O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Zwischenmenschliche Tragödie

IDOMENEO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Gesehen am
24. Juli 2021
(Premiere am 19. Juli 2021)

 

Prinzregententheater, Bayerische Staatsoper München

Die Münchner Opernfestspiele 2021 haben neben einer Neuinszenierung von Wagners Tristan und Isolde mit den Rollendebüts von Anja Harteros und Jonas Kaufmann einen besonderen musikalischen Leckerbissen im Programm, Mozarts eher seltener gespielte Oper Idomeneo, die im Prinzregententheater zur Aufführung kommt. Nach der Premiere am 19. Juli war nun eine Aufführung im Livestream zu sehen. Wer dieses Werk bis dato noch nicht kannte, muss nach der spektakulären Inszenierung, gespickt mit musikalischer und sängerischer Darbietung erster Güte, einfach zu einem Fan dieser Oper werden. Es ist der antike Stoff über den kretischen König Idomeneo, den Mozart 1781 im Münchner Residenztheater, dem heutigen Cuvilliéstheater, zur Uraufführung bringt. Die Oper war ein Auftragswerk für den Münchner Karneval, die Mozart in nur wenigen Monaten schreibt, in steter Auseinandersetzung über Orchestrierung und Dramaturgie mit seinem Vater Leopold. Das Libretto basiert auf dem französischen Trauerspiel Idoménée von Antoine Danchet und wurde vom Salzburger Hofkaplan Giambattista Varesco für diese Oper eigens in italienischer Sprache umgearbeitet. Idomeneo ist eine lyrische Tragödie und gilt als Mozarts große Chor-Oper. Sie ist zwar in der barocken Tradition der Opera seria geschrieben, doch Mozart gelingt es meisterhaft, ihr ganz neue Züge und Formen zu verleihen. Er greift auch stark dramaturgisch ein, verkürzt das Libretto um des Effektes willen, steigert die Spannung durch den dichten Einsatz der Instrumentalisten und schreibt auch noch eine prachtvolle Ballettmusik dazu.

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Die Geschichte ist spannend und nahezu zeitlos und erzählt von einem folgeschweren Pakt mit dem Meeresgott Neptun. Dieser rettet Idomeneo, den König von Kreta, der aus dem trojanischen Krieg heimkehrt, aus einem Seesturm. Daraufhin gelobt dieser, dem Gott den ersten Menschen zu opfern, dem er an Land begegnet. Das Schicksal schlägt allerdings unerbittlich zu, Idomeneo begegnet als erstes seinem Sohn Idamante! Was soll Idomeneo tun? Das eigene Fleisch und Blut opfern? Ist es vielleicht gar Sohnespflicht, sich dem zu fügen?

In antiken Überlieferungen mündet der Konflikt stets in der Katastrophe: Der Sohn wird geopfert, doch Idomeneo muss die Insel verlassen, weil ihn die Kreter nicht mehr als Herrscher akzeptieren. Neben diesem Vater – Sohn – Konflikt, der sich im Laufe der Oper zuspitzt, gibt es noch die Liebes-Dreiecksgeschichte um Idamante, Ilia und Elettra. Idamante und Ilia lieben sich, aber auch Elettra ist in Idamante verliebt und macht sich Hoffnungen auf den Thron. Idomeneo ist hin- und hergerissen zwischen Vaterliebe und seiner Pflicht gegenüber dem Gott, der das kretische Volk bedroht und auf sein Opfer drängt. Als es schließlich zur Zeremonie kommt, ist Idamante bereit, sich vom Vater töten zu lassen, und auch Ilia stellt sich als Opfer zur Verfügung. Daraufhin verzichtet Neptun auf ein Menschenopfer, Idomeneo dankt ab und überlässt die Herrschaft Idamante. Ilia wird seine Gemahlin, Elettra verflucht ihr Geschick, verfällt dem Wahnsinn, und das Volk dankt dem Gott und huldigt dem neuen König.

Mozart hat aus der griechischen Tragödie ein Werk voller Menschlichkeit gemacht: Der Schmerz der Figuren über das Schicksal wendet den Mythos ins Humane. Idomeneo gibt seine Macht ab, der Sohn überlebt und wird zum König gekrönt. Eine neue Generation gewinnt die Auseinandersetzung mit den Göttern. Friede, Liebe und Humanität leuchten aufklärerisch auf. Für Mozart war die Münchner Uraufführung 1781 ein künstlerischer Befreiungsschlag. Der Theatermensch fand in der Auseinandersetzung mit der Tradition von Orchester und Szene im Cuvilliéstheater seinen eigenen Zugang zur Gattung Oper. So bleibt dieses Werk bis heute visionär, und der humanistische Charakter Mozarts gipfelte daher folgerichtig in seiner letzten Oper, Die Zauberflöte.

