O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Das Publikum tanzt Walzer

DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauss)

Besuch am
16. Juli 2023
(Premiere am 7. Juli 2023)

 

Music to Go, Amphitheater vor dem Ringlokschuppen, Mülheim an der Ruhr

Früher wäre die Entscheidung, was an einem Sonntagnachmittag bei 27 Grad im Schatten, Sonne und Wolken zu unternehmen wäre, leichtgefallen. Aber neuerdings muss man sich ja sehr wohl überlegen, ob man sich den Gefahren eines Freibadbesuchs aussetzt. Für jemanden, der in den Sommern seiner Jugend eigentlich kaum einen anderen Aufenthaltsort kannte, eine recht verstörende Entwicklung. Da schaut man dann doch lieber nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten. Eine Alternative bietet der Darlington-Park. Ein paar Meter von der Stadthalle in Mülheim an der Ruhr auf der anderen, ansteigenden Uferseite gleich hinter dem Schloss gelegen, steht dort der Ringlokschuppen, Hort der so genannten Freien Szene der Stadt. Unmittelbar davor gibt es eine überdachte Bühne, die man früher wohl Konzertmuschel genannt hätte. Allerdings fehlen die bequemen Stühle für das Sonntagskurkonzert. Stattdessen gibt es flach ansteigende Stufen ähnlich denen eines Amphitheaters. Man kann nicht umhin, den Ort als idyllisch zu bezeichnen.

Hierhin lädt der Verein Music to Go unter der Federführung der Sopranistin Désirée Brodka zu einer Operette ein. Die Fledermaus von Johann Strauss steht auf dem Programm. Brodkas Idee: Musiktheater auf öffentlichen Plätzen bei freiem Eintritt anzubieten, um so auch Menschen zu erreichen, die es sonst nicht zu den Bühnen der „Hochkultur“ zieht. Bei der „Operette im Espressoformat“, die in anderen Jahren „Oper im Espressoformat“ heißt, wird nicht einmal vorausgesetzt, dass die Besucher die Inhalte kennen. Wie das funktioniert, erfahren die Menschen gleich nach Beginn der Aufführung, die an diesem Spätnachmittag sehr gut besucht ist. Ganz rechts auf der Bühne ist ein Pult mit Mikrofon aufgebaut, daneben gibt es eine kleine Szene mit Sofa und Beistelltisch vor einem Paravent, hinter der eine schwarze Stellwand Gelegenheit zur Umkleide bietet. Links unter einem Zeltdach ist Platz für das Orchester, heute ein Streichquartett. „Selbstverständlich“ sind die Kostüme selbstentworfen, und da darf die goldene Ära der Operette, aber auch der Spaß glitzern und glänzen.

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Im koketten Kleidchen betritt Brodka die Bühne. Ihre Moderationen sind eine wahre Lust. Sorgfältig ausgearbeitete Texte, die nicht nur Inhalte, sondern auch Hintergründe humorvoll darbieten, werden sorgsam einstudiert mit ansprechenden Posen vorgetragen. Im Grunde bräuchte es Sänger und Musiker nicht, das Publikum klebt an den Lippen der Sopranistin, die anderthalb Stunden ohne einen Versprecher durchmoderiert. Neben einem fesselnden Vortrag weiß sie auch dramaturgisch zu gestalten und Stimmung aufzubauen. An ihrer Seite ein gut eingespieltes Aufgebot von Sängerdarstellern. Ist die Situation einmal erklärt, bedarf es nicht der genialen Regie-Einfälle, um die Begeisterung des Publikums wachzurufen. Da reicht es, die Beziehungen der Personen zueinander und natürlich Emotionen darzustellen, um die Menschen zu fesseln. Zinzi Frohwein ist als Rosalinde ausgesprochen glaubhaft besetzt, hat keine Angst vor der großen Pose und besitzt genügend Souveränität, um ihren Microport auch mal schnell nachzujustieren. Denn hier geht nichts ohne Mikrofonierung, nicht einmal die Musik, wie noch zu sehen sein wird. Die zweite weibliche Partie ist bekanntermaßen das Zimmermädchen Adele. Maija Tutova ist eine Idealbesetzung, verfügt sie doch auch über die nötige Koketterie. Ihr nimmt man auch im züchtigen Edelkostüm die Hausangestellte ab, aus der eine Schauspielerin werden könnte. Tenor Marco Antonio Rivera wirkt sehr elegant als Gabriel von Eisenstein und gefällt stimmlich.

