O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Stutte

Aktuelle Aufführungen

Singen heißt Fühlen

MEISTERKLASSE
(Terrence McNally)

Besuch am
9. Dezember 2021
(Premiere am 15. Oktober 2020)

 

Theater Krefeld Mönchengladbach, Theater Rheydt

Wer sich für den Operngesang interessiert, trifft früher oder später auf ein Phänomen, das es so wohl nur in der Musikwelt gibt. Meisterklassen, Meisterkurse oder Master Classes sind Veranstaltungen, bei denen ein mehr oder minder bekannter Opernsänger dem Opernnachwuchs eine Zeitspanne zur Verfügung stellt, um dessen Gesang zu verbessern. In der Regel steht dabei ein Pianist, der Korrepetitor, zur Verfügung. Der Nachwuchssänger trägt ein selbstausgewähltes Beispiel vor, anhand dessen sein erfahrener Kollege ihm Tipps zu Körper- und Geisteshaltung sowie Technik gibt. Es gibt diese Meisterklassen hinter verschlossenen Türen, zum Beispiel im Rahmen eines Opernstudios, oder auch als öffentliche Veranstaltungen, zu denen die Nachwuchssänger je nach didaktischen Fähigkeiten ihres Lehrers eine gehörige Portion Selbstbewusstsein mitbringen müssen. Denn es kann auch schon mal eine Menge bissiger Sprüche hageln. Trotzdem lässt der Nachwuchs kaum eine Gelegenheit aus, an solchen Meisterklassen teilzunehmen. Einerseits, um den berühmten Kollegen aus der Nähe zu erleben, andererseits, weil man hier unter Umständen innerhalb weniger Minuten wichtige Erkenntnisse für den eigenen Gesang sammeln kann. Auf jeden Fall sollte man sich auch als Zuschauer keine Gelegenheit entgehen lassen, einen solchen öffentlichen Meisterkurs zu besuchen. Oft erlebt man hier, wie die jungen Leute schier geläutert aus dem Saal schweben, fest davon überzeugt, gerade eine Offenbarung erlebt zu haben. Dabei ist das eigentliche Geschehen vergleichsweise unspektakulär. Der Nachwuchs singt, so weit er kommt. Irgendwann schreitet der Lehrer ein, wirft ein paar meist für das Publikum unverständliche Sätze ein, legt seine Hände hier und da auf den Brustkorb und erreicht damit erstaunliche Veränderungen im Gesang. Zufrieden räumt der Nachwuchssänger das Feld für den Kollegen, der schon wartet. Das Interessante ist: Es gibt hier genauso viel gute und schlechte Lehrer wie anderswo. Aber je bekannter der Sänger ist, desto mehr scheint er beim Schüler zu bewirken. Als Zuschauer im Publikum kann man mit ausreichender Distanz recht schnell erkennen, wie viel Wirkung hier mit „Aura“ und wie viel mit didaktischen Fähigkeiten erzielt wird.

Es gibt bis heute vermutlich keinen Nachwuchssänger, der nicht mehr oder minder alles darum gäbe, an einer Meisterklasse von Maria Callas teilzunehmen. Das ist bekanntlich seit Ende 1977 nicht mehr möglich. Aber was wäre, wenn? Diese Frage stellte sich Terrence McNally und schrieb darüber ein Theaterstück, das am 1. März 1995 von der Philadelphia Theatre Company uraufgeführt wurde. 1996 erhielt er dafür den Tony Award für das Beste Theaterstück. Bereits im Oktober vergangenen Jahres hat das Theater Krefeld Mönchengladbach das Schauspiel auf die eigene Bühne gebracht. McNally hat mit Sicherheit mehr als eine Meisterklasse besucht, und er hat das Leben der Diva akribisch durchleuchtet. Ganz wunderbar hat er das Beste aus beidem abstrahiert und zu einer typischen öffentlichen Meisterklasse verdichtet, die ganz nebenbei verrät, dass Callas einen hohen Preis für ihren Erfolg zahlen musste.