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Im Mittelpunkt dieser Inszenierung von Antú Romero Nunes steht der Vater-Sohn-Konflikt und die seelischen Qualen, die beide aushalten müssen. Idomeneo einerseits, der seine Herrschaft nicht abgeben und sein Leben nicht verlieren, aber dafür seinen Sohn auch nicht opfern will, und auf der anderen Seite Idamante, der das abweisende Verhalten seines Vaters nicht versteht und auch lange braucht, um sich seine Liebe zu Ilia einzugestehen. Die Konstellation wird von Nunes sauber herausgearbeitet, ohne dabei in tiefenpsychologische Abgründe zu stürzen. Vieles in der Inszenierung ist auf Effekte aufgebaut, die die Dramaturgie des Werkes unterstreichen sollen. Da kommen Feuer und Windmaschinen zum Einsatz, die beeindruckende Lichtregie von Michael Bauer verstärkt die Effekte, die mit an Seilen durch die Luft fliegenden Statisten einen besonderen Augenschmaus bieten. Doch es ist nicht um des Effektes willen, sondern um die ganze Spannung und Dramatik dieser zwischenmenschlichen Tragödie zu beleuchten. Im Mittelpunkt der Inszenierung steht auch das Bühnenbild von Phyllida Barlow. Spätestens seitdem sie auf der Biennale von Venedig den Britischen Pavillon gestaltete, zählt die Bildhauerin zu den renommiertesten Künstlern der Gegenwart. Ihre monumentalen Skulpturen aus groben Alltagsmaterialien scheinen einem Zwischenraum zwischen Zivilisation und Natur entsprungen und erzählen gleichzeitig von Zerstörung wie von der Utopie des Neuanfangs. So erscheint es nur folgerichtig, dass sie nun ausgerechnet für Idomeneo erstmals das Bühnenbild einer Opernproduktion entworfen hat. Inspirieren ließ sich die an der britischen Nordküste aufgewachsene Künstlerin dazu von Objekten, in denen sich das Ringen der Küstenbewohner mit dem Meer widerspiegeln: Von Wellenbrechern, die die Gewalt der Wellen abwehren sollen, und von Aussichtsposten, die gewissermaßen einen Blick in die Zukunft ermöglichen, aber auch von Felsbrocken, in denen sich die Beständigkeit von Jahrmillionen mit der Gefahr des Unglücks verbindet.  Zu Beginn der Aufführung wird der Hintergrund zunächst von einem blutroten Felsbrocken eingenommen, der sich aber bald auf Stelzen erhebt und dann wie eine warnende Gewitterwolke am Firmament lauert. Neben diesem Felsbrocken ist es ein fahrbarer Steg, der wie ein Wellenbrecher die Kräfte des Meeres abhalten soll. Dann gibt es bunte Türme, die wie Hochsitze Sichtschutz und Perspektive gleichzeitig verleihen, die den an Seilen gesicherten Protagonisten auch einiges an Schwindelfreiheit und Trittsicherheit abverlangen. Die Kostüme von Victoria Behr sind zeitlos, bunt und ordnen sich in das gesamte Setting harmonisch ein. Nicht unerwähnt bleiben sollen Statisterie und Staatsballett, die teilweise zirkusreife Luftakrobatik mit Zeitlupenläufen präsentieren und das große Finale tanzen, stimmig choreografiert von Dustin Klein.

Musikalisch und sängerisch ist das allererste Güte, was dem Publikum in gut dreieinhalb Stunden präsentiert wird. Bevor die Ouvertüre überhaupt beginnt, hört man eine unverständliche Stimme aus dem Off. Sind es hier die Götter, die über das Schicksal der Menschen auf der Insel entscheiden? Dann erklingt Bühnenmusik, Idomeneo steht hinter einem Gazevorhang allein auf der Bühne, ungewiss des Ausgangs seines diabolischen Paktes. Während das Licht etwas zunimmt, erkennt man, wie anscheinend an den Bühnenbauten noch geschweißt wird, während im Hintergrund Balletttänzer agieren.

Dann erst setzt die Ouvertüre ein, kraftvoll und prägnant spielt das Bayrische Staatsorchester unter der Leitung von Constantinos Carydis. Dieser Mozart ist nicht eingängig und schmeichelnd, sondern hat Ecken und Kanten, die vor allem in den seelischen Qualen der Protagonisten begründet ist. Den differenzierten und farbigen Orchestersatz arbeitet Carydis sauber heraus, stellt dabei aber immer den Gesang in den Vordergrund. Zusätzlich erklingt auch noch Mozarts fragmentarische Klavierfantasie, von Andreas Skouras am Hammerklavier mit sehr viel Feingefühl dargeboten. Der Staatsopernchor, von Stellario Fagone perfekt einstudiert, kann in diesem Werk viele Facetten seines umfangreichen Könnens unter Beweis stellen. Matthew Polenzani in der Titelpartie gibt den Idomeneo mit tenoraler Dramatik und sauberen Koloraturbögen, dem man die Seelenqualen seiner Entscheidung, den eigenen Sohn zu opfern, zu jeder Zeit voll abnimmt. Emily D’Angelo in der Hosenrolle des Idamante weiß durch einen ausdrucksstarken und kräftigen Mezzosopran zu begeistern, mit warmer Mittellage und einer schon fast sopranartigen Tessitura. Olga Kulchynska in der Rolle der Ilia überzeugt mit einem sehr lyrischen und glockenreinen Sopran, während Hanna-Elisabeth Müller als ihre Gegenspielerin Elettra mit markantem, jugendlich-dramatischem Sopran und furiosem Ausdruck zum Schluss zu begeistern weiß. Martin Mitterrutzner als Idomeneos Berater Arbace sowie Caspar Singh als der Oberpriester Poseidons glänzen mit tenoralem Schöngesang. Callum Thorpe darf als einziger Bassist dem Orakel seine Stimme leihen.

Das Publikum, das schon zur Pause eher Zurückhaltung geübt hat, spendet zwar am Schluss den Protagonisten den verdienten Applaus, doch Enthusiasmus sieht anders aus. Vielleicht ist es auch die Länge des Werkes einschließlich Klavierfantasie und Ballettmusik, die die Geduld zu sehr strapaziert. An der stimmigen und farbenfrohen Inszenierung mit spektakulärem Bühnenbild kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Wer sich selbst davon überzeugen will: Ab dem 26. Juli ist die Aufführung für 30 Tage kostenfrei als Video on Demand abrufbar.

Andreas H. Hölscher