O-Ton

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Komödiantisches Feuerwerk

DER BARBIER VON SEVILLA
(Gioacchino Rossini)

Besuch am
8. Juli 2021
(Premiere)

 

Gärtnerplatztheater München

Sie ist wohl eine der bekanntesten und beliebtesten Opern des italienischen Belcanto, Rossinis Opera buffo Der Barbier von Sevilla, am 20. Februar 1816 in Rom uraufgeführt. Die Geschichte ist hinlänglich bekannt. Der alte Geizhals Dr. Bartolo will sein hübsches Mündel Rosina heiraten. Die jedoch hat ein Auge auf einen Unbekannten namens „Lindoro“ geworfen, der ihr unter dem Fenster Serenaden bringt. Der misstrauische Bartolo will die Hochzeit umso rascher vorantreiben und lässt Rosina streng bewachen. Zum Glück gibt es noch den gerissenen Figaro. Für Geld ist der stadtbekannte Barbier zu allem bereit, und die klingenden Münzen des Unbekannten, der in Wahrheit der Graf Almaviva ist, lösen bei Figaro ein wahres Feuerwerk an Einfällen aus. Nach der berühmten Komödie Le Barbier de Séville von Beaumarchais schrieb der knapp 24-jährige Gioachino Rossini 1816 innerhalb von nur zwei Wochen seine bis heute populärste Oper. Die Fortsetzung dieser Geschichte, nämlich Die Hochzeit des Figaro, hatte Mozart bereits 30 Jahre zuvor vertont.

Am Gärtnerplatztheater stand jetzt die Premiere einer Neuinszenierung an, bei der Intendant Josef E. Köpplinger Regie führte. Es schien, als sei das gesamte Ensemble ausgehungert nach Spielfreude und Spielwitz auf der Bühne, denn in den knapp drei Stunden brennt Köpplinger ein Feuerwerk an Komik und Humor ab, ohne dabei in die Niederungen des Klamauks abzudriften, und immer mit einem Augenzwinkern für die nächste Überraschung. Dieser Barbier spielt nicht im adligen Milieu des 18. Jahrhunderts, sondern in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in einem wüstenähnlichen Sevilla zur Zeit Francos. Das Bühnenbild von Johannes Leiacker zeigt einen Wohnkomplex, der aus Kakteen gebaut zu sein scheint, mit großen Stacheln, und am Vordereingang prangt ein buntes Leuchtreklameschild mit einem roten Herz und der Inschrift „Prostibulo“. Auch wer des spanischen nicht mächtig ist, weiß sofort, dass sich hinter dem Eingang ein Freudenhaus befindet, vor dem drei leichtbekleidete Damen auf der Suche nach Freiern sind. Doch Vorsicht ist geboten, das ganze scheint eine stachlige Angelegenheit zu sein. Es sind viele Statisten auf der Bühne, die zum Teil losgelöst von der Handlung ihre eigenen kleinen Geschichten erzählen, aber diese Nebenstränge sind so wunderbar choreografiert und mit der Haupthandlung verwoben, dass die Szenerie auf der Bühne fast schon cineastisches Format hat. Da ist ein dicker Metzger mit Hackebeil und blutverschmierter Schürze, mit einer noch dickeren Frau und ihrem Kind, die immer wieder zu unmöglichen Zeitpunkten auftauchen. Eine schwangere Frau mit Kinderwagen lässt sich von Lindoro alias Graf Almaviva für seine zwei unehelich gezeugten Kinder ordentlich bezahlen. Zwei Priester schleichen immer um das Freudenhaus, und einer wagt sich tatsächlich hinein, um anschließend beseelt wieder herauszuwanken. Und Figaro, der auf einer roten Vespa zu seinem ersten Auftritt hereinfährt, entpuppt sich nicht nur als universeller Barbier, sondern auch als Hehler einer Kinderbande. Der Notar, der am Schluss den Ehevertrag zwischen Almaviva und Rosina bezeugen soll, schlurft mit einer mobilen Sauerstoffflasche herein, um dann am Schluss im Tohuwabohu des Finales einsam an einer Hauswand zu versterben. Spätestens hier weiß man, dass Köpplinger neben seiner humoresken Ader auch immer den Finger in die gesellschaftspolitischen Wunden legt. Ein kleiner, aber aktueller Bezug zur täglichen Corona-Diskussion. Und selbstverständlich gibt es ja die Hauptstory, die von den kleinen Alltagsgeschichten ringsherum eingerahmt wird. Im Mittelpunkt steht Figaro, der mit seinen durchaus intriganten Ideen dem Mediziner Dr. Bartolo in nichts nachsteht und die Strippen zieht. Bartolo wiederum wird in dieser Inszenierung nicht als etwas vertrottelter Alter dargestellt, sondern als Machtmensch im besten Alter, der auch schon mal Zwiegespräche mit einem Skelett führt, ein herrlich komischer Regieeinfall! Der Graf Almaviva ist, vor allem in seiner Darstellung als Lindoro, eher blass und schüchtern, kein draufgängerischer Galan, wie später in Figaros Hochzeit. Nur durch sein Geld und seine kontinuierlichen Bestechungen kommt er zum Ziel. Erst in der Verkleidung als betrunkener Soldat und später als Musiklehrer „Don Alonso“, wie Basilio im schwarzen Talar des Priesters gekleidet, läuft er zur Hochform auf und gewinnt an Sympathien.

