O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Hidalgo-Festival

Aktuelle Aufführungen

Unkonventionell paradox und doch berührend

HIDALGO BOX SALON
(John Dowland, Kurt Weill)

Gesehen am
20. März 2021
(Premiere am 12. September 2020/Stream)

 

Hidalgo-Festival, Boxwerk, München

Neue und ungewöhnliche Konzepte und Wege will das Hidalgo-Festival gehen. Das Festival wurde 2016 von jungen Künstlern gegründet und bezeichnet sich treffend modern als Klassik Startup. Die Verbindung von paradoxen Welten zu intensiven rauschhaften Erlebnissen setzt sich das interdisziplinäre Team zum Ziel. Im Rahmen des Hidalgo-Festivals für junge Klassik, das 2020 unter der Leitlinie „Das Scheitern“ stattfand wurde der Abend „Box Salon“ geschaffen. Das jüdische Festival 2021 in Berlin zeigt erneut die Aufführung im Stream.

Aufführungsort ist das Münchner Boxwerk, ein Ort, in dem der Boxsport auf hohem Niveau gepflegt wird. Die Atmosphäre des Raumes ist in der Aufnahme gut verankert, die Einstellungen der Kameraführung erinnern immer wieder an Aufzeichnungen legendärer Boxkämpfe.

Der Einstieg ist klassisch – im glitzernden Bademantel, Handtuch über den Hals, die Hände in den dicken Handschuhen geschützt, steigt ein tänzelnder Sportler in den Ring. Dort wartet bereits ein mächtiger Gegner – ein Konzertflügel. Die Handschuhe gelüftet, die Finger entspannt setzt sich Jonathan Ware, Preisträger des Hugo-Wolf-Wettbewerbs, an das Instrument. Ein gefühlsbetonter Kampf unter Gleichen beginnt mit ruhigen einfühlsamen Tönen.

Anders glorios der Einstieg der Sopranistin Andromahi Raptis. Müde, abgekämpft mit fahler Miene steigt sie in den Ring. Wie nach einem verlorenen Kampf, einem Scheitern im Wettbewerb bringt sie ihre Trauer zum Ausdruck. Die Idee und die Inszenierung stammt vom Festival-Leiter Tom Wilmersdörffer, das musikalische Konzept ist dem Festivalmotto entsprechend von Johanna Malangre auf Lieder von John Dowland und Kurt Weill gefallen.

Tom Wilmersdörffer – Foto © Hidalgo-Festival

Nochmal darf der Zuschauer die Gefühle der Sportlerin nach einem verlorenen Kampf erleben. Allein durchlebt sie wiederum die Niederlage. Aber es ist nicht nur eine sportliche, sondern die Texte beziehen sich auf verschiedene Lebenssituationen und Gefühlskämpfe. In der musikalischen Gestaltung mit den Werken aus dem 16. als auch 20. Jahrhundert erkennen wir, dass Trauer zeitlos ist, immer stattfinden und durchlebt wird. Berührend wird diese in einer Gestaltung der ruhigen Gesten, der ausgedehnten Handlungen nachempfunden, wenn sich die Solistin langsam die Boxhandschuhe, Turnschuhe auszieht, besonders die Bandagen von den Händen nimmt oder ihre kunstvollen Zöpfe entflechtet. Der Schmerz ist kein Blitz, sondern ein Empfinden und das bohrt sich in den Zuhörer, der selbst am Bildschirm in den Bann gezogen wird. Letzte Versuche des Aufbegehrens, eine Rückkehr in den verlorenen Kampf, die Ermattung an den Banden gehören dazu wie das Ende niedergestreckt am Boden und die Einsicht Niederlage und Trauer anzunehmen und Frieden zu finden.

In einer Einlage liefern sich zwei Boxer einen platonischen Kampf, der nicht so richtig in den Fluss des Abends passt, aber vermutlich Erinnerungen der Heldin darstellen soll.

Stimmlich meistert die Sopranistin die Gestaltung und Interpretation der Lieder in sicherer Führung und feiner Tonsprache. Darstellerisch verbindet sie Klangfärbung und Mimik professionell und füllt den Boxring als Bühne in jedem Moment aus.

Der Anspruch, unkonventionelle Orte und intensiv Erlebnisse zu präsentieren, ist an diesem Abend sicher und stimmig erreicht. Die Wirkung des Gesamterlebnis hält nachhaltig an.

Hier kann man sich das Video noch anschauen.

Helmut Pitsch