O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Aida in der Turnhalle

AIDA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
1. Juni 2023
(Premiere am 15. Mai 2023)

 

Bayerische Staatsoper München

Eine Aida fern aller Klischees mit opulenten, alte Malereien imitierenden Gewändern von pyramidenverliebten Regisseuren gibt es derzeit in München zusehen. Der Fokus liegt hier vielmehr ausschließlich auf den Menschen, die schwer durch einen Krieg gezeichnet sind. Und auf der Frage, wie man in einer Kriegszeit lieben kann, wie eine solche Liebe in dem Entsetzen der realen Welt bestehen kann, wenn um das Paar herum alles zerfällt. Dem allem geht Regisseur Damiano Michieletto im Haus an der Isar nach.

Der Krieg in der Ukraine steht als Folie hinter der Inszenierung, das Programmheft ist voller Fotos von den Ausmaßen der Zerstörung in dem kriegsgebeutelten Land. Michieletto hat mit seinem Bühnenbildner Paolo Fantin eine Turnhalle als den Ort der Handlung auf die Bühne gestellt, normalerweise ein Raum, in dem sich vorwiegend gesunde, kräftige Menschen dem Sport hingeben. Diese Halle hier ist ramponiert, mit Löchern in der zerborstenen Decke, durch die immer wieder die Asche der außen verbrennenden Welt rieselt, bis die Protagonisten am Ende auf einer großen Halde von Asche agieren. Die Turngeräte sind demoliert, Gesteinsbrocken liegen in der Ecke, manchmal kehrt einer den Staub zusammen. Aida ist gemeinsam mit Statisten aktiv, verteilt Decken an Bedürftige in dieser Notunterkunft, gibt Suppe und Wasser aus. Grau in Grau erscheint diese Welt, aufgelockert werden die Szenen nur durch die Kinder der Statisterie, die mit roten Bällen und Reifen agieren und Aida immer wieder so an ihre Kindheit und Heimat erinnern. Eine Frau auf Stelzen verteilt Luftballonfiguren an die Kinder – Farbe im Spiel.

Foto © Wilfried Hösl

Auch die Kostüme von Carla Teti fügen sich hier ein, Aida trägt zu Beginn noch ein ausgeblichenes, hellblaues Hemd, Amneris ein gedeckt dunkelrotes Kostüm, alle anderen sind grau, braun, beigefarben gewandet. Ganz zum Schluss zieht Aida ihr Hochzeitskleid in gebrochenem Weiß über, für die Szene in der Gruft, für die die Bühne kaum verändert zu werden braucht. Nur die Bühne wird insgesamt etwas hochgefahren, der eiserne Vorhang wird bis zur Hälfte gesenkt und schafft so einen Rahmen zu Radames’ Traum für ein Leben mit Aida, mit Gästen, Luftballons, im etwas diesigen, vernebelten Breitbandformat.

„Die Menschlichkeit aller Figuren in der Oper, das ist die Basis meiner Interpretation“, erklärt Michieletto, und das Prinzip funktioniert, wenn auch nicht alle Zuschauer ihm da folgen wollen, wie in Pausengesprächen zu hören ist. Sicherlich vermisst mancher die ausstattungsreiche Opulenz anderer Aida-Inszenierungen, ein Opernvergnügen im landläufigen Sinne ist diese Realisierung nicht. Die sogartige Musik Verdis ist es, die den Zuhörer ins Geschehen hineinzieht, jedoch schaffen Regisseur und Orchester immer wieder auch Momente, in denen das Grauen des Kriegsalltags scharf durch die Musik Verdis kontrastiert wird. Und hier ergreift einen das Geschehen auf der Bühne. Wenn bei den ersten Tönen des Triumphmarsches der rote Teppich ausgerollt wird und wenn die versehrten Heimkehrer darüber humpeln und ihre Orden empfangen, dann gerät der Klang der Langtrompeten, die hier aus der Proszeniumsloge erschallen, zum Schlachtruf auf dem Feld. Folgerichtig suchen einen der zu ehrenden Soldaten hierbei die Traumata des Kampfes heim. In blutrünstigen Videoeinblendungen von Rocafilm werden sie verdeutlicht, recht plakativ, etwas dick aufgetragen.

