang über die Premiere. Das Publikum bejubelt vor allem die Sänger, beim Regieteam gibt es ordentlich Buhrufe, und auch mit dem Dirigenten sind nicht alle Zuschauer einverstanden. Die erhoffte Versöhnung zum Jahresausklang für die Wagner-Freunde bleibt aus, auch die großen Aufreger, dafür ist die Inszenierung einfach zu banal und zu langweilig, als dass man sich darüber noch ernsthaft aufregen könnte. Selbst das schafft der Regisseur nicht. Angeblich sei diese Premierenvorstellung innerhalb von 20 min ausverkauft gewesen. Der Hunger nach großer Oper ist also da. Ein Haus wie die Bayerische Staatsoper hat die künstlerische Verpflichtung, dann auch Großes abzuliefern. Mit Mittelmaß wird sie in Zukunft nicht mehr weit kommen.

Andreas H. Hölscher