O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Das Publikum zählt

DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN
(Emmerich Kálmán)

Besuch am
21. Juli 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Music to go, Ringlokschuppen, Saal 1, Mülheim an der Ruhr

Désirée Brodka ist eine von unendlich vielen Opernsängerinnen in einer Welt, die immer weniger Opernsängerinnen zu brauchen scheint. Sie ist gut in ihrem Fach, arbeitet freiberuflich zum Beispiel als Einspringerin, wenn sie nicht ohnehin gleich als Gast auf den Musiktheater-Bühnen des Landes engagiert ist. Und sie hat irgendwann ein eigenes Format entwickelt: Music to go. Zur Sommerzeit inszeniert sie Oper oder Operette „im Espresso-Format“, die sie mit ihrem selbst zusammengestellten Ensemble – sofern das Wetter es zulässt – unter freiem Himmel aufführt. Das Prinzip ist immer das gleiche. Eine kleine, oft nur angedeutete Szene, schöne Kostüme – einmal mehr werden die Herren von Helgard Meer, die Damen von Monique Brodka ausgestattet – für hervorragende Sänger, ein Kammerorchester und eine Moderation sind notwendig, um eine ganze Oper oder Operette in rund anderthalb Stunden zu erzählen und meist die bekanntesten Gesangsauftritte zu zeigen. Längst hat Brodka sich an den verschiedenen Spielorten ihrer kleinen Tournee ein Stammpublikum erarbeitet. Und oft auch schon Menschen so begeistert, dass sie, zuvor vollkommen unbedarft, sich endlich entschlossen, sich das ganze Stück auf einer größeren Bühne anzuschauen. Kurzum: Die Veranstaltungen des von Désirée Brodka ins Leben gerufenen Vereins Music to go haben inzwischen eine Bekanntheit erreicht, die nun eine weitere Stufe erklimmen wird.

Foto © O-Ton

Heuer will Brodka das Publikum mit der Csárdásfürstin von Emmerich Kálmán verführen. Die Operette wurde am 17. November 1915 im Wiener Johann-Strauß-Theater ur- und bis zum Mai 1917 weitere 533 Mal aufgeführt. Bis heute ist der Siegeszug der verworrenen Geschichte mit der suchterzeugenden Musik ungebrochen. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Chansonnière Sylva Varescu, die sich auf eine Amerika-Tournee vorbereitet. Edwin Lippert-Weylersheim will sie davon abhalten und heiraten. Das ist die Ausgangssituation, die schließlich nach etlichem Hin und Her darin endet, dass Sylva und Edwin zusammenfinden. Kálmán hat das Geschehen in große Orchestermusik gekleidet. Das ist bei der „Operette im Espresso-Format“ weder möglich noch gewollt. Deshalb greift Brodka auf das Streicher-Arrangement von Grigoriy Losenkov zurück.

Das Spiel unter freiem Himmel findet allerdings vorerst nicht statt. Eine amtliche Unwetterwarnung treibt das Ensemble von der Freiluftbühne am Ringlokschuppen in den Saal 1 des Kulturzentrums in Mülheim an der Ruhr. In der Mitte der Bühne ist eine Wand aufgestellt, hinter der sich allerlei Requisiten verbergen. Rechts davon ein Mikrofon, auf der linken Seite haben die vier Musiker Platz genommen. Brodka übernimmt die Moderation. Ein Hörgenuss. Humorvoll führt sie durch die Geschichte, intoniert auf den Punkt. Besser geht es nicht. Und so breitet sich schon nach der Einleitung die gute Laune aus, die durch einen schwungvollen Abend tragen wird. Laura Knapp und Anna Straub an der Geige, Maksim Korobejnikov am Cello und Bratschist Gooil Kang eröffnen flott mit dem Vorspiel.

Foto © O-Ton

Und schon betreten die Opernsänger die Bühne, um Heia, heia in den Bergen, das Lied der Sylva, vorzutragen. Zinzi Frohwein übernimmt die Rolle der Sylva – in den Folgevorstellungen wird sie sich mit Brodka abwechseln – und findet gleich zum rechten Ton des Operettenstars. George Gamal steht ihr als Edwin zur Seite und beweist einmal mehr, dass er das Zeug zu einer großen Karriere als Bariton hat, wenn er nicht nur mit der Stimme, sondern auch mit der Ausstrahlung überzeugt. Gerade aus China zurückgekehrt, bringt Tenor Hong Zhou viel gute Laune bis zum Spitzbübischen mit, um Boni, den Freund Edwins, darzustellen. Maija Tutova glänzt ebenfalls stimmlich und zeigt viel Spielfreude, vor allem, wenn sie im Carmen-Kostüm auftritt. Und so versprühen sie den Champagner in ihren Kehlen, wenn sie von Lied zu Duett, von Terzett zum Quartett eilen. Die Begeisterung des Publikums steigt von Auftritt zu Auftritt.

Brodka erweitert den Vortrag um zwei Einfälle. Zum einen dürfen die Protagonisten auch tanzen. Eine hübsche Idee, und die Schritte sind auch eingeübt. Aber in der Premiere ist da noch viel Blei in den Beinen. Die operettenhafte Leichtigkeit, die hier eigentlich unterstrichen werden soll, wird sich wohl erst in den folgenden Aufführungen einstellen, aber dann wird es ein echter Gewinn werden. Das größere Risiko geht Brodka sicher damit ein, die Vorstellung um fünf Statisten aus dem Publikum zu erweitern. Erwartungsgemäß reißt sich keiner darum, auf die Bühne zu kommen. Davon lässt sich das Energiebündel Brodka nicht irritieren. Alsbald finden sich drei Damen, die zu Varieté-Mädels werden, ein Notar, der gelungen die Feder schwingt und eine stumme Rolle, bei der die fehlende Berührungsangst des Statisten für viel Heiterkeit sorgt. Das Glück ist mit den Tüchtigen, und so zeigt Brodka in der Wahl ihrer Statisten ein wahrhaft glückliches Händchen.

Aus den geplanten anderthalb Stunden werden um die 100 Minuten, ohne dass auch nur ein Moment der Langeweile auftaucht. Als Zugabe gibt es zur Freude des Publikums noch einmal den Gassenhauer Tausend kleine Engel, der mit der bekannten Botschaft „Habt Euch lieb!“ aufwartet. Kann man ja in diesen Zeiten gar nicht oft genug hören.

Die Spielorte und Termine der nächsten Aufführungen können auf der Netzseite nachgelesen werden. Ganz unauffällig reiht sich da ein Termin ein, der etwas Besonderes ist. Nach einer Aufführung der Traviata 2019 tritt Music to go bereits zum zweiten Mal am 8. August um 18.30 Uhr in der Landeshauptstadt Düsseldorf auf dem Marktplatz vor dem Rathaus auf. Ein weiterer Schritt in Richtung Berühmtheit. Zu Recht.

Michael S. Zerban