O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Zwischen Eros und Voyeurismus

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
26. Oktober 2022
(Premiere)

 

Bayerische Staatsoper München

Wer an diesem goldenen Oktoberabend rechtzeitig an der Bayerischen Staatsoper zur ersten Premiere der neuen Spielzeit, Così fan tutte von Wolfgang Amadeus Mozart, eingetroffen ist, der hat vielleicht noch Zeit, einen Blick in das sehr umfangreiche Programmbuch mit komplettem Libretto zu werfen. Neben einem Interview mit dem Regisseur Benedict Andrews und dem GMD der Staatsoper, Vladimir Jurowski, ist es ein Interview mit Manuela Freitag, die seit 35 Jahren als Domina auf der Herbertstraße in Hamburg-St. Pauli arbeitet, ein Beitrag mit dem Thema Von Liebe und Sexualität von Oskar Holzberg, Psychotherapeut mit dem Schwerpunkt Paartherapie ,und ein Essay über Die singuläre Frau von Katja Kullmann, die gerne über Geschlechterfragen schreibt, was dem geneigten Leser eine Vorahnung gibt, was da in den kommenden vier Stunden auf ihn zukommen wird. Dem Premierenbesucher der Neuinszenierung wird dann schon, bevor sich der Vorhang öffnet, klar, das wird keine romantische Liebeskomödie, sondern eine knallharte Abrechnung mit idealisierten Vorstellungen über Liebe, Treue und Erotik. Der Untertitel dieser Oper, La scuoloa degli amanti – Die Liebesschule, suggeriert hier scheinheilig etwas von Unterricht in Sachen Liebesdingen. Doch es ist eine knallharte Lebensschule und mehr eine Reality-Show, was da auf der Bühne passieren wird.

Wer des Italienischen mächtig ist, weiß, dass sich der Titel Così fan tutte – So machen es alle – ausschließlich auf Frauen bezieht. Das Stück dreht sich nämlich um die Frage, ob diese dem Mann so rätselhaften Wesen überhaupt treu sein können: Zwei junge Männer sind naiv genug, auf die Treue ihrer Verlobten hundert Zechinen zu verwetten. Auch die Frauen selbst können sich gar nicht vorstellen, sich jemals für einen anderen Mann zu interessieren. Von so viel Leichtgläubigkeit herausgefordert, setzen zwei alternde Zyniker, ein Philosoph und eine Kammerzofe, alle Hebel in Bewegung, um die romantische Illusion von der ewigen Liebe zu zerstören. Die jungen Leute werden im Zuge der handgreiflichen Beweisführung in einen so heftigen Strudel emotionaler Verwicklungen gezogen, dass ihnen am Ende Zweifel kommen, ob sie es wirklich so genau hatten wissen wollen. Man kann das Stück in seinem Nebeneinander von Witz und Ernst, von frecher Derbheit und psychologischer Feinzeichnung als heiteres Verwirrspiel um jugendlichen Liebesüberschwang oder als abgründige und schonungslose Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen verstehen. Regisseur Andrews, der vom Theaterschauspiel kommt und erstmals an der Bayerischen Staatsoper inszeniert, entscheidet sich für die zweite Lesart und bringt den Inhalt auf die Formel: „Die Oper ist eine Untersuchung über die Natur des Begehrens selbst, über die Idee des Eros als Gestaltwandler, über eine viszerale Erfahrung der erotischen Liebe als permanentem Ausnahmezustand.“ Bei ihm stehen nicht die beiden Liebespaare im Vordergrund, sondern der Nihilist Don Alfonso und die abtrünnige Kammerzofe Despina, sie sind die Lehrer „in dieser perversen Schule“, während dem Publikum die Rolle des Beobachters, des Voyeurs bleibt.

