O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christina Iberl

Aktuelle Aufführungen

Temporeiche Komödie

DIE HOCHZEIT DES FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
27. und 29. Oktober 2023
(Premiere)

 

Staatstheater Meiningen

Die Hochzeit des Figaro von Wolfgang Amadeus Mozart nach dem Libretto von Lorenzo da Ponte, 1786 von den beiden uraufgeführt, gehört zu den Kassenschlagern im Opernrepertoire. Seit der letzten Spielzeit hatte man in Meiningen in einer gefeierten Inszenierung von Brigitte Fassbender schon die Vorgeschichte nach Beaumarchais im Barbier von Sevilla erlebt, nun also der Mozartsche Figaro. Im Jahre 1786 schrieb Lorenzo Da Ponte über das Stück: „Ungeachtet aber, daß sowohl ich als der Kapellmeister [Mozart] keine Mühe geschonet, und mit allem Fleiße und Sorgfalt gesuchet haben, dieses Schauspiel so kurz als möglich zu machen; so wird es doch nicht eines der kürzesten seyn, die auf dem Theater aufgeführt worden.“ Zitiert nach dem sehr informativen Programmheft von Claudia Forner. Da Ponte hatte Recht, was in den Inszenierungen immer wieder besonders in der zweiten Hälfte zu Längen führt – in Meiningen weiß man sie zu vermeiden.

Regisseur Philipp M. Krenn hat eine quirlige, temporeiche Komödie mit allerlei frivolen Anspielungen und ebensolchen Szenen geschaffen. Sie verlegen das Intrigenspiel sehr passend in eine Werbeagentur der 1960-erJahre, mit allem, was dazugehört: Schreibtische mit tippenden Fräuleins und Wählscheibentelefonen, Gummibäumen, die im Geschehen oft herhalten müssen, und dem herrlichen Werbespruch „Der Anzug sagt viel, die Krawatte sagt alles“ neben dem Firmennamen „Alma viva LLC“ – lebende Seele. Allerdings läuft die Firma als LLC, einer GmbH, in der der Chef nicht mit seinem Privatvermögen haftet. Und dieser Chef ist natürlich der Herr Graf, der sich munter durch die Betten schläft, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen – die moderne Form des jus primae noctis eben. Seine Frau, die Gräfin, war einst Sekretärin und ist nun aufgestiegen und dem Büro entwachsen, was eine tief sitzende Nähe zu Susanne erklärt. Die hat es strebsam zur Kreativentwicklerin gebracht, ihr Verlobter Figaro gehört zu den Managern. Auch Cherubino gehört zu der Riege, gibt aber dem Chef zu viele Widerworte, sodass er als Werbefigur in den Außendienst geschickt wird. Chor und die Statisterie stellen die anderen Angestellten, bis hin zur hinreißend putzenden Chorfrau, die die Fortsetzung des quirligen Treibens nach der Pause einleitet.

Walter Schütze hat dem verwirrenden Spiel eine entsprechende Bühne gebaut. Die Drehbühne des Staatstheaters ist fast unablässig in Bewegung und offenbart einen großen Büroraum mit tippenden Sekretärinnen an alten Schreibmaschinen, Susannas Büro, Besprechungszimmer und den Raum der Gräfin, einen Tresorraum und dazwischen die Damen- und Herrentoiletten, die keine unerhebliche Rolle im Geschehen spielen. Von einem Zimmer kann man fast immer in den anderen blicken, immer wieder führen Türen hinüber oder lassen sich Werbetafeln zu Öffnungen verschieben, um das Geschehen im Lauf zu halten. Unterstützt wird Schütze dabei von einer durchdachten Lichtregie unter Beleuchtungsmeister Rolf Schreiber. Besonders beeindruckend ist das Licht, während der Chor bei Barbarinas Nadel-Arie im Freeze steht.

Schütze zeichnet auch verantwortlich für die Kostüme. Die 60-er Jahre lassen mit Kleidchen und Betonfrisuren grüßen, und im vierten Akt erscheint der Chor in Kostümen aus Filmen der damaligen Zeit. Regisseur Krenn zeigte schon in vergangenen Inszenierungen die Nähe zur Cineastik, hier lassen sein Kostümbildner und er die Mitwirkenden als Teletubbie, Obelix, Fred Feuerstein, Figuren aus Raumschiff Enterprise, vielfach als Bezaubernde Jeannie und als verrückte gelbe Hühner auftreten: Da findet man sich kaum noch zurecht im Verkleidungsspiel, was gut erklärt, dass der Graf seine Gattin in der Maske nicht erkennt, Figaro seine Susanna, die als der allwissende Spock aus der Enterprise-Serie auftritt, aber umso eher an der Stimme identifiziert – wahre Zuneigung eben. Cherubino bekommt anstatt einer Uniform ein gelbes Hühnerkostüm übergestülpt, quasi der Hahn im Jugendgewand, überschäumend vor sexueller Energie, der mit orangefarbenen Flossen sehr grazil über die Bühne hüpft und dem der Regisseur gemeinsam mit Barbarina einen wichtigen Platz im Geschehen gibt, sind es bei ihm doch die einzigen, die sich wirklich in der Wucht der Unmittelbarkeit finden, sich dem anderen einfach hingeben.