Foto © Matthias Stutte

Regisseurin Petra Luise Meyer bekommt am Theater Krefeld Mönchengladbach ein Arbeitsumfeld bereitet, bei dem man von Luxus pur sprechen kann, ohne zu übertreiben. Als Spielfläche bekommt sie die große Bühne, die von Dietlind Konold gestaltet wird. Konold gelingt die richtige Mischung zwischen der großen, alten Plüschbühne mit Lüster und rotem Samt auf dem Flügel, dem oft doch eher einfachen Arbeitsumfeld solcher Meisterklassen mit spartanischer Ausstattung und ein paar Spezialitäten für die Berühmtheit auf einer Anrichte wie frische Erdbeeren im Winter. Effekte überlässt sie Susann Förster, die mit dem Licht zwischen Saal und Bühne spielt. Erst am Ende gibt es noch ein paar nette Einfälle. Bei den Kostümen wird Konold theatralisch. Für die Callas gibt es das elegante, enganliegende Kostüm mit weißer Krawatte und exquisitem Schmuck. Der Korrepetitor muss aus einer amerikanischen Theater-Kompanie stammen, typischer geht es kaum. Auch der Hausmeister könnte kaum weniger amerikanisch im Overall daherkommen. Poppiges Orange gibt es für die Sopranistin, der Tenor erscheint als Bonvivant und die Altistin im überbordenden Abendkleid. Das ist wunderschön gemacht, Konold eben.

Auch bei der Besetzung hätte Meyer es nicht besser antreffen können. Eva Spott ist nicht nur eine erfahrene Schauspielerin, sondern verfügt auch über genügend Lebenserfahrung, um die Callas nicht einmal aufgesetzt oder einstudiert wirken zu lassen. Das langjährige Ensemblemitglied kommt über die Plattitüden hinweg, findet neben der notwendigen Exzentrik die nötige Tiefe, um die wichtigen Botschaften zu übermitteln. Eine exorbitante Leistung, wie man sie nur noch selten auf den Bühnen findet. Da ist es für ihre Mitspieler ein Leichtes, ihr zu sekundieren. Maya Blaustein aus dem Opernstudio ist ja ohnehin längst für ihre Spielfreude bekannt und hat damit die Sopranistin Sophie de Palma locker und über die Maßen charmant im Griff. Gesanglich muss sie ein wenig zurückstecken, darf aber dafür noch mal richtig auftrumpfen, wenn sie die Originaleinspielung der Callas zu Ende singt. David Esteban beweist, dass es keine Klischees bezüglich des Tenors gibt. Alles Wahrheit. Da fällt selbst der Callas nicht mehr viel ein. Herrlich. Ebenfalls aus dem Opernstudio tritt Boshana Milkov als Mezzosopranistin Sharon Graham an. Ihr hätte etwas weniger Ernsthaftigkeit im Gesichtsausdruck gutgetan. Es gibt ja keinen Grund dafür. Ihre Leistungen sind hervorragend, sowohl spielerisch als auch gesanglich. Bewundernswert, wie sie ihr Playback durchhält, obwohl sie wissen muss, dass sie im Halbdunkel kaum zu erkennen ist. Christoph Mühlen spielt den Hausmeister so dröge, dass es staubt. Mehr geht nicht. Und ein echtes Schmuckstück ist Avishay Shalom am Klavier.

Es ist einer dieser selten gewordenen Abende, an denen man ohne jede Kritik beseelt nach Hause geht. Zuvor gibt es noch Applaus, der nur deshalb so mager klingt, weil das Ensemble seine volle Leistung vor einem kleinen Zuschauerkreis gezeigt hat. Na gut, man will sich auch nach diesen anderthalb Stunden nicht mehr anstrengen, sondern nur noch dem Genuss nachspüren.

Michael S. Zerban