Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
VIENNA CALLING
(Johann Strauss Sohn, Johannes Brahms)
Besuch am
13. Januar 2023
(Einmalige Aufführung)
Inzwischen gilt es ja als schick, die Qualität von Orchestern nach der Anzahl der Nationen ihrer Mitglieder zu bemessen. Und da ist die Sinfonietta Vivazza gleich ganz weit vorn. Neun Musiker stammen aus neun Nationen. Viel mehr geht nicht. Seit 2017 ist das Ensemble in wechselnden Besetzungen aktiv, um „klassische Kammermusik unter dem Motto ‚Musik zum Anfassen‘ einem breiteren Publikum zugänglich zu machen“. Die künstlerische Leitung hat die Klarinettistin Pamela Coats inne. Für den heutigen Abend hat die Sinfonietta die Bühne der Kulturvilla Mettmann bezogen. Unter dem vielversprechenden Titel Vienna Calling lädt das Orchester sein Publikum ein, Musik des Walzerkönigs Johann Strauss und seines lebenslangen Freundes Johannes Brahms zu genießen. Das klingt bei oberflächlicher Betrachtung erst mal nach einem verspäteten Neujahrsspaß. Und so ist der Konzertsaal in der historischen Villa gut besucht.
Neun Menschen stellen sich mit ihren Instrumenten auf der kleinen Bühne auf. Das ist in erster Linie mal eine Herausforderung an die Akustik. Und die präsentiert sich ein wenig stumpf. Zudem stellen sich die Musiker im Halbkreis auf. Das bedeutet, dass die Hälfte von ihnen aus Saalsicht hinter dem Vorhang verschwindet. Ein wenig unglücklich gelöst, aber das ficht das Publikum nicht an. Denn das bekommt eine der „größten Schöpfungen von Johann Strauss“ zu hören. Die Rede ist von der Ouvertüre der Fledermaus. 1874 uraufgeführt, gilt das Werk als Höhepunkt der „Goldenen Operetten-Ära“. Wer nach der Ouvertüre nicht bester Laune ist, darf sich von Sopranistin Julia Langeder dazu verführen lassen. Die tritt verspielt auf, um Mein Herr Marquis des Kammermädchens Adele zu präsentieren. Und bleibt auch gleich in der Rolle, um das Publikum mit Spiel ich die Unschuld vom Lande zu erfreuen. So könnte es weitergehen.
Aber die Sinfonietta Vivazza führt anderes im Schilde. Ein weiterer Neujahrskonzertklassiker soll die Stimmung zusätzlich anheizen. 1868 schuf Johannes Strauss die Geschichten aus dem Wienerwald, eigentlich fünf Walzer in einem Werk. Ein großartiges Stück, das seinen ganzen Reiz entfaltet, wenn es von einem A-Orchester gespielt wird. Selbst dann, wenn man auf das Zither-Solo verzichtet. Und es gibt ja auch große Orchesterwerke, die in einer Kammerversion noch gewinnen, weil sie beispielsweise transparenter und weniger bombastisch daherkommen. Für die Geschichten aus dem Wienerwald gilt das – zumindest heute Abend – eindeutig nicht. Dass dem wenig fachkundigen Publikum, wie gleich zu sehen sein wird, der Vortrag dennoch ausnehmend gut gefällt, wird den nächsten Teil des Konzerts retten.
Foto © O-Ton
Im Abendzettel wird die schöne Anekdote von der Begegnung Brahms‘ mit Adele Strauss erzählt. Sie bat ihn um ein Autogramm auf ihrem Fächer. Er zeichnete die ersten paar Noten des Walzers An der schönen blauen Donau und schrieb darunter „Leider nicht von Johannes Brahms!“ Treffender kann man den dramaturgischen Knick des Abends nicht beschreiben. Denn nachdem im ersten Teil reichlich musikalischer Champagner vergossen wurde, gibt es im zweiten Teil die Serenade Nr. 1 in D-Dur opus 11 von Johannes Brahms.
Zwar darf man in der rund 45-minütigen Serenade eine durchaus heitere Grundstimmung erkennen, aber der Stimmungsabschwung ist schon gewaltig. 1858 stellte Brahms die viersätzige Fassung in Detmold unter dem Einfluss der Musik von Haydn und Mozart fertig. Im März des folgenden Jahres fand die Uraufführung der sechssätzigen Serenade in Hamburg statt. Und wieder ein gutes halbes Jahr später fasste der Komponist den Plan, das Werk in eine Sinfonie zu verwandeln, was sich vor allem in den ersten vier Sätzen, die nicht der Urfassung entsprechen, widerspiegelt. 1860 schließlich fand die Uraufführung der endgültigen Fassung in Hannover statt. Bis heute hat sich das Werk nicht zum durchschlagenden Erfolg entwickelt. In Mettmann wird zu jedem Satz kräftig applaudiert. Nur wenige, einschließlich der Musiker, schauen sich irritiert im Saal um.
Glücklicherweise tritt bei der Zugabe noch einmal Julia Langeder mit überschäumender Spielfreude auf. 1985 veröffentlicht Johann Hans Hölzl auf seinem dritten Album abermals einen Schlager, der um die Welt geht. Das Album heißt Falco 3, und der Song, den die Sinfonietta nachspielt, heißt Vienna Calling. Damit schließt sich der Kreis, wenn auch in unerwarteter Weise. Die Besucher sind begeistert. Denn auch wenn es musikalisch mal nicht so rund läuft, gelingt es den Gastgebern, Constanze Backes und Bodo Herlyn, immer wieder, eine wunderbare Atmosphäre herzustellen. Und deshalb lohnt es sich, auch in den nächsten Monaten den Veranstaltungskalender der Kulturvilla Mettmann im Blick zu behalten.
Michael S. Zerban