Überhaupt, dem Sich-Hingeben oder, im primitiveren Sinne, dem Aufeinander-Losstürzen wird mit sichtbarer Spielfreude von Ensemble und Chor immer wieder gehuldigt, am intensivsten gegen Ende, als alle fünf Hühner oder Hähne es mit anderen Verkleideten in der Toilette treiben. Die Toiletten: Ort für Unterredungen zwischen Chef und Angestellten am Urinal, Ort sehr deutlich ausgeführter körperlicher Geschäfte, als Bartolo im ersten Akt seine große Arie „La vendetta“ beim Falten des Klopapiers singt, sich abwischt – einer der wenigen Momente der Inszenierung, bei dem man sich fragen kann, ob das so nötig ist. Das Publikum findet’s weitgehend lustig. Ort der Verkleidungen von Barbarina und Cherubino, aber auch Treffpunkt von Gräfin und Susanna zum Schmieden von Intrigen und nicht zuletzt immer wieder der Ort für Sex.

Auch bei der Personenregie zeigt Krenn, dass er sehr genau hinschaut. Manche Begegnung gewinnt schon dadurch an Schärfe, dass Krenn Gegebenes geschickt nutzt. Im Falle des stattlichen Grafen und des zierlichen Cherubino lässt er Körperfülle auf Grazie prallen. Der Graf überreicht Susanna als Braut nicht die ganze weiße Rose, sondern entblättert sie und streut die Blütenblätter über sie, defloriert sie bildlich – schon im Mittelalter bedeutete „bluomen brechen“ miteinander Sex haben. Und wenn der Graf im Tresorraum, der als weitere Schätze auch Pornohefte birgt, den Liebhaber seiner Frau vermutet und mit Schweißgerät und Maske eben ersteren aufbricht, bleibt im Publikum kaum ein Auge trocken. Natürlich sitzt das Merkmal, anhand dessen Marcellina und Bartolo ihren geraubten Sohn erkennen, auf der Pobacke und veranlasst Figaro, die Hosen runterzulassen. Das klingt nach viel Klamauk, ist es auch, verdeutlicht aber immer wieder Zusammenhänge und Hintergründe.

Es ist ein schwieriger Grat, hier die Balance zu finden. Als zum Beispiel die Gräfin auf der Damentoilette ihrer Trauer über die verlorene Unbeschwertheit in der Beziehung zum Grafen in Dove sono Ausdruck verleiht, vergnügen sich Cherubino und Barbarina in der Nachbartoilette am Beginn ihrer Liebe. Einerseits eine augenfällige Illustration und Verstärkung der Aussage, andererseits eine etwas störende Aktion im Hinblick auf die Tiefe der Emotion bei der Gräfin. Als Figaro zweifelt und Barbarina die Nadel aus dem Brief verliert, steht die Gesellschaft in Schockstarre still, ein großer Moment der Aufführung. Auch als die Gräfin am Ende nur noch mit einem Negligé bekleidet auf einem Schreibtisch sitzt, quasi bloßgestellt und zurückgewiesen auf ihren ursprünglichen Arbeitsplatz, ist das sehr anrührend. Insgesamt verlangt der Regisseur seinen Darstellern viel ab, wahre Stuntszenen sind zu liefern. Das Ensemble fügt sich mit Freude hinein.

Am Ende steuern Figaro und Susanna auf eine solide Partnerschaft zu, in der Susanna die Hosen anhat. Graf und Gräfin lassen im Laufe der Oper Federn, am Ende bringt der Graf sein Contessa perdono! innerlich und äußerlich im Abstand zur Gräfin hervor. Die packt trotz ihrer inneren Verbundenheit die Koffer und schickt sich an, den Grafen zu verlassen. Cherubino und Barbarina, Bartolo und Marcellina bleiben mit Figaro und Susanna als glückliches Paar für den Schlusschor Ah! Tutti contenti saremo cosi. übrig, bei dem alle ihre Verkleidungen fallen lassen.

Das Theater Meiningen kann auf eine beachtliche Zahl guter bis sehr guter Sänger zugreifen. Zur Aufführung zwei Tage danach singen als Figaro und Marcellina andere verdiente Sänger des Hauses.