Doch die eigentliche Hauptfigur in dieser Inszenierung fällt Rosina zu, eine junge und selbstbewusste Frau, die genau weiß, was und wen sie will. Und über dem Freudenhaus mit Kaktusbeschlägen ist die Wohnung Bartolos, mit einem übergroßen Schlafzimmer Rosinas im Rosendekor, mit Balkon nach außen, dem Weg in die Freiheit. Wenn die Bühne sich dreht, kommt die Wohnung Bartolos zum Vorschein, und die Geschichte nimmt rasant an Fahrt auf. Als Bartolo die Wachen ruft, um den vermeintlich betrunkenen Soldaten abführen zu lassen, erscheint ein ganzer Zug an Marinesoldaten in roten Matrosenanzügen, die nächste köstliche Persiflage von Josef E. Köpplinger und dem Kostümbildner Alfred Mayerhofer. Köpplinger lässt, mal passend zur Musik, mal anachronistisch, die Zeit rasen oder verlangsamen. Die Soldaten führen wie Marionetten in Zeitlupe einen herrlich komischen Veitstanz auf, während Almaviva als betrunkener Soldat dem Kommandeur der Wachen seine wahre Identität enthüllt und damit die Hierarchie wieder herstellt. Ein weiterer Höhepunkt ist das Gewitter im zweiten Akt, dass nicht nur musikalisch im Orchestergraben, sondern mit vielen Effekten auch auf der Bühne tobt und zu allerlei Verwüstung führt. Die passende Lichtregie dazu führt Michael Heidinger. Nach vielen Irrungen und Wirrungen kann Graf Almaviva am Schluss seine angebetete Rosina ehelichen, die ihm später in der Hochzeit des Figaro bei seinen amourösen Eskapaden viel List und Fingerspitzengefühl entgegensetzen wird.

Dem heiteren Treiben auf der Bühne folgt ein musikalisches und sängerisches Feuerwerk auf höchstem Niveau. Allen voran Jennifer O‘ Loughlin in der Rolle der Rosina. Die Rolle, die klassischerweise ja eher von einem Mezzosopran besetzt wird, wird von ihrem leuchtenden Koloratursopran wunderbar ausgefüllt. Ihre Auftrittsarie Una voce poco fa gestaltet sie mit perlenden Koloraturen und strahlenden Höhen. Dass O’Loughlin nicht nur wunderschön singen, sondern auch herrlich komisch spielen kann, zeigt sie im zweiten Akt mit der Arie Contro un cor che accende amore. Interessant dabei ist auch die Tatsache, dass in der B-Premiere die Mezzosopranistin Anna-Katharina Tonauer die Partie der Rosina singen wird. Gyula Rab in der Rolle des Grafen Almaviva hat zu Beginn mit seiner Cavatine Ecco, ridente in cielo noch etwas Mühe, da wirkt die Stimme etwas klein und die Stimmführung etwas eng, doch das gibt sich im Laufe der Vorstellung, so dass Rab sowohl mit lyrischem Schöngesang als auch komischem Spiel zu gefallen weiß. Matija Meić ist als Figaro eine Idealbesetzung. Sein Bariton ist markig und kräftig, ohne dabei den Pfad des Belcanto zu verlassen. Seine weltbekannte Cavatine Largo al factotum singt er mit viel Verve und komödiantischem Pfiff, die große Vorbilder nicht scheuen muss. Herrlich auch sein Duett Dunque io son … tu non m’inganni? mit Jennifer O‘Loughlin. Levente Páll gibt den Dr. Bartolo mit viel Spielwitz und markantem Bass, der in der großen Arie A un dottor della mia sorte mit all seinen Facetten zur Geltung kommt und trotz hals- und zungenbrecherischem Parlando nicht ins Stottern kommt. Herrlich komisch im Spiel, mit schön geführter Stimme, weiß der Bassbariton Timos Sirlantzis zu begeistern. Daniel Gutmann weiß in der kleinen Rolle des Fiorillo nicht nur mit schönem baritonalem Gesang zu überzeugen, auch sein Gitarrenspiel auf der Bühne kann sich sehen und hören lassen. Dieter Fernengel als Ambrogio und Bravo Orroi als Offizier reihen sich nahtlos in die Rolle der Nebendarsteller ein, aus der Anna Agathonos als Gouvernante Berta sängerisch und spielerisch herausragt.

Auch musikalisch ist dieser Barbier ein Hochgenuss für die Ohren. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung ihres Ersten Kapellmeisters Michael Brandstätter spielt einen schwungvollen Rossini mit rasanten Tempi-Wechseln und in steter Tuchfühlung zu den Solisten. Zwar klingt der erste Akkord der Ouvertüre irgendwie falsch, doch dann läuft die bekannte Ouvertüre wie von selbst und weckt sofort Lust und Neugier auf das ganze Stück. Bo Price am Hammerklavier ist dabei ein guter Begleiter. Der Herrenchor unter der Leitung von Pietro Numico ist gut einstudiert und agiert äußerst spielfreudig. Ein Sonderlob haben sich bei dieser Inszenierung die Statisterie und Kinderstatisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz verdient, deren Spiel einen großen Anteil an der witzig-komischen Darstellung auf der Bühne hat.

Immerhin 400 Zuschauer, die sich in einem Schachbrettmuster im Gärtnerplatztheater platzieren, können dieser furiosen Premiere beiwohnen. Und die ganze Spielfreude überträgt sich auf das Publikum, das nach der Vorstellung die Protagonisten einschließlich Regieteam und Dirigent und Orchester mit langem Jubel und Beifall überhäuft. Diese schrill-witzige Inszenierung von Josef E. Köpplinger hat schon jetzt das Zeug zum Dauerbrenner.

Andreas H. Hölscher