Foto © Wilfried Hösl

Mit Gespür für das Detail gestaltet er seine Personenregie, sein Hang zur Übertreibung und zur Groteske, vor allem in der Sexualisierung des Stückes gelingt ihm hier auf nachdrückliche Art und Weise, manchmal bis zur Grenze des Erträglichen. Schon während der Ouvertüre sieht man ein Paar in einem heruntergekommenen Zimmer, auf einer schäbigen Matratze liegend. Es ist der alternde und sexuell frustrierte Don Alfonso in schwarzer Unterwäsche mit Sado-Maso-Maske auf dem Gesicht. Die Frau, die den Geldschein für die geleisteten Dienste ablehnt, ist Despina. Der Sex war wohl nicht so gut oder hat gar nicht stattgefunden. Das ist aber die Ausgangslage für das Inszenierungskonzept. Für Andrews und Jurowski ist Don Alfonso der ältere Bruder des Don Giovanni, der aber nie den Sexappeal und den Mut seines jüngeren Bruders hatte. Er hat ihn bei seinen sexuellen Abenteuern immer hinter dem Vorhang beobachtet, hat das Treiben des Jüngeren beneidet und ihn gleichzeitig gehasst. „Irgendwann ging der jüngere Bruder in die Hölle, und der ältere blieb und machte eine Philosophie daraus. Frustriert und verletzt durch die eigenen Misserfolge, rächt er sich jetzt an der jüngeren Generation, und zwar nicht nur an den Frauen, sondern vor allem an den Männern“. Für Andrews und Jurowski ist Così fan tutte die Rache an einem Don Giovanni. Wenn man dieser Sichtweise folgt, dann entwickelt sich die Handlung auf der Bühne schlüssig und am Schluss gibt es kein Happy End, die Beziehungen sind gescheitert, an ihren vermeintlichen Idealen und den Schwächen des Einzelnen. Sexuelle Begierde und trügerische Verführung ist stärker als wahre Liebe und Treue, so die Quintessenz des Abends.

Andrews unternimmt gar keine Versuche, da irgendetwas zu beschönigen, und bedient gleichzeitig alle gängigen Klischees der heutigen Erotik-Szene. Ein Dildo wird zum Spielobjekt von Guilelmo und Ferrando, die auf das Liebesspielzeug erst mal ordentlich draufhauen. Als die beiden Männer, die sich in Camouflage-Uniformen in einen vermeintlichen Krieg verabschieden und die beiden Frauen sie verzweifelt am Gehen hindern wollen, wird die Szenerie etwas abstrus. Was hier komödiantisch wirken soll, ist nicht weit von uns entfernt bittere Tagesrealität, das sollte man nicht vergessen. Hinzu kommt, dass die Kostümbildnerin Victoria Behr Camouflage-Uniformen zum Einsatz bringt, die vom Tarndruck eindeutig der US Army zuzuordnen sind. Dabei spielt das Stück in Italien, genauer gesagt in Ferrara. Ob Zufall oder Absicht, es passt nicht. Ansonsten sind die Kostüme lässig und cool, die beiden Frauen Fiordiligi und Dorabella tragen knappe Blumenkleider, die Männer bunte Hawaii-Hemden. Als sie sich als vermeintliche reiche Albaner verkleidet den Frauen in ihrem Haus nähern, sieht man die Dekadenz einer neureichen Tussen-Gesellschaft. Ein schwarzer SUV in der Garage wird von der Kammerzofe Despina in Dienstmädchen-Uniform, auch das doppeldeutig, geputzt. Fotomotive für einen Auto-Erotikkalender sind da genug vorhanden. Fiordiligi und Dorabella bleiben zunächst noch standhaft gegenüber dem aufdringlichen Werben, unternehmen sogar einen tolpatschigen Versuch, sich mit Autoabgasen umzubringen, was aber schnell scheitert. Dorabella gibt sofort auf, und sie wird auch die erste sein, die dem machohaftem Werben Guilelmos nicht widerstehen kann, während Fiordiligi erst am Schluss schwach wird. Natürlich ist da auch der übliche Così-Klamauk in dieser Inszenierung. Despina als vermeintlicher Arzt, der den angeblich mit Strychnin vergifteten Männern mit dem „Mesmerschen  Magneten“ das Gift aus dem Körper zieht oder als vorgeblicher Notar die Eheverträge aufgesetzt hat. Doch diese komischen Elemente täuschen nicht darüber hinweg, dass die von Mozart so genannte Opera buffo in Wirklichkeit ein Dramma giocoso des Librettisten Da Ponte ist. Und Don Alfonso spinnt mit schon selbstzerstörerischer Neigung die Intrigen, um die wahren Paare auseinanderzubringen und die Frauen mit dem jeweils anderen Partner zu verkuppeln, was ihm am Ende auch gelingt. Und Despina ist dabei seine willfährige Partnerin, die sich längst von den beiden Frauen losgesagt hat. Am Ende ist auf der Hinterbühne ein offener Glaskasten zu sehen, wo sich die Protagonisten umziehen und von dem aus Don Alfonso das finale Geschehen beobachtet. Es ist Voyeurismus auf der Bühne, aber auch für das Publikum. Blüten-Konfettiregen auf der Bühne und die liebliche Musik Mozarts im Orchestergraben dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier mit aller Macht das vermeintliche Glück zweier Paare zerstört wird. Insofern ist nach über 230 Jahren nach der Uraufführung das Werk immer noch brandaktuell. Magda Will hat für die Inszenierung das Bühnenbild geschaffen, das aus verschiedenen Räumen besteht, die bei Bedarf auf die ansonsten dunkle Bühne gefahren werden. Ein aufblasbares Schloss im Disney-Stil steht als Symbol für die Träume junger Mädchen, die sich wie Prinzessinnen fühlen. Doch wenn die Luft wieder rausgelassen wird, sind auch die Träume passé. Das Schloss ist als Modell in unterschiedlichen Größen immer wieder zu sehen. Das ganze Setting wird durch das Lichtdesign von Mark Van Denesse stimmungsvoll illuminiert, insbesondere in der Gartenszene, die einen Hauch von Romantik suggeriert.