Johannes Mooser gibt einen Grafen, der hin- und hergerissen ist zwischen seinem Trieb und der Eifersucht bezogen auf seine Frau und der seine Vormachtstellung im Büro sehr intensiv zu nutzen weiß. Er hat einen weichen Bariton und ist durchaus fähig, ihn auch kernig einzusetzen. Sehr berührend gelingt ihm die Szene nach der Pause, als er alleine im Büro sein Vedro mentr’io sospiro singt. Seine recht abgeklärt wirkende Entschuldigung gegenüber der Gräfin entspricht dem filoumäßigen Verhalten vorher. Emma McNairy als Gräfin besitzt eine reiche Sopranstimme, warm, dunkel fundiert, rund und mit großem Ton. Sie gestaltet ihre beiden schwierigen Arien mit Bravour, bei Dove sono i bei momenti füllt sie ihre Töne mit Verve und Feuer. Die Figur der Susanna hat alle Fäden in der Hand. Monika Reinhard spielt das junge Mädchen überzeugend und kontrastiert mit ihrem hellen, gut geführten und obertonreichen Sopran den schwermütigen Ton der Gräfin. Johannes Schwarz als Figaro beginnt etwas verhalten, singt seine Arie Se vuol ballare aber recht geschmeidig. Im Laufe des Abends legt er noch zu. Marianne Schechtel gibt eine durchsetzungsfähige, furiose Marcellina, die die Szene beherrscht und sehr gut mit dem Bartolo von Selcuk Hakan Tirasoglu, der nicht nur komödiantisch das Publikum erfreut, sondern stimmlich sehr präsent und mächtig agiert. Den Basilio gibt Tobias Glagau als Speichellecker, der sich in jeder Situation beim Chef einschmeichelt, mit heller, wandlungsfähiger Tenorstimme und einem umwerfenden italienischen Parlando in den Rezitativen. Julie Mooser als Barbarina entzückt durch eine sehr schöne, wahrhaft süße Sopranstimme, die ihre Gefühle gegenüber Cherubino glaubhaft in brillante Töne fasst. Mikko Järviluoto als Gärtner Antonio fügt sich gut ins Ensemble ein.

Der Star der Premiere war für das Publikum zurecht der Cherubino von Sara-Maria Saalmann. Ihr Mezzo ist frei, in allen Lagen ausgeglichen und verfügt über eine breite Ausdruckspalette. Hinzu kommt, dass die Sängerin mit ihrer Lebendigkeit und ihrer unmittelbaren Spielfreude der Aufführung noch einen ganz besonderen Kick gibt. Ihre beiden Arien sind Höhepunkte der Aufführung, verströmen sie doch das, was der Firmenname proklamiert: Alma viva, die lebende Seele. Voi che sapete gerät mit ihr als verkleidetem Hahn geradezu zu einem Kabinettstückchen.

In der B-Premiere begeistert Shin Taniguchi als ein überaus wacher, auch darstellerisch voll überzeugender Figaro. Mit seinem kräftigen, virilen Bariton, der viele Farben und Emotionen aufweist, von Verletzlichkeit hin zur unterschwelligen Gemeinheit bei Se vuol ballare. Er bringt viel männliche Energie und Emotion auf die Bühne, was dem Ensemble guttut. Tamta Tarieslashvili als Marcellina kehrt mit ihrem dunklen Mezzo die dramatische und mütterliche Seite der Figur heraus.

Der Chor des Staatstheaters Meiningen, einstudiert von Roman David Rothenaicher, singt sehr gut, sauber und geschlossen, und hat einen großen Anteil am Gelingen des Regiekonzeptes. Hier dürfen sich die Mitglieder teils mit vollem Körpereinsatz am Geschehen maßgeblich beteiligen, was ihnen augenscheinlich sehr gefällt.

Die Meininger Hofkapelle unter der Leitung des jungen GMD Killian Farrell zeigt schon in der Ouvertüre, die man entspannt bei geschlossenem Vorhang genießen kann, in welche Richtung der Abend gehen soll: fast sportliche Leichtigkeit mit auftrumpfenden Akzenten stimmen das Publikum ein. Und wenn dann Figaro seine Auftrittsarie singt, merkt man sofort, dass da im Graben einer steht, der die Sänger auf der Bühne leitet und unterstützt. Leichte Schwankungen zu Beginn fängt er lässig ab und führt den Zuhörer hinein in das lustige Treiben.

Das Publikum im fast ausverkauften Haus feiert „sein“ Ensemble und das Regieteam enthusiastisch bei beiden Aufführungen mit Bravorufen und vielen Vorhängen. Meiningen hat einen neuen Figaro, den zu sehen sich lohnt. Noch sechs Mal steht er in dieser Spielzeit auf dem Spielplan.

Jutta Schwegler