O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Sommerliches Vergnügen der Spitzenklasse

L’ELISIR D’AMORE
(Gaetano Donizetti)

Besuch am
7. August 2022
(Premiere am 10. Juli 2022)

 

Music to go, Rathausplatz, Kaarst-Büttgen

L’elisir d’amore, die Oper von Gaetano Donizetti aus dem Jahr 1832, ist im Grunde nicht schwer zu inszenieren, schon gar nicht, wenn sie open air aufgeführt werden soll. Du musst halt einen Ort finden, an dem sich die Atmosphäre einer sommerlichen Piazza Italiens herstellen lässt. Dann brauchst du eine erstklassige Besetzung, denn wer hier als Sänger seine Rolle nicht selbst anlegen kann, ist ohnehin fehl am Platz. Da hilft dann auch die vielgerühmte Personenführung nicht mehr. Wenn ein passables Orchester in der Gegend ist, ist das mit Sicherheit hilfreich. Aber dann kann es wirklich losgehen.

Désirée Brodka ist die künstlerische Leiterin des Vereins Music to go, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, Musik, Kunst, Kultur und den musikalischen Nachwuchs zu pflegen und zu fördern. Insbesondere kapriziert sich das Ensemble darauf, Opern und Operetten in komprimierter Form darzubieten. Bei der diesjährigen Produktion – eben dem Liebestrank – ist der Anspruch der Sopranistin, aus jeder der ihr angebotenen oder auserkorenen Spielstätten eine Piazza entstehen zu lassen. Und da geht die Zuversicht bei Ankunft an der Spielstätte in Kaarst-Büttgen erst mal ganz schön in die Knie. 1969 wurde hier das Rathaus in Betrieb genommen, ein Bau in brutalistischer Architektur, der vor der Kirche entstand und von einem Ensemble ähnlicher Bauart umgeben ist. Auch wenn das Rathaus tatsächlich einen Preis für die Architektur verliehen bekam, das ist lange her, ist doch erst mal Skepsis angesagt. Wie soll man sich vor dieser Betonkulisse in die Italianità einfinden? Auf dem Rathausplatz zwischen Kirche und Rathaus vor der Treppe zum Rathaus sind mehr Stühle aufgebaut, als man es von einem Kurkonzert kennt. Das nennt man Optimismus. Auch wenn die kurze Stimmprobe aufhorchen lässt.

Désirée Brodka und Jakob Kleinschrot – Foto © O-Ton

Einer der ganz großen Gewinner dieses Nachmittags ist die nahegelegene Eisdiele. Von dort wird das Speiseeis gleich tablettweise zu den Stuhlreihen geschleppt. Und nicht nur die füllen sich, sondern je näher der Beginn der Aufführung rückt, desto mehr Stühle werden herbeigetragen. Lange hat man nicht mehr so viele Menschen bei einer Opernaufführung gesehen, wie sich bei bestem Sommerwetter hier versammeln. Unglaublich. Der Platz ist übersät mit Menschen.

Brodka scheint vollkommen unbeeindruckt und gibt Tipps, wo die Besucher noch Stühle herbekommen. Auch wenn genaue Zahlen nicht bekannt sind, darf man fest davon ausgehen, dass hier auf dem Rathausplatz mehr Menschen versammelt sind als in so manchem Theater in der vergangenen Spielzeit. Gewiss, die künstlerische Leiterin genießt hier Heimvorteil, weil sie aus dem Ort kommt. Und Music to go hat sich ganz offensichtlich mit früheren Leistungen bereits einen Bonus erarbeitet. Trotzdem ist der Ansturm, der sich aus den Alten, aber auch vielen Familien mit kleinen Kindern zusammensetzt, staunenswert.

Auf der oberen Ebene der Rathaustreppe ist links ein Zelt aufgebaut. Nein, hier findet kein Orchester Platz. Stattdessen wird ein Streichquartett die musikalische Begleitung übernehmen. Die Geigerinnen Laura Knapp und Anna Straub, die Bratschistin Sonja Matakas und der Cellist Maksim Korobejnikow haben Platz genommen. Und das Ensemble leistet sich einen ganz besonderen Luxus. Das Quartett wird dirigiert. Allen Ernstes ist Alexander Steinitz angereist, dessen beschwingte Dirigate bei den Niederrheinischen Sinfonikern am Theater Krefeld Mönchengladbach noch in allzu guter Erinnerung sind, um die musikalische Leitung zu übernehmen. Das vorzüglich aufspielende Quartett benötigt seine Hilfe nicht wirklich, allenfalls kann er als Bindeglied zwischen den Streichern und den Sängern wertvolle Hilfestellung leisten. Ein Luxus bleibt es. Aber warum auch nicht? Weniger Aufwand gibt es bei der Ausstattung. Eine Säule mit Sitzgelegenheit und ein paar Accessoires müssen reichen, um die garstige Architektur vergessen zu machen. Und schließlich sind es die liebevoll gefertigten, an die Commedia dell’arte erinnernden Kostüme, die die Darsteller charakterisieren.

