O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Compagnia di Punto - Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Mal was für die Nachbarn

EROICA
(Ludwig van Beethoven)

Besuch am
12. Juni 2020
(Öffentliche Probe)

 

Compagnia di Punto, Marktplatz, Mettmann

Es ist derzeit wirklich schwierig für Musiker und gar für ganze Ensembles, Auftrittsmöglichkeiten zu finden. Die Compagnia di Punto von Christian Binde hat sich nicht lautstark beklagt, sondern stattdessen versucht, neue Projekte für die Zeit in und nach der Krise zu finden. Ein steiniger und harter Weg. Aber jetzt gibt es immerhin ein Geisterkonzert in Köln. Da trägt das neue Album, das noch vor der Corona-Krise eingespielt werden konnte, Früchte. Die drei ersten Beethoven-Sinfonien wurden in historisch informierter Weise aufgenommen. Ein Ereignis. Aber ehe die großartige Aufnahme Folgekonzerte akquirieren konnte, war es vorbei mit der Begeisterung. Das Virus und seine Folgen schlugen zu.

Der Markt in der Mettmanner Oberstadt gehört vermutlich zu den romantischsten Flecken, die nordrhein-westfälische Städte zu bieten haben. Kreisförmig liegen hier Fachwerkhäuser um die Kirche St. Lambertus, und wer über das Kopfsteinpflaster wandelt, hat schnell das Gefühl, sich in einer verwunschenen Gegend zu befinden. Über dem Ensemble ein strahlendblauer Himmel, auf den ein paar bizarre Wolken getupft sind. Eine Kneipe breitet sich mit zahlreichen, gut besetzten Tischen in einem Winkel aus. Oberhalb, gleich gegenüber dem Haupteingang der Kirche, bieten ein paar Stufen zu den dahinterliegenden Häusern so etwas wie eine Naturbühne. An diesem Ort hat Binde eine öffentliche Probe angekündigt. Das Ordnungsamt hat zugestimmt, unter der Maßgabe, dass für die Veranstaltung keine Werbung betrieben werde und sie unter Berücksichtigung aller Abstandsgebote – unter anderem drei Meter Platz zwischen den Musikern – nicht länger als eine Dreiviertelstunde dauere. Obwohl ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes Vorbereitungen und Geschehen ausgesprochen wohlwollend beobachtet und seine Handy-Fotos vermutlich ausschließlich zur privaten Erinnerung anfertigt, kann man ein gewisses Unbehagen nicht verhehlen.

Annie Laflamme – Foto © O-Ton

Trotz fehlender Werbung haben sich rund 40 Nachbarn und Freunde auf dem idyllischen Flecken eingefunden, um dem zehnköpfigen Ensemble bei seinem ungewöhnlichen Vortrag zu lauschen. Mitte September vergangenen Jahres hat die Compagnia di Punto ihr Album mit den ersten drei Sinfonien Ludwig van Beethovens in historisch informierter Aufführungspraxis beim Deutschlandfunk in Köln aufgenommen (O-Ton berichtete). Heute sollen Teile der dritten Sinfonie zu Gehör gebracht werden, die Beethoven 1803 beendete und die unter dem Namen Eroica bis heute zu den meistgespielten Werken des Komponisten zählt. Üblicherweise wird sie mit großem Orchester und viel Pomp aufgeführt. Binde und seine Musiker führen das Werk in eine Größenordnung zurück, die zur damaligen Zeit vermutlich viel größere Aufführungschancen hatte. Und jetzt auch ganz wunderbar auf den Marktplatz passt.

Die Musiker postieren sich auf den Stufen, oberhalb die Bläser, darunter die Streicher. In großem Rund und mit mehr als nötigem Abstand versammeln sich die Besucher. Manche von ihnen haben, wie empfohlen, eigene Sitzgelegenheiten mitgebracht, andere sitzen etwas weiter entfernt auf den Stufen oder ganz einfach auf dem Boden oder stehen entspannt beieinander. Es herrscht eine friedliche, gelöste Stimmung, wenn die Nachbarn für die Nachbarn Musik machen. Und zwar unter deutlich erschwerten Bedingungen. Denn die Abstände führen dazu, dass die Musiker gerade in den leiseren Passagen kaum die Instrumente der Kollegen hören können. Und so entsteht so etwas wie ein professioneller Blindflug. Den Besuchern, sofern sie es überhaupt bemerken, ist das völlig schnuppe. Denn der Compagnia di Punto gelingt es, vor der pittoresken Häuserkulisse einen geradezu zauberhaften Klang zu entfalten, der hier selbst Menschen gefangen nimmt, die sich nicht zu den Freunden klassischer Musik zählen.

Auf dem Marktplatz darf selbstverständlich nach jedem Satz lautstark applaudiert werden. Und nach dem ersten, dritten und vierten Satz wird denn auch prompt die Zugabe verlangt, nachdem die genehmigte Dreiviertelstunde wie im Fluge verstrichen ist. Aber die Musiker zeigen sich verantwortungsbewusst und verabschieden sich mit freundlichen Worten. An einem solch wunderbaren Sommerabend vermisst man keine Sekunde den Konzertsaal, und noch lange verharren die Nachbarn im Gespräch, während der freundliche Herr vom Ordnungsamt zufrieden seiner Wege geht.

Michael S. Zerban