Eine der schwierigsten und am häufigsten unterschätzten Personen ist sicher Prinz Orlofsky, sowohl, was das Kostüm als auch was den Gesang angeht. Hier tritt Eetu Joukainen mit einer „explodierten Engelshaarperücke“ auf, was man sicher diskutieren kann. Zum überzeugenden Orlofsky fehlt dem Nachwuchssänger aber das gewisse Etwas, was in diesem Rahmen niemand übelnimmt. Da steht ihm die Rolle von Alfred schon besser zu Gesicht, und den Advokaten Dr. Blind mimt er mit dem nötigen Humor. Bariton George Gamal gefällt als Notar Dr. Falke und insbesondere als Gefängnisdirektor Frank.

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Ein besonderer Einfall Brodkas nötigt Respekt ab. Bevor es ins Gefängnis geht, beendet sie die Ballszene, indem sie das Publikum beteiligt. Das ist mutig. Die Besucher werden aufgefordert, statt der eigentlich vorgesehenen Ballettszene selbst einen Walzer zu tanzen. Und das Publikum macht mit. Was für ein Bild! Es ist einfach nur großartig.

Etwas ganz Besonderes hat auch die Musik zu bieten. Auf der Bühne muss ein Streicherquartett statt des eigentlich vorgesehenen großen Orchesters reichen. Anna Straub und Laura Knapp an der Geige, Sonja Matakas an der Bratsche und Maksim Korobejnikov mit dem Cello sind durchaus in der Lage, ihre Aufgaben auch ohne einen Dirigenten zu erfüllen. Und schon erst recht ohne einen musikalischen Leiter vom Range eines Alexander Steinitz. Aber der ist ein großer Anhänger der Open-Air-Oper „im Espresso-Format“ und lässt es sich nicht nehmen, Instrumentalisten und Sänger durch die Aufführung zu geleiten. In diesem Jahr gibt es einen zusätzlichen Grund, über die musikalische Ausführung zu wachen. Denn Steinitz hat das Arrangement für das Streicherquartett selbst geschrieben. Und so gebührt ihm doppelte Gratulation, denn er hat hier durchaus eigene Akzente gesetzt, die sich hören lassen können. Dass auch das Streichquartett mit Mikrofonen versehen wird, verursacht erst mal einen ungewöhnlichen Klang. Aber nach einigen Minuten hat man sich daran gewöhnt und kann die Leistungen der Musiker durchweg genießen.

Nach anderthalb Stunden ist das wunderbare Sommerspektakel zu Ende, nicht ohne nach ausgiebigem Applaus noch eine Zugabe gespielt zu haben. Brodka ist abermals eine wunderbare Produktion gelungen, bei der man spürt, mit wie viel Einsatz und Engagement das Ensemble zur Tat geschritten ist. Bis zum Programmzettel funktioniert hier alles und begeistert die Menschen im Darlington-Park. Eine Steigerung wird wohl noch am 23. Juli zu erwarten sein. Dann findet Die Fledermaus im Kaarster Stadtteil Büttgen vor dem Rathaus statt. Hier ist das Interesse erfahrungsgemäß besonders groß, weil Désirée Brodka in dem Stadtteil aufgewachsen ist. Zahlreiche weitere Termine finden sich auf der Netzseite von Music to Go.

Michael S. Zerban

Mehr Bilder von der Aufführung gibt es hier.