Übertitel gibt es nicht. Sind auch nicht notwendig. Denn Brodka moderiert. Und sie erledigt das mit Grandezza. In Abschnitten erzählt sie den Fortgang der Oper, so dass wirklich keine Italienisch-Kenntnisse vonnöten sind, um den nachfolgenden Gesang zu verstehen. Ganz nebenbei gibt es noch einen kleinen Sprachkurs wichtiger italienischer Schimpfwörter und kleine Anekdoten zur Entstehung der Oper. Die Kurzvorträge werden abgelesen. Welch ein Glück. So kann sich die Sopranistin ganz auf die Modulation ihrer Stimme konzentrieren und das Gesagte zum Genuss für Ohr und Hirn werden lassen. Ganz nebenbei und unauffällig kann man so Nebenrollen streichen und die Zeit von zweieinviertel auf anderthalb Stunden kürzen, ohne dass die Besucher auch nur den Hauch einer Ahnung verspüren, irgendetwas zu verpassen. Vielmehr steht der Spaß an der Posse im Vordergrund, und von Anfang an lassen die Zuschauer sich den Szenenapplaus nicht nehmen. Denn die erstklassige Besetzung gibt es in Büttgen ebenfalls. Allen Sängern gemein ist die hohe Textverständlichkeit, die die Freude am Gesang deutlich erhöht. Erleichtert wird ihr Auftritt durch eine ganz erstaunliche Akustik, die die Stimmen bis in den letzten Winkel des Platzes trägt.

Ensemble – Foto © O-Ton

Brodka übernimmt auch gleich noch mit viel Spielfreude die Rolle der Adina, die ihr gesanglich mehr Freude als Arbeit zu bereiten scheint. Das „Niemandchen“, den Nemorino also, übernimmt Tenor Jakob Kleinschrot, der, so die erfreuliche Nachricht, im September im Opernstudio Niederrhein beginnt und hier stimmlich schon mal zeigt, warum Operndirektor Andreas Wendholz eine gute Entscheidung für das Theater Krefeld Mönchengladbach getroffen hat. Herrlich präsentiert Agris Hartmanis als Bassbariton nicht nur den Quacksalber Dulcamara, sondern hat ganz souverän auch noch Zeit für den einen oder anderen Spaß am Bühnenrand. Bariton George Gamal bringt die nötige Ausstrahlung mit, um einen stattlichen Offizier Belcore zu singen und darzustellen. Zinzi Frohwein schließlich fügt sich als Giannetta ganz wunderbar in das Geschehen ein. Eine Rolle fehlt noch. Das ist die des Notars. Eine stumme Rolle und daher gut „spontan“ aus dem Publikum zu besetzen. Wie gut, dass sich Klaus Wortmann, Schatzmeister des Vereins, sogleich bereitfindet, die Stufen zur Bühne würdevoll in Schlappen und Ornat hochzusteigen und den Spaß mitzumachen. Sicher kann man sich an der einen oder anderen Stelle eine stereotype Opernsänger-Haltung weniger gut vorstellen, aber insgesamt ist das Spiel gut im Fluss, und ein paar charmant-witzige Einfälle bereichern das Geschehen zusätzlich.

Dem Ensemble gelingt es, das Publikum über anderthalb Stunden hinweg durchgängig zu begeistern. Ganz großes Vergnügen bereiten dabei die kleinen Gäste, die auf der Treppe hocken und der Geschichte sehr konzentriert folgen. So ist der langanhaltende Applaus nach einer kleinen Zugabe hochverdient. Zwei Termine sind noch geplant. Am 9. August gibt es einen Auftritt in Geldern und einen Tag später in Köln. Ob damit die Serie tatsächlich beendet sein wird, weiß man nicht, denn Brodka folgt mit ihrem Ensemble gern zusätzlichen Einladungen. Es lohnt sich also, die Webseite im Auge zu behalten, wenn man diesen köstlichen Sommerspaß noch erleben möchte.

Michael S. Zerban