Im starken Sängerensemble gibt es eine Umbesetzung. Die Französin Clémentine Margaine singt anstatt der erkrankten Anita Rachvelishvili die Amneris und bringt eine ungeheure Präsenz auf die Bühne. Ihr runder, schlackenloser, sehr direkter Mezzo ist sehr ausdrucksvoll, geradezu explodierend in den Rachemonologen, aber auch sehr weich im Piano – eine Paraderolle für die Sängerin.

Aber auch die anderen Rollen sind durchweg hervorragend besetzt. Als Ramfis steht der Intrigantin Alexander Köpeczi zur Seite, der gerade den Herbert-von-Karajan-Preis bei den Osterfestspielen in Salzburg gewonnen hat. Ein samtig-sonorer Bass, der unter anderem mit seinen eindringlichen „Radames“- Rufen aus dem Hintergrund die große Tragweite seiner Stimme beweist.

Alexandros Stavrakakis gibt dem König der Ägypter eine starke, markante, schwarze Bassstimme, bleibt aber in der Regie von Michieletto etwas unbelichtet an der Seite.

Foto © Wilfried Hösl

Als Amonasro wirkt George Petean wie ein biblischer Held, der seinen prächtigen Bariton besonders bei den Szenen im Hass und Zorn gut präsentieren kann.

Brian Jadge ist ein untadeliger, sicherer Radames, dazu ein durchaus ansehnlicher Held mit guten schauspielerischen Qualitäten. Ein heller Tenor, der gleich zu Beginn mit einer Celeste-Aida-Arie begeistert. Seine Stimme gleitet über alle Lagen sicher, strahlend sind die Spitzentöne, weich sein Piano bei der Schlussvision im Duett mit Aida.

Elena Stikhina gibt eine zarte, verletzliche Aida, die sich nicht nur in ihrem Agieren auf der Bühne für die Menschlichkeit einsetzt, sie ist die Idealbesetzung für Michielettos Inszenierung. Ihr helles, weiches Timbre gefällt besonders bei ihrer großen Arie Ritorna vincitor!, als sie zwischen der Liebe zu ihrem Vater und zu Radames hin-und hergerissen wird: „Non fu in terra mai da più crudeli agnosce un core affranto!“ – Niemals wurde auf Erden ein Herz von grausameren Qualen zerrissen! Im Laufe der Aufführung zeigt sie auch Kraft und Schärfe mit teils lodernden und leuchtenden Tönen beim Traum von der Heimat.

Die Chöre, einstudiert von Johannes Knecht, prägen nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch die besondere Inszenierung. Sehr intensive Piano-Stellen wechseln mit kernigen, durchschlagenden Jubelchören. Sehr geschickt ist die Auswahl von kleineren, schmaleren Chorsängern für den Gefangenenchor der Äthiopier, sehr verloren wirken sie da im Eck neben dem Hauptchor.

Dirigent Daniel Rustioni überdeckt mit dem Bayerischen Staatsorchester anfangs etwas die Sänger, sorgt im Laufe des Abends immer wieder für harte und unerbittliche Akzente im Sinne der Inszenierung. Oft wirken die Sechzehntel rasend, wie fiebrig, passend zu schaurigen Bildern auf der Bühne. Schon ab der zweiten Szene aber kümmert Rustioni sich aufmerksam um seine Sänger und trägt sie durch die Aufführung, was ihm die Solisten beim Schlussapplaus deutlich danken. Das Publikum feiert das Orchester und die Sänger, die größte Begeisterung entfacht Mezzosopranistin Margaine. Insgesamt eine große Leistung.

Jutta Schwegler