O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Heimatabend

MORGENSTERN-TRIO
(Diverse Komponisten)

Besuch am
23. Oktober 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Robert-Schumann-Saal, Düsseldorf

Thomas Blomenkamp wurde 1955 in Düsseldorf geboren. Seine Schulzeit absolvierte er auf dem Comenius-Gymnasium, ehe er auf die Robert-Schumann-Hochschule wechselte. Dort legte er sein Konzertexamen als Pianist ab, um dann nach Köln an die dortige Musikhochschule zu wechseln, wo er bei Jürg Baur Komposition studierte. 1982 machte er sich als Pianist und Komponist selbstständig. Mit der Oper Der Idiot nach dem Roman von Fjodor Dostojewskij, die er anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Theaters Krefeld Mönchengladbach – damals noch Vereinigte Städtische Bühnen Krefeld und Mönchengladbach – komponierte, erlangte Blomenkamp 2001 deutschlandweite Bekanntheit. Inzwischen sind seine Werke aus einem breitgefächerten Portfolio international bekannt, reisen quasi durch die Welt. Der Komponist selbst ist bodenständig und der Heimat verhaftet geblieben. Heute lebt er mit seiner Frau, der Sopranistin Dorothee Wohlgemuth, in Meerbusch-Osterath, also ein paar Straßen weiter.

2017 lernte Blomenkamp das Morgenstern-Trio bei einem Auftritt in Kempen kennen und war spontan von der musikalischen Qualität der drei Musiker begeistert. Es bedurfte einiger Gespräche, bis geklärt war, dass die Duisburger Philharmoniker ihn beauftragten, für das Trio ein Stück zu schreiben. Manchmal braucht es ein paar Umwege, um die Finanzierung solcher Projekte sicherzustellen. Geschenkt bekamen die Morgenstern-Musiker nichts, dazu gleich mehr. Am 19. Januar 2020 fand die Uraufführung von Preludio, Prestissimo, Pavane und Precipitato für Klaviertrio in der Duisburger Philharmonie statt. Von diesem Konzert gibt es auch ein Video, allerdings in schlechter Tonqualität. Aber es gibt einen ersten Eindruck. Danach hätte es eigentlich losgehen sollen mit den Konzerten, die das neue Stück vorstellen …

Heute Abend ist es endlich so weit. Das Morgenstern-Trio hat sich entschieden, zu einem „Heimatabend“ einzuladen und Blomenkamp in den Mittelpunkt zu stellen. So beginnen Pianistin Catherine Klipfel, Geiger Stefan Hempel und Cellist Emanuel Wehse den Abend mit dem Trio für Klavier, Violine und Violoncello op. 88, kurz: den Phantasiestücken von Robert Schumann. Dazu hat das Morgenstern-Trio als Veranstalter in den Robert-Schumann-Saal eingeladen, jenen Düsseldorfer Kammermusiksaal, der im Untergeschoss des Kunstpalastes unberechtigt so ein bisschen ein Schattendasein fristet. Aber wer dahin findet, ist begeistert von der Akustik. An diesem Abend ist nahezu jeder der freigegebenen Plätze im Saal besetzt. Das programmatische Kalkül der Musiker ist aufgegangen. Die Mischung aus alter und neuer Musik hat Besucher vieler Altersklassen angezogen. So können die Musiker befreit vor „vollem Haus“ aufspielen und die Freude in den Gesichtern ihrer Gäste sehen, die sich an ihren Plätzen nicht hinter Masken verstecken müssen.

Das Morgenstern-Trio mit Thomas Blomenkamp – Foto © O-Ton

Über die musikalische Qualität zu berichten, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Hochdekoriert und auf den internationalen Bühnen bis nach Amerika ist man nicht unterwegs, wenn es auch nur eine Note zu bemängeln gäbe. Vielleicht abgesehen von ein paar Ausnahmen, die musikalisch ausbleibende Qualität durch ein Übermaß an Marketing kompensieren. Aber dazu gehört das Morgenstern-Trio sicher nicht. Umso verwunderlicher ist das starre, traditionelle Konzertformat, das die drei wählen. Statt freundlicher Begrüßung des Publikums eine angedeutete Verbeugung, keine Erläuterungen, Anekdoten. Hier gilt es der Musik. Punkt. Und doch. Die Souveränität haben alle drei, mit ihren Interpretationen gelöst umzugehen. Das ist nun bei jedem Anschlag, bei jedem Saitengriff zu hören. Altbekannt das Argument, die Musik spräche für sich selbst, aber gerade für jüngere Generationen spricht sie oft genug eine Fremdsprache – und da wäre eine Übersetzungshilfe nicht schlimm. Auch bei einem Werk von Robert Schumann nicht, das von den dreien so interpretiert wird, als sei die Tinte des Kopisten noch nicht getrocknet. Und das Publikum ist so fachkundig, dass es zwischen den Sätzen nicht applaudiert.

„Zwei ruhige und zwei rasende Sätze verlangen den Ausführenden in puncto Tempo, Zusammenspiel, asymmetrische Taktarten und so weiter einiges ab. Das Finale, ein kopfüber voran stürzender Satz ist ein wahrer Parforceritt für die Musiker: rastlos, atemlos, ohne Pausen für die Spieler. In diesem Satz taucht ein kleiner Ausschnitt aus dem Beethovenschen Erzherzog-Trio auf, auch Dmitri Schostakowitsch ist mit seinen tönenden Initialen kurz anwesend“, beschreibt Blomenkamp sein Werk, das nun erstmals in seiner Heimatstadt zur Aufführung kommt. Und Klipfel, Hempel und Wehse zeigen, dass sie sich in der Zeit der Isolation nicht der Lustlosigkeit anheimgegeben, sondern intensiv daran gearbeitet haben, auch das letzte Detail, die letzte Nuance aus dem Werk herauszuholen. Grandios, was sie hier an atmosphärischer Spannung und musikalischer Virtuosität präsentieren. Der Komponist verlangt viel von ihnen, und sie bleiben ihm nichts schuldig. Der überschäumende Applaus des Publikums ist berechtigt und die Freude groß, dass sich Blomenkamp auf der Bühne zeigt.

Nach diesem rauschähnlichen Erlebnis fällt das Trio g-moll für Klavier, Violine und Violoncello op. 17 von Clara Schumann ab. Die zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Werks geltenden Kompositionsregeln können dem Spannungsgrad der neuzeitlichen Komposition nicht standhalten. Hätte Schumann sich solcher Affekte bedient, wäre das Werk sicher erst gar nicht zur Aufführung gekommen. Im Anschluss an Blomenkamps Werk allerdings erinnert es trotz der virtuosen Interpretation eher an dahinplätschernde Radio-Unterhaltung. Das ficht das Publikum nicht an, das auch diesen Programmpunkt gebührend feiert. Und sich über die Zugabe freut, die allerdings ungewohnt ausfällt. Sechs Studien in kanonischer Form hat Robert Schumann für den Pedalflügel verfasst. Die vierte tragen die drei Musiker abschließend als Zugabe in der Bearbeitung von Theodor Kirchner vor. Und nein, liebe Freunde der Kammermusik, es gibt davon nicht mehrere Sätze, auch wenn ihr noch so lang auf den nächsten Satz wartet. Aber schließlich geben die Besucher ihr Schweigen auf und sind sich in ihrem Beifall einig, hier einen ganz großen Abend der Kammermusik erlebt zu haben.

Michael S. Zerban