O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Ganz intim

AURYN-QUARTETT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
2. Dezember 2021
(Einmaliges Gastspiel)

 

Aula am Berliner Ring, Monheim am Rhein

Gute Kulturprogrammierer sind gerade für Kleinstädte oft Gold wert. Weil sie die Tourneepläne großer Künstler verfolgen und gern mal Pausen nutzen, um sie in ihre Stadt einzuladen. Wenn ein solcher Künstler also beispielsweise am Montag in Düsseldorf auftritt und am Donnerstag in München ist, bleibt da ein Spielraum, um schnell ein Konzert in der Kleinstadt einzuschieben. Das gibt gute Berichte in der Lokalpresse, die Zeit ist sinnvoll überbrückt, anstatt in Hotelzimmern abzuhängen, und die Fans wissen es zu schätzen. Neuss beispielsweise ist da schon der eine oder andere Coup für die Zeughauskonzerte gelungen. Jetzt hat auch Monheim am Rhein zwischen Kleinkunst und Comedy zugeschlagen. Mit der Aula am Berliner Ring, 1972 eröffnet und zum Otto-Hahn-Gymnasium gehörig, gibt es eine Spielstätte mit guter Akustik und der nötigen Infrastruktur.

Matthias Lingenfelder – Foto © O-Ton

„Tu, was du willst“ ist als Inschrift auf der Rückseite des Amuletts Auryn in Michael Endes Roman Die unendliche Geschichte zu lesen. 1981 erhoben vier junge Musiker das Motto zu ihrem Credo und gründeten das Auryn-Quartett. Nach Lehrzeiten beim Amadeus-Quartett und einem Studienaufenthalt beim Guarneri-Quartett stiegen die vier rasch in die Spitzengruppe der Quartettszene auf, wie sie selbst berichten. 40 Jahre sammelten die Geiger Matthias Lingenfelder und Jens Oppermann, Bratschist Stewart Eaton und Cellist Andreas Arndt Erfolg um Erfolg. Sie besuchten die berühmten Bühnen, erweiterten ihr Repertoire bis zu Kompositionen, die eigens für sie geschrieben wurden, und dokumentierten ihr Schaffen in zahlreichen Einspielungen. Zum Erfolg gesellen sich die Instrumente, die das Können veredeln. Lingenfelder spielt eine Stradivari von 1722, die Joseph Joachim gehörte. Oppermann bekam vom Amadeus-Quartett die Petrus Guarneri, Eaton spielt eine Amati von 1616 und Andreas Arndt hält das Niccolo-Amati-Cello aus Hindemiths Amar-Quartett in Händen. Zum 40-jährigen Bühnenjubiläum haben die Musiker beschlossen, in den Ruhestand zu gehen, sagen sie. Ob sie wirklich ihre Instrumente aus der Hand legen, darf bezweifelt werden, aber das Quartett wird sich nach seiner Abschiedstour auflösen. Eigentlich sollte die im vergangenen Jahr über die Bühne gehen, jetzt wird sie nachgeholt.

Andreas Arndt – Foto © O-Ton

Wer an Spielstätten wie dem Wiener Musikverein auftritt, ist daran gewöhnt, vor dem ersten Takt noch einmal die Frackschöße zurückzuschlagen und darauf zu achten, dass die Lackschuhe keine Kratzer bekommen. Wer über so viel Lebenserfahrung wie die vier Musiker verfügt, weiß, dass solcher Glamour in der Schulaula oversized wirkt. Und so treten die Herren in dunkelgrauen Anzügen und Straßenschuhen auf. Ja, der Glamour der großen Auftritte fehlt in der Aula, aber dafür bekommen die Besucher etwas sehr viel Besseres geboten. Die Streicher nehmen gleich an der Rampe der großen Bühne Platz. Näher wird kaum ein Besucher den Musikern in den vergangenen vier Jahrzehnten gekommen sein. Hier ist Intimität Trumpf. Für seine einleitenden Worte braucht Lingenfelder nicht einmal ein Mikrofon. Früher wäre das sogar in dieser Aula anders gewesen. Aber die Pandemie fordert ihre Opfer auch in Monheim am Rhein. Und so sind nur die wirklich Mutigen zum Konzert erschienen. Hätte man angesichts dieser Situation nicht kurzentschlossen noch ein, zwei Schulklassen für lau einladen können? Platz wäre gewesen, die Schüler hätten ein Erlebnis fürs Leben mitgenommen und jede „Education“-Abteilung wäre vor Neid erblasst. Wir wissen nicht, welche Bedenkenträger hier jede Fantasie im Keim erstickt haben. Und so bekommt das Konzert schon fast Wohnzimmer-Charakter.

Das Auryn-Quartett hat für diese Abschiedstour, die es bis Ende Februar kommenden Jahres durch ganz Deutschland führt – hier gibt es die Auftrittstermine – ein extrem klassisches Programm ausgewählt. Beginnend mit der Kleinen Nachtmusik von Wolfgang Amadeus Mozart, die um den legendären fehlenden zweiten Satz ergänzt wird, gibt es Ludwig van Beethovens Quartetto serioso und, nach einer Pause, Franz Schuberts Der Tod und das Mädchen. Es braucht hier kein Wort über die exzellente Spielweise des Quartetts verloren zu werden. Vier Jahrzehnte hält man medioker nicht durch. Und so darf sich das Publikum zurücklehnen und vollendeter Interpretation voller Genuss lauschen. Komplett entspannt können sich die Musiker einem fachkundigen Publikum überlassen, das die Leistung zu würdigen weiß.

Der Abendzettel endet mit den Worten: Alles wird ein Ende haben! Ja, aber … möchte man den Musikern zurufen: Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Und es ist bewundernswert, dass die alten Herren in aller Exzellenz, derer sie fähig sind, den Stab weiterreichen an jüngere Musiker, die nun ihren Bühnenplatz einnehmen können. Schließlich gibt es kaum Schlimmeres als alte Musiker, die kein Ende finden. Und so haben sie den Blumenstrauß am Ende des Konzerts gleich drei Mal verdient. Sie haben dem andächtig lauschenden Publikum in Monheim am Rhein ein herausragendes Konzert geschenkt, einen würdigen Abschluss gefunden und machen den inzwischen mehr als knapp bemessenen Bühnenraum für jüngere Talente frei, die dafür sorgen, dass ihre Kunst fortgesetzt wird. Danke.

Michael S. Zerban