O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jonathan Berger

Aktuelle Aufführungen

Italienischer Verismo aus weiblicher Sicht

MESE MARIANO/SUOR ANGELICA
(Umberto Giordano, Giacomo Puccini)

Besuch am
26. Januar 2022
(Premiere)

 

Opéra Royal de Wallonie, Liège

Fest in Damenhand befindet sich die jüngste Produktion der Opéra Royal de Wallonie im Lütticher Opernhaus, in dem mittlerweile wieder vor voll besetzten Rängen gespielt werden darf. Die beiden Einakter Mese Mariano – Marianischer Monat – von Umberto Giordano und Suor Angelica – Schwester Angelica – von Giacomo Puccini sind beide in einem Nonnenkloster angesiedelt und, mit Ausnahme einer winzigen Nebenrolle und einiger Jungen im Kinderchor, ausschließlich mit Frauen besetzt. Am Pult steht mit Oksana Lyniv ein „Shooting-Star“, der im letzten Jahr als erste Frau im Bayreuther Festspielhaus dirigierte und in diesem Sommer am Opernhaus von Bologna als erste Frau die musikalische Leitung eines italienischen Theaters übernehmen wird.

Die Inszenierung besorgt die Schauspielerin und Regisseurin Lara Sansone, die in Lüttich ihr Opern-Debüt gibt. Die Bühnenbildnerin Francesca Mercurio und die Kostümbildnerin Teresa Acone vervollständigen die weibliche Armada, die sich aber im Unterschied zur spanischen Flotte über einen nahezu perfekten Sieg freuen kann.

Frauen, die mit dem Verlust ihres kleinen Sohnes kämpfen müssen, stehen im Mittelpunkt beider Opern. Bei der 1910 entstandenen Oper Giordanos eine Mutter, die ihr Kind unter Zwang ins Waisenhaus geben musste und in dem acht Jahre später aufgeführten Einakter von Puccini eine Frau aus reichem Haus, die als Mutter eines unehelichen Kinds zur Strafe von ihrer Familie ins Kloster gesteckt wurde. Giordano teilt sich in seiner Oper, ein Musterbeispiel des italienischen Verismo, noch knapper und schroffer mit als Puccini, der alle Schleusen emotionaler Erschütterungen öffnet, wenn Angelica den Tod ihres Sohnes erfährt und ihren Selbstmord vorbereitet.

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Dass Puccinis anrührendes Werk nicht zum Rührstück zerrinnt, dafür sorgt nicht zuletzt Lyniv, die in beiden Partituren ein Maximum an klanglicher Leuchtkraft, einfühlsamer Sensibilität und kontrollierter Schlagkraft erzielt. Gute Voraussetzungen für die Hauptrollen. Bei Giordano ist es Carmela, die die Oberin vergeblich erweichen möchte, ihren Sohn besuchen zu dürfen. Was die Oberin, die um den Tod des Kindes weiß, jedoch nicht übers Herz bringt. Kompromissloser entwickelt sich der Konflikt bei Puccini zwischen Angelica und der hartherzigen Principessa, die ungerührt vom Tod des Kindes berichtet. Ein dankbarer Nährboden für zwei große Stimmen, die in Lüttich mit Serena Farnocchia in den Mütterrollen und Violeta Urmana als Oberin und Principessa grandios besetzt sind. Die Bühnenpräsenz der international renommierten Urmana geht unter die Haut. Und Farnocchia, die vor einigen Jahren in Donizettis Anna Bolena an der Deutschen Oper am Rhein glänzte, besticht durch ihre darstellerische Intensität, auch wenn ihre Stimme in den Höhen recht hart anspricht.

Die Inszenierung von Sansone orientiert sich streng am Libretto, wobei sich angesichts der detailgenauen Personenführung die Erfahrung der Regisseurin aus ihrer Schauspielkarriere dankbar auszahlt. Die Werktreue geht so weit, dass am Ende des Puccini-Werks die Madonna und ihr kleiner Sohn als Visionen leibhaftig auftreten. In der pittoresken Ausstattung von Mercurio, malerische Klosterhöfe in einer sanften italienischen Hügellandschaft, ist die Nähe zu pseudo-realistischem Bühnenkitsch zwar greifbar. Aber die ungemein feine Ausführung der psychologischen Spannungen, verstärkt durch die Darstellung der grandiosen Protagonistinnen und das alles andere als sentimentale Dirigat Lynivs, bannt diese Gefahr. Musealer Mottengeruch stellt sich nicht ein.

Auch wenn Puccini ursprünglich darauf bestanden hat, Suor Angelica nur in Verbindung mit Il Tabarro und Gianni Schicchi als geschlossenes Triptychon aufzuführen, ist er angesichts aufführungspraktischer Probleme letztlich von dieser Forderung abgerückt. Wobei die isolierte Aufführung gerade der Suor Angelica ohne den dramatischen Puffer des Tabarro und des ironischen Zungenschlag Gianni Schicchis sentimentaler wirken kann als von Puccini gewünscht. Auch die Lütticher Produktion kann diese Gefahr nicht ganz unterlaufen, die durch Giordanos kaum bekannten Einakter, der auf ein apotheotisch überhöhtes Finale wie das Puccinis verzichtet, allerdings gemildert wird. Die Kopplung der beiden Werke zeugt von einer schlüssigen Konsequenz. Und ab und zu darf Oper auch einmal besonders innig zu Herzen gehen.

Eine insgesamt rundum überzeugende Produktion wird vom Premierenpublikum entsprechend gefeiert.

Pedro Obiera