Foto © Wilfried Hösl

Die musikalische Umsetzung des fast ohne Striche aufgeführten Werkes mit teilweise historischen Instrumenten lässt einen zwiespältigen Eindruck zurück. Da holt Jurowski besonders in den dramatischen Anteilen alles aus dem Orchester raus, aber die Leichtigkeit des Spiels, der transparente Klang, der diese Oper so ausmacht, geht durch die analytische Interpretation etwas verloren, und manchmal wirkt das Stück dann auch langatmig. Der von Kamila Ahkmedjanova einstudierte Chor ist in den wenigen Kurzauftritten in den oberen Proszeniumslogen stets präsent.

Dagegen lässt die sängerische Darstellung nichts zu wünschen übrig, zumal es auch ein Abend der Rollen- und Hausdebüts ist. Allen voran der Bariton Christian Gerhaher, der mit der Partie des Don Alfonso ein grandioses Rollendebüt hinlegt. Gerhaher ist für seine authentischen Rolleninterpretationen, sowohl sängerisch als auch schauspielerisch bekannt, und an diesem Abend vereint er beides so grandios, dass man kaum noch zwischen Bühnenfigur und Sänger unterscheiden kann. Die zerstörerische und nihilistische Seite des Don Alfonso interpretiert er so wirklichkeitsnah, dass man um die anderen Protagonisten etwas Angst bekommt.  Ein ebenfalls überzeugendes Rollendebüt als Fiordiligi gibt Louise Alder. Mit hellglänzendem Sopran gestaltet sie ihre Rolle und zeigt dabei großes emotionales Einfühlungsvermögen und stimmliche Wandlungsfähigkeit. Ihre große Arie Come scoglio immoto resta, die „Felsenarie”, gestaltet sie mit großem Ausdruck. Avery Amereau als Dorabella ist die ideale Ergänzung zu Louise Alder, beide Stimmen harmonieren wunderbar in den Duetten. Sandrine Piau gibt die Despina mit viel Witz und Koketterie, ihr leichter und heller Sopran meistert mühelos alle Verzierungen dieser Partie. Konstantin Krimmel gibt den Guglielmo mit wohltönendem Bariton und eindringlichem Macho-Spiel, die Stimme begeistert und lässt die Vorfreude auf weitere Partien mit ihm an der Bayerischen Staatsoper nach seinem Rollendebüt wachsen. Sebastian Kohlhepp, vor der Vorstellung noch aufgrund einer gerade überstandenen Corona-Infektion als etwas indisponiert angekündigt, überzeugt als Ferrando mit leichtem Mozart-Tenor und witzigem Spiel.

Nach fast vier Stunden senkt sich der Vorhang über die Szenerie, das Spiel zwischen Eros und Voyeurismus ist vorbei. Das Publikum, das schon zur Pause gejubelt hat, nimmt die Neuinterpretation dieses Werkes, immerhin die erste seit 30 Jahren an der Staatsoper, sehr wohlwollend auf. Umjubelt werden die Sänger, allen voran Christian Gerhaher und Louise Alder. Vereinzelte Buhs für den Dirigenten oder dem Orchester sind Hinweis darauf, dass nicht jedem diese Mozart-Interpretation gefallen hat, zumal es auch einige Unstimmigkeiten mit dem Ensemble und dem Chor gegeben hat, und auch einige Verspieler im Orchester waren nicht zu überhören. Für das gewohnte Niveau der Staatsoper ist das an diesem Abend vielleicht etwas zu wenig. Dennoch bleibt als Resümee, dass die Inszenierung, vor allem in dieser Besetzung, einen modernen und brisant aktuellen Mozart gezeigt hat. Über diese Inszenierung wird in München sicher noch länger gesprochen.

Andreas H. Hölscher