O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christina Iberl

Aktuelle Aufführungen

Verzaubernde Zauberoper

AMADIGI DI GAULA
(Georg Friedrich Händel)

Besuch am
17. September 2021
(Premiere)

 

Meininger Staatstheater

Die Corona-Beschränkungen erforderten für die Proben zur Eröffnung der neuen Spielzeit 2021/22 im Staatstheater Meiningen eine Abkehr von der „großen“ Oper; deshalb verfiel die neue Intendanz auf ein Werk mit nur vier Protagonisten und kleinerer Orchester-Besetzung. Eine kluge Entscheidung: Denn die Zauberoper Amadigi di Gaula kann mit überwältigendem Theaterzauber auch heute noch verzaubern. Georg Friedrich Händel schrieb sie als fünfte Oper seiner Londoner Zeit 1715; das Libretto geht wohl auf einen der einst populären Ritterromane zurück, und sie war ähnlich erfolgreich wie der berühmtere Rinaldo, ist aber heute weitgehend von den Spielplänen verschwunden.

Im Mittelpunkt der recht märchenhaften Handlung steht die erfolglos mit allen dämonischen Mitteln um die Liebe des Ritters Amadigi kämpfende Zauber-Hexe Melisssa. Doch der liebt sie nicht. Dabei bleiben letztlich sie und der Freund und Rivale des Amadigi, der um die Gunst der schönen Oriana kämpfende Prinz Dardano auf der Strecke; der aber fleht nach seinem Tod wenigstens aus der Hölle noch die Götter um Mitleid für die Liebenden Oriana und Amadigi an. Doch das erwartete glückliche Ende für das Paar wird von Regisseur und Ausstatter Hinrich Horstkotte ironisch in Frage gestellt. Denn bei der Hochzeit im üppigen Ritter-Aufputz verbirgt die Braut schon den Dolch hinter ihrem Kleid. Die äußere Handlung dient nur als Vorwand, die widerstreitenden Gefühle und ihre Schwankungen zu zeigen als quasi überbordende Theater-Effekte ganz im Sinn der Barockzeit. Zu hören sind diese menschlichen Gefühle bis in die sensibelsten Regungen in Händels Musik, konzentriert und prägnant betont, manchmal lange ausgekostet durch Attilio Cremonesi am Cembalo und Pult der engagiert aufspielenden Meininger Hofkapelle.

Foto © Christina Iberl

Das heutige Publikum kann die Emotionen auch an der abwechslungsreichen Personenregie nachverfolgen und miterleben. Dass die äußere Handlung Illusion, Spiel ist, wird schon zur Ouvertüre deutlich: Die beiden Ritter-Helden sitzen hinter der eigentlichen Bühne in einem Zuschauerraum, Kulissen sind von hinten zu sehen. Danach beginnt das Operngeschehen für das Publikum im Opernhaus. In immer neuen Verkleidungen, mal in barocker Prunk-Robe, mal teuflisch schwarz, mal geheimnisvoll dunkelrot glitzernd, mal mit riesiger Rock-Schleppe über dem roten Kleid erscheint Melissa, mal assistiert von weißen Gespenster-Frauen, mal mit schwarzen Punk-Furien, und auch die Auftrittsorte wechseln oft. Da gibt es, stets verstärkt durch passendes Licht, Naturbilder für die Nacht, Wolken-Kulissen für den Tag, künstliche Wellen oder Flammen in Bewegung, ein Feuer-Tor, durch das Amadigi als wahrer Liebhaber unversehrt eindringen kann, unechte Säulen eines Palazzos, immer höhere Stufen, irritierende Spiegelwände, Raumfluchten, eine Drachenhöhle und zum Schluss ein Meer mit einem putzigen Papp-Schifflein obendrauf, was das Paar in eine glückliche Zukunft transportieren soll – oder nicht? Händels Musik mit allen Facetten von Trauer, Tragik, Dramatik, Empfindsamkeit, Freude oder Jubel lässt das eher offen in einem lieto fine in g-moll.

Die vier Protagonisten, allesamt irgendwie einsam, müssen gesanglich äußerste seelische Erschütterungen ausdrücken, und Händel verlangt ihnen einiges ab an Verzierungen und schwierigen Koloraturen. Die liebesverrückte Zauberin Melissa, die ihren Leiden im Selbstmord ein Ende bereitet, wird von Monika Reinhard äußerst agil und kämpferisch verkörpert und imponiert gesanglich mit viel innerer Wut, Leidenschaft, ergreifender Klage und furiosen Ausbrüchen; sie benutzt als Gefährten ihrer Rache den kriegerischen, schließlich  im Zweikampf mit Amadigi getöteten Prinzen Dardano. Bewundernswert ist, wie Almerija Delic mit ihrer kraftvollen, von energischem Elan getragenen Stimme auch die heikelsten gesanglichen Herausforderungen meistert. Den Titelhelden Amadigi, der von einer Tat mit einer virtuosen Arie zur anderen eilt, stellt Rafal Tomkiewicz mit sicher fundiertem Countertenor und wehendem Blondhaar auf die Bühne, und somit erobert er seine Oriana, eine weithin passive, aber unbeirrt hartnäckig Liebende von mädchenhafter Schönheit, Sara-Maria Saalmann, die ihren sanften Klagen und ihrer Opferhaltung mit fein nuanciertem, hellglänzendem Sopran überzeugenden Ausdruck verleiht.

Das Publikum im erlaubt zu 60 Prozent gefüllten Opernhaus bejubelt alle Mitwirkenden minutenlang mit Applaus und Bravorufen.

Renate Freyeisen