O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Stutte

Aktuelle Aufführungen

Fliehende Senta

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)

Besuch am
23. September 2022
(Premiere am 4. September 2022)

 

Theater Krefeld Mönchengladbach, Theater Rheydt

Es ist keine bis ins letzte Detail perfekte Produktion, die das Theater Krefeld Mönchengladbach derzeit im Rheydter Opernhaus zeigt, aber eine musikalisch mitreißende und szenisch packende Auseinandersetzung mit Richard Wagners Fliegendem Holländer. Zudem nah am Sinn des Textes bleibend, so dass man sich am Niederrhein nicht vor größeren Häusern ducken muss, Bayreuth eingeschlossen, an denen Wagners Stücke offensichtlich nur noch als Spielmaterial für selbstverliebte Regisseure gehandelt werden. Dass das Meer in Mönchengladbach überhaupt zu sehen ist, dass der Holländer als Seemann erkennbar bleibt, bereits damit hebt sich Roman Hovenbitzers Deutung von ganzen Scharen in IT-Zentralen oder Bierschänken verlagerter Inszenierungen ab.

Das Meer, auf deren optische Wahrnehmung Wagner ausdrücklich Wert gelegt hat, ist ja nicht nur als dekorative Beigabe zu sehen, sondern reflektiert in seiner Unberechenbarkeit und eindrucksvollen Kraft die psychischen Spannungen der Hauptfiguren. Davon zeugt nicht nur die Musik. In Rheydt ist das Meer allgegenwärtig, durch Videoeinblendungen oder durch große Bullaugen einsehbar. Der Holländer in seiner schwarzen Tracht erinnert an Abbildungen aus alten Märchenbüchern. Eine persönliche Note bringt Hovenbitzer mit der Charakterisierung Sentas ein, mit der er die Figur aufwertet, auch wenn er das ohnehin problematische Finale zu einer recht verkrampften Lösung führt.

Foto © Matthias Stutte

Senta, der Backfisch, der davon träumt, den fluchbeladenen Seemann zu erlösen, tritt bereits in der Ouvertüre als kleines Mädchen auf, das nicht mit Puppen spielen will, sondern lieber als Pirat mit einem Kinderschwert und einem Holzschiff. Von den heiratswilligen Mädchen ihres Dorfes, die im zweiten Akt ihre Hochzeitskleider schneidern, will sie nichts wissen. Und so glaubt sie sich bei der Begegnung mit dem noch verzweifelten, bedrückten Holländer in seinem wüsten Outfit der Erfüllung ihres Wunsches nahe zu kommen. Das präsentiert Hovenbitzer zwei Akte lang durchweg überzeugend. Aber es gelingt ihm nicht die stringente Weiterführung, indem er den Holländer über Nacht zu einem Spießbürger im edlen Smoking mutieren lässt, der sich, wie Sentas Vater Daland, mehr für den schnöden Mammon interessiert als für die Liebe, wie sie sich Senta vorstellt. Folgerichtig wirft sie dem Holländer den Brautschleier vor die Füße, schlüpft in ihr etwas klischeehaftes Piratenkostüm und verlässt selbstbewusst mit ihrem kindlichen Alter Ego die Bühne. Mit dieser Deutung verliert auch der dramaturgisch effektvolle Dialog zwischen den norwegischen Seeleuten und der Besatzung des Geisterschiffs seine Logik, wenn die „Einbürgerung“ des Holländers bereits vollzogen ist.

So eindrucksvoll die Bühnenbilder von Roy Spahn das spezifische Kolorit des Stücks reflektieren, so glutvoll führt Generalmusikdirektor Mikhael Kütson die Niederrheinischen Sinfoniker und das vorzügliche Gesangsensemble durch den kurzweiligen Abend. Sängerfreundlich und gleichwohl orchestral wirkungsvoll. Warum man sich entgegen gängiger Praktiken für eine Pause nach dem ersten Akt entschieden hat, ist nicht nachzuvollziehen. Mit der auf hohem Niveau angesiedelten Besetzung aller noch so heikler Partien des Stücks gebührt Rheydt jedenfalls im weiten Umkreis und noch darüber hinaus die Palme.

Angefangen bei Johannes Schwärsky in der Titelrolle mit seinem dunkel timbrierten, substanzreichen Bariton und seiner dämonischen Bühnenpräsenz. Grandios auch Matthias Wippich als Daland mit seinem tiefgründenden Bass. Und der ebenso undankbaren wie schwierigen Rolle des Erik verleiht Ralph Ertel nicht nur dank seines durchsetzungsfähigen Tenors markantes und alles andere als blasses Profil.

Die junge Norwegerin Ingegjerd Bagøien Moe könnte in die Fußstapfen der großen dramatischen Sopranistinnen Skandinaviens treten. Ihre Stimme hat für die Senta genügend Volumen, um die dramatische Substanz der Rolle ebenso überzeugend zum Klingen bringen zu können wie die lyrische Wärme in den ruhigeren Passagen. Und auch die kleineren Rollen des Steuermanns und der Mary sind mit Woongyi Lee hervorragend und mit Eva Maria Günschmann zuverlässig besetzt. Ein Sonderlob verdient der sicher und klangmächtig auftrumpfende Opernchor der Theatergemeinschaft.

Großer, langanhaltender Beifall für eine musikalisch erstklassige, szenisch spannende, wenn auch nicht ganz schlüssige Inszenierung, in der man immerhin mehr vom Stück erfährt als von abwegigen Gedankenflügen manchen Regisseurs.

Pedro Obiera