O-Ton

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Foto © Christina Iberl

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Ein Märchentraum

DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL
(Karel Svoboda)

Besuch am
20. November 2021
(Premiere)

 

Staatstheater Meiningen

Es gibt liebgewonnene Rituale, die insbesondere zur Weihnachtszeit für Jung und Alt fester Bestandteil im oft so hektischen und tristen Alltag sind und immer wieder für beseelte Momente sorgen. In der Oper sind das Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck, das Ballett Der Nussknacker von Pjotr Iljitsch Tschaikowski oder das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Das Festhalten an diesen Ritualen bremst die Schnelllebigkeit und fördert die Rückbesinnung auf besondere Augenblicke. Doch auch im Fernsehen gibt es alle Jahre wieder Filme, die meist mit der ganzen Familie geschaut zum festen Ablauf der Festtage zählen. Der kleine Lord, die Reihe um Kevin, der zu Weihnachten vergessen wird und allerlei Unsinn treibt, aber auch die Sissi-Trilogie sind fester Bestandteil des jährlichen Weihnachtsprogramms. In dieser Aufzählung darf der Märchenfilm Drei Haselnüsse für Aschenbrödel nach dem gleichnamigen Märchen von Božena Němcová sowie Grimms Aschenputtel in der Version von 1819 nicht fehlen. Die ČSSR-/DDR-Koproduktion entstand 1973 unter der Regie von Václav Vorlíček und František Pavlíček. Gedreht wurde rund um das Schloss Moritzburg bei Dresden, in Kulissen der Babelsberger Filmstudios und der Filmstudios Barrandov in Prag sowie an verschiedenen Orten in der damaligen Tschechoslowakei, beispielsweise im Wasserschloss Švihov und im Böhmerwald. Neben der malerischen Winter-Kulisse des Schlosses Moritzburg ist es vor allem die schmeichelnde Filmmusik von Karel Svoboda, die zu dem großen und anhaltenden Erfolg des Films beiträgt. Größere Bekanntheit erreichten zudem vor allem seine Kompositionen für die beliebten Zeichentrickserien Wickie und die starken Männer, Die Biene Maja, Pinocchio und Nils Holgersson. Die Musik zu Aschenbrödel ist melodisch sehr eingängige, mit einem immer wiederkehrenden Aschenbrödel-Motiv, das Ohrwurmcharakter hat und sich schnell einprägt. Die Originalfilmmusik wurde vom Symphonieorchester Prag eingespielt.

Die wunderbare, leider in diesem Jahr viel zu früh verstorbene Libuše Šafránková als Aschenbrödel, Pavel Trávníček als Prinz und der große Theaterschauspieler Rolf Hoppe als König haben mit ihrem märchenhaften und komödiantischen Spiel ebenfalls einen großen Anteil an dem Erfolg. Am Staatstheater Meiningen steht nun das Aschenbrödel auf dem Programm, mit einer Verspätung von genau einem Jahr. Da sollte die Bühnenadaption des Märchenfilms Premiere haben, doch der Theater-Lockdown machte einen Strich durch die Rechnung. Nun der zweite Versuch, das Werk vor Zuschauern zu spielen, trotz hoher Inzidenzzahlen, dafür aber mit strengem Hygienekonzept. Die Geschichte ist bekannt. Auf dem Gut, auf dem Aschenbrödel lebt, herrscht große Aufregung. Der König wird mit seinem Sohn erwartet. Seit Aschenbrödels Vater gestorben ist, hat sie kein leichtes Leben auf dem Gut. Schimmel Nikolaus und eine Schmuckschatulle, die von der Eule Rosalie bewacht wird – das ist alles, was Aschenbrödel nach dem Tod ihres Vaters geblieben ist. Die Stiefmutter und ihre Tochter Dorchen, lassen sich jeden Tag fiese Aufgaben für Aschenbrödel einfallen: Öfen kehren oder Erbsen von Linsen trennen. So erhält auch nur ihre Stiefschwester Dorchen eine Einladung für den großen Ball im Schloss. Vinzek, dem Diener, sind im Wald zufällig drei Haselnüsse in den Schoss gefallen, die er Aschenbrödel zum Trost mitgebracht hat. Doch die magischen Kräfte der kleinen Haselnüsse vermögen es, die geheimen Wünsche des Mädchens in Erfüllung gehen zu lassen. Endlich kann Aschenbrödel einmal, wie ein Junge, mit ihrem geliebten Pferd Nikolaus auf die Jagd gehen. Die zweite Haselnuss beschert ihr sogar ein wunderschönes Ballkleid. Heimlich schleicht sich Aschenbrödel auf den Ball und mit ihrer frechen und natürlichen Art verzaubert sie dort nicht nur den Prinzen. Der Prinz, der bisher alle ihm vorgestellten Damen verschmäht hat, tanzt mit ihr und verliebt sich auf der Stelle. Als er sie fragt, ob sie ihn heiraten möchte, stellt sie ihm drei Rätsel:

„Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht. Ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht. Zum Dritten: Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht, mein holder Herr.“

Da der Prinz die Rätsel nicht lösen kann, verlässt Aschenbrödel den Ball. Auf der Schlosstreppe verliert sie dabei jedoch ihren rechten Schuh. Der Prinz nimmt die Verfolgung auf und erreicht den Hof, auf dem Aschenbrödel mit Stiefmutter und -schwester lebt. Doch keiner der anwesenden Frauen passt der zierliche Tanzschuh der Unbekannten. Schließlich fällt dem Knecht Vinzek das Aschenbrödel ein, das spurlos verschwunden ist. Die Stiefmutter ergreift die Gelegenheit und gibt ihre Tochter Dora als Aschenbrödel aus. Das scheitert jedoch, und nachdem Aschenbrödel aus der dritten Haselnuss ein prachtvolles Brautkleid bekommen hat, zeigt sie sich darin dem Prinzen. Der Schuh passt ihr perfekt. Nun kann der Prinz auch das dreifache Rätsel beantworten – es waren seine drei Begegnungen mit Aschenbrödel, und der Märchenhochzeit steht nichts mehr im Wege.

Im letzten Jahr war das Stück als Stream für den Mitteldeutschen Rundfunk aufgezeichnet worden. Für die Inszenierung in der Regie von Gabriela Gillert, die bis Mitte Januar in zahlreichen Doppel-Vorstellungen und auch an Wochenenden und in den Weihnachtsferien zu sehen sein wird, hat die Meininger Hofkapelle die Filmmusik von Karel Svoboda aus der Märchenverfilmung unter dem Dirigat von Peter Leipold eingespielt. Ausstattungsleiter Helge Ullmann hat für die Theaterversion des Aschenbrödel eine schneereiche Winterwelt und ein glitzernd-schönes Schloss geschaffen, Bühnenbild und Kostüme sind dabei sehr an die Filmvorlage angelehnt. Die Produktion ist eine Kooperation mit der Ballettschule am Staatstheater Meiningen in der Choreografie von Julia Zulauf. Die Handlung ist gestrafft auf 75 Minuten, und auch bei den Darstellern hat man sich auf die Hauptfiguren des Märchenfilms beschränkt. Das Bühnenbild ist liebevoll erstellt, mittels Drehbühne sind schnelle Verwandlungen zwischen dem Bauernhof, dem Nebengelass mit Stall und Dachkammer und dem verschneiten Wald möglich. Die Tauben, die dem Aschenbrödel bei ihrer fiesen Arbeit helfen, sind beleuchtete Flügel, die von der Bühnendecke herabgelassen werden. Auch die drei Kleider für Aschenbrödel kommen von der Bühnendecke, ebenso wie die Kronleuchter bei der Bühnenszene im Schloss. Natürlich ist hier die Zielgruppe die der Kinder, und hier darf man dem Staatstheater Meiningen ein großes Kompliment machen. Es ist eine wunderbare, kindgerechte Inszenierung, die den interaktiven Austausch mit dem jungen Publikum ohne pädagogisch erhobenen Zeigefinger sucht. Besonders witzig wird es, wenn der König erscheint und der Präzeptor das Publikum animiert, sich von den Sitzen zu erheben und sich zu verbeugen, was Jung und Alt auch gerne tun. Und als erwachsener Zuschauer fühlt man sich ganz schnell in seine eigene Kindheit versetzt.

Foto © Marie Liebig

Aber es ist auch die schauspielerische Leistung, die an diesem Premierenabend begeistert. Die Dialoge sind der heutigen Sprache nachempfunden und kindgerecht präsentiert. Carla Witte spielt das Aschenbrödel so intensiv und schön, dass es schon sehr dicht an die Filmvorlage herankommt. Christine Zart bedient alle Klischees der „bösen Stiefmutter“, ist so herrlich fies und gemein, dass so manches Kind im Publikum das Grausen bekommt. Marie-Sophie Weidinger gibt das Dorchen als naives Dummchen. Yannick Fischer als Prinz braucht immer wieder die Hilfe des Publikums, um endlich am Schluss sein Aschenbrödel zur Prinzessin zu machen. Hans-Joachim Rodewald in der Doppelrolle als Präzeptor des Königs und Knecht Vinzek lebt beide Rollen so richtig aus und ist der große Animator für das Publikum. Matthias Herold gibt einen etwas trotteligen, dicken, appetitsüchtigen König, der sich ebenfalls ganz schnell vom Aschenbrödel verzaubern lässt. Sein Outfit mit grauem Rauschebart ist eine Hommage an Rolf Hoppe, den Darsteller im Film. Ibrahim Bajo und Emil Schwarz im Kostüm des Schimmels Nikolaus sind die heimlichen Stars auf der Bühne. Die Musik, die vom Band eingespielt wird, ist von der Tonqualität sehr hochwertig und ganz eng an die Komposition Svobodas angelehnt. Am Schluss gibt es von dem besonders jungen Publikum begeisterten Applaus und Jubel für alle Beteiligten dieser märchenhaften Darbietung.

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel ist eine wunderbare Bühnenadaption des Märchenfilms, das neben dem begeisternden Spiel der Akteure auf der Bühne vor allem von der eingängigen und beschwingten Musik Karel Svobodas lebt, die die Meininger Hofkapelle unter der Leitung von Peter Leipold eingespielt hat. Die Musik ist als Teil des Programmheftes auch auf CD erhältlich, ein schöner Service des Staatstheaters Meiningen. Die Aufführung wird bis zum 14. Januar 2022 noch über dreißig Mal gespielt und hat das Zeug, ebenfalls eine Tradition zur Weihnachtszeit zu werden. Wer den Film liebt und es mit seinem Kind nicht zu weit nach Meiningen hat, der sollte sich das märchenhafte Theater in der Weihnachtszeit nicht entgehen lassen.

Andreas H